Die Beiträge in den vergangenen beiden Wochenblatt-Ausgaben haben verdeutlicht: Der Land- und Forstwirtschaft kommt im Handeln gegen den Klimawandel eine besondere Rolle zu – weil sie als einziger Sektor durch die Ausweitung natürlicher Kohlenstoffspeicher „negative Emissionen“ realisieren kann, also der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen kann.
Das novellierte Bundes-Klimaschutzgesetz hat im vergangenen Jahr Minderungsziele für den Sektor „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF)“ festgelegt. So soll der Sektor 25 Mio. t CO2 als Senke bis zum Jahr 2030 bereitstellen. Bis zum Jahr 2045 sind es 40 Mio. t CO2.
Zur Einordnung: In der aktuellen THG-Vorjahresschätzung werden die THG-Emissionen Deutschlands mit knapp 762 Mio. CO2-Äquivalente angegeben. Auch die EU-Kommission sieht Potenzial im Sektor LULUCF. Der aktuelle Entwurf zur Novelle der LULUCF-Verordnung sieht ein EU-THG-Senkenziel von 310 Mio. t CO2 bis zum Jahr 2030 vor.
Wissenschaft missachtet
Positiv ist, dass Berliner und Brüsseler Politiker die Senkenleistung der Land- und Forstwirtschaft als elementar für das Ziel der Klimaneutralität ansehen. Jedoch enthalten das Bundes-Klimaschutzgesetz und die geplante LULUCF-Verordnung der EU-Kommission aus wissenschaftlicher Sicht unrealistische Vorgaben. Für 2021 nimmt die Bundesregierung eine CO2-Senkenleistung des Sektors LULUCF in Deutschland von etwa 11,5 Mio. t CO2 an. Im aktuellen Projektionsbericht, der ein Szenario für die Entwicklung der deutschen THG-Emissionen bis 2040 beschreibt, ist mit einer Verschiebung innerhalb des Sektors LULUCF von einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle bis etwa 2025 zu rechnen. Ursache sei eine abnehmende Senkenleistungen im Forst, unter anderem aufgrund der hohen Altersstruktur.
Für das Jahr 2030 entsteht somit eine Differenz zwischen prognostizierter und durch das Bundes-Klimaschutzgesetz vorgegebener Senkenleistung von rund 47 Mio. t CO2. Aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes werden dadurch nicht nur unverhältnismäßig hohe Lasten auf die Land- und Forstwirtschaft übertragen, sondern gar unerreichbare Ziele vorgegeben.
Ein ähnliches Bild ergibt sich auf europäischer Ebene. Die Europäische Umweltagentur geht davon aus, dass sich auf EU-Ebene 2030 rund 210 Mio. t CO2 als Senkenleistung erreichen lassen – 100 Mio. t weniger als im Kommissionsentwurf. Besonders fraglich erscheinen daher die im Ausschuss für Umweltfragen des Europäischen Parlaments geforderten Senkenhöhen im oberen dreistelligen Millionenbereich.
Leistung: Carbon Farming
Auch wenn die politischen Vorgaben hinsichtlich Senkenleistungen zu ambitioniert sind, liegt ein Schlüssel zur Klimaneutralität in der Land- und Forstwirtschaft. Zur Diskussion stehen Senkenleistungen von mittleren einstelligen bis niedrig zweistelligen Mio. t CO2 pro Jahr, die sich durch Carbon-Farming-Maßnahmen erreichen lassen sollen. Auch wenn dieser Beitrag im Vergleich zu den jährlichen Emissionen in Deutschland gering erscheint, ist jede einzelne durch die Landwirtschaft gespeicherten Tonne Kohlenstoff wichtig – auch, weil es unvermeidbare Restemissionen vermutlich im mittleren zweistelligen Millionenbereich gibt.
Neben der direkten Klimaschutzleistung verbessert der höhere organische Kohlenstoffgehalt des Bodens zudem die Widerstandskraft gegenüber den Folgen des Klimawandels. Die bessere Infiltrationsrate oder nutzbare Feldkapazität sind dabei nur zwei Beispiele, wie Carbon Farming auch die Versorgungssicherheit positiv beeinflussen kann. Klar ist aber auch, dass Maßnahmen betriebsindividuell und langfristig umgesetzt werden müssen. Dies ist mit zusätzlichem Aufwand und Risiken verbunden – und somit Kosten. Die Klimaschutz-Dienstleistung „Carbon Farming“ mit gesamtgesellschaftlichem Mehrwert kann es nicht zum Nulltarif geben.
WLV: Chance für die Landwirtschaft
Die Ansätze des Carbon Farming bieten Chancen für die regionale Landwirtschaft ein zusätzliches Einkommen zu erzielen. Eine angemessene Vergütung von humusbildenden Maßnahmen wird dafür die Grundvoraussetzung sein. Aus Sicht des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) kommt es darauf an, dass die EU-Kommission hierzu praktikable Vorschläge macht, die den Landwirten eine niedrigschwellige Teilnahme ermöglichen. Zertifizierungsmodelle müssen einheitlich und gut händelbar sein, damit die Potenziale des Carbon Farming nicht von weiterer Bürokratie erstickt werden.
Wie auch der Deutsche Bauernverband lehnt der WLV eine Finanzierung zusätzlicher Klimaschutzleistungen aus den Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik ab. Gerade angesichts des Kriegs in der Ukraine rückt das Hauptziel der GAP, die Ernährungssicherheit für 400 Mio. Europäer wieder in den Mittelpunkt. Für den Kampf gegen den Klimawandel braucht es daher frisches Geld. Die Landwirte sind bereit, ihren Beitrag dazu leisten. Das Humusprojekt wird wichtige Erkenntnisse dafür liefern, mit welchen Maßnahmen besonderes effizient Humus aufgebaut werden kann. (Verena Kämmerling, WLV)
Finanzierung ungewiss
Die Umsetzung von Carbon-Farming-Maßnahmen in der breiten landwirtschaftlichen Praxis kann daher nur über ausreichende Anreize gelingen. Die Europäische Kommission plant einen einheitlichen Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoffsenken zum Ende dieses Jahres. Dieser soll die Grundlage für ein einheitliches Entlohnungssystem sein. Für die Finanzierung von Carbon Farming schlägt die Kommission neben der Etablierung eines privaten Marktes für Kohlenstoffzertifikate auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) vor.
Zusätzliche Mittel nötig
Aus Sicht des DBV eignet sich die GAP jedoch nicht zur Entlohnung dieser zusätzlichen Leistung der Landwirtschaft. Vielmehr sind zusätzliche, dem Klimaschutz gewidmete Mittel, als Anschubfinanzierung nötig. Vorbild können hier Mittel aus dem europäischen Emissionshandel (ETS) bzw. auf nationaler Ebene Mittel aus dem Energie- und Klimafonds sein, die zum Teil durch den ETS finanziert werden.
Perspektivisch können und müssen jedoch privatwirtschaftliche Mittel berücksichtigt werden, damit Carbon Farming zum Erfolgsmodell wird. Dadurch ist es möglich, Synergien zwischen privatwirtschaftlichen Bestrebungen im Sinne des Klimaschutzes und den durch die Landwirtschaft zu erbringenden CO2-Senkenleistungen zu nutzen. Die vielen schon bestehenden Zertifizierungsdienstleister und das große Interesse der landwirtschaftlichen Praxis zeigen, dass das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Nun gilt es aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes, dieses junge Geschäftsfeld in Einklang mit politischen sowie wissenschaftlichen Vorgaben zu bringen.
Humusprojekt liefert Praxiswissen
Der Deutsche Bauernverband und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft initiieren mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Thünen Institut das Projekt ein „Humusprojekt“. Darin setzen sie mit 150 landwirtschaftlichen Demonstrationsbetrieben humusmehrende Maßnahmen praxisnah um und bewerten diese. Die Erkenntnisse daraus wollen sie als erfolgreich bewertete Maßnahmen in die breite landwirtschaftliche Praxis übertragen, um den flächendeckenden Humusaufbau mit den damit verbundenen positiven Effekten zu unterstützen. Berücksichtigt sind sowohl klassisch als auch ökologisch wirtschaftende Betriebe in ganz Deutschland.
Lesen Sie mehr: