Dieser Beitrag ist zuerst in f3 erschienen.
Kein Bauer schmeißt gern Lebensmittel weg. Vor allem nicht, wenn sie eigentlich völlig in Ordnung sind und in deren Herstellung er viel Zeit, Geld und Leidenschaft investiert hat. Trotzdem sind Lebensmittelverluste bei der Erzeugung traurige Realität. Ein junges Start-up aus Quakenbrück will nun mit Landwirtinnen und Landwirten aus der Region zusammenarbeiten und ihnen die Möglichkeit geben, B-Ware und Überschuss über die Saison hinaus zu vermarkten. Zu Preisen, die Spaß machen.
Warum fällt bei der Erzeugung überhaupt Überschuss an? Die Gründerin von „Frudist“, Alica Lammerskitten, erklärt: „Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Landwirt zusammen, der Himbeeren anbaut. An heißen Tagen hat er regelmäßig über 100 kg Ausschuss, weil die Früchte zu schnell abreifen und dunkel werden. In dem Zustand nimmt der Supermarkt die Ware nicht mehr an.“ Mitgründer Oleksii Parniakov hat noch ein Beispiel: „Zum Ende der Saison hören die Märkte oft von einem Tag auf den anderen auf, Erdbeeren zu listen. Beim Erzeuger steht aber unter Umständen Ware bereit.“ Anstatt die makellosen Früchte dann in die Biogasanlage zu geben, will sich Frudist einschalten und die Früchte gefriergetrocknet an Eis-, Schokoladen- oder Müsli-Hersteller sowie Hofläden weitervermarkten. Und zwar in einer nach eigenen Angaben besonders hohen Qualität. Und mit dem Argument: „gerettetes Obst aus der Region“.
Bloß nicht in die Marmelade
Diese hohe Qualität bestätigt Lena Leithold-Kühling vom Fruchtgroßhandel Kühling. Die studierte Agrarwissenschaftlerin agiert als Bindeglied zwischen dem Start-up und der praktischen Landwirtschaft. „Wir vermarkten für landwirtschaftliche Betriebe aus der Region das Beerenobst, also Erdbeeren, Heidelbeeren, Brombeeren oder Himbeeren“, sagt Lena. „Wir stellen uns seit Jahren die Frage, wie wir einen attraktiven Absatzweg für Früchte finden können, die die strengen Spezifikationen der Supermärkte nicht erfüllen.“ Dabei ist nach Lenas Ansicht wichtig, die Überschussware zu hochwertigen Produkten zu verarbeiten, für Absatzwege, die sich lohnen. „Die Erzeuger brauchen Erlöse, die die Produktionskosten decken und nicht nur Beiwerk ist“, so die Fruchthandels-Expertin.
Sind die Ideen zur Weiterverarbeitung nicht hochwertig genug, sind sie in der Praxis schnell verschrien. „Die Landwirte denken dann: `Oh Gott, meine Früchte müssen in die Marmelade,“ berichtet Lena. Die Ware gefrierzutrocknen und weiterzuvermarkten, könnte sich hingegen für die Landwirte lohnen. Deshalb arbeitet das Handelsunternehmen mittlerweile seit einem Jahr als strategischer Partner mit Frudist zusammen, entwickelt Produkt- und Vermarktungsideen, vertritt die Sichtweise der Landwirte und bringt logistisches Know-how ein. Gemeinsam waren sie auch schon zu Gast bei einem f3-Scheunengespräch.
Gefriertrocknen bewahrt die Qualität
Dass gute Preise nur für gute Qualität gezahlt werden, das wissen Alica und Oleksii von Frudist. Sicherstellen wollen sie diese mithilfe einer speziellen Gefriertrocknungstechnologie. „Wir haben die sogenannte „Pulsed Electric Field Technology“ (PEF), die in der Kartoffelindustrie schon lange eingesetzt wird, auf den Trockenfrüchtebereich übertragen“, sagt Oleksii, der einen Doktor in industrieller Verfahrenstechnik absolviert hat. Was bei der Pommes-Herstellung dazu dient, die Kartoffeln besser verarbeiten zu können, funktioniert nach Ansicht des Gründers auch bei Erdbeeren, Himbeeren, Äpfeln und Co. „Die Früchte behalten ihre Farbe, ihre Struktur und vor allem ihre Inhaltsstoffe“, schwärmt der 31-Jährige. Tatsächlich glaubt auch Lena Leithold-Kühling an eine nahezu werterhaltende Vermarktung der von Frudist gefriergetrockneten und damit länger haltbaren Früchte. Sie sagt: „Für wirklich hochwertige Produkte sind die Menschen auch bereit, Geld auszugeben.“ Der Mehrwert muss allerdings gut kommuniziert werden.
Marketing: Woher die Früchte stammen, ist großer Mehrwert
Was die Kunden nach Ansicht aller Beteiligten also ebenfalls überzeugen soll, ist eine gekonnt erzählte, aber eben auch wahre Produktgeschichte. „Neben der Qualität der Früchte zählt tatsächlich die Herkunft der Früchte aus der Region“, erzählt Oleksii. „Auch die Tatsache, dass die Früchte sonst trotz toller Qualität weggeschmissen worden wären, ist ein starkes Verkaufsargument.“ Für das eigene Marketing müsse man diese Argumente zwangsläufig nutzen und sie kommunikativ in den Vordergrund stellen, ergänzt Alica, die an der Hochschule Osnabrück Agrar- und Lebensmittelwirtschaft studiert hat. Das sei gerade deshalb so vielversprechend, weil die meisten gefriergetrockneten Früchte, die in Deutschland verzerrt werden, bereits eine halbe Weltreise hinter sich hätten. Frudist hingegen bietet Trockenfrüchte, die aus der Region stammen und hier auch verarbeitet wurden. Nur, wenn dieser Vorteil am Anfang der Kette schon beachtet und kommuniziert wird, können Abnehmer das auch weiterverkaufen.
Die Logistik: vom Bauern zu Frudist per Fruchttaxi
Die Krux liegt wohl in der Logistik. Alica erklärt die Grundidee: „Wir wollen Ware, die für den Verkauf in den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nicht angemessen aussieht, einsammeln und zu uns nach Quakenbrück fahren. Das Einsammeln sollen kleine Lieferwagen erledigen, sogenannte Fruchttaxis. Sie sollen die Landwirte in der Region täglich in einer sinnvollen Route anfahren.“ Soweit die Idee. Im Detail stellen sich schnell viele sehr konkrete Fragen: Nach der Planbarkeit der Mengen. Nach der Trennung von A- und B-Ware. Nach dem Management der Erntehelfer.
Fruchthandels-Expertin Lena Leithold-Kühling hat vieles bereits durchdacht und differenziert: „Im Tagesgeschäft wird es unterschiedlich laufen, je nachdem ob es Landwirte sind, die Freilandware herstellen, oder im geschützten Anbau ernten.“ Im Freiland sei die Umsetzung der Fruchttaxis nach Einschätzung der Fruchthändlerin tatsächlich eher unwahrscheinlich. Zu groß ist die benötigte Flexibilität, was die Mengen angeht. Gerade Erdbeeren und Heidelbeeren sind stark vom Wetter abhängig. Dazu kommt, dass der Obstbau im Freiland sehr abhängig von (guten) Erntehelfern ist. Lena sagt: „Sie müssten die Ware direkt auf dem Feld zwischen Frischware für den LEH und Ware für die sonstige Weiterverarbeitung trennen. Das ist schwierig zu managen.“ Ohnehin ist die Suche nach geeigneten Erntehelfen eine Herausforderung, die sich durch die Corona-Pandemie sogar noch verstärkt hat.
Einfacher geht das im geschützten Anbau, weiß Lena Leithold-Kühling. Dort seien die Mengen, die täglich anfallen, besser planbar. „Es gibt keinen Hagelschaden, der alles zerstört. Die Temperatur im Gewächshaus lässt sich regulieren. Und die Erntehelfer können mit kleinen Erntewagen im Stehen arbeiten.“ So sei die Trennung der Frucht-Qualitäten um einiges leichter. Auch große Mengen sollten so in Zukunft händelbar werden, hofft Lena: „Im Moment geht es erst um mehrere 100 kg am Tag. Da ist auch die Lagerung kein Thema. Aber die Menge reicht nicht für den Großhandel. Zukünftig sollen bestenfalls auch Mengen von mehreren Tonnen je Tag flexibel an frudist geliefert und verarbeitet werden können.“
Vermarktung für 2021 geplant
Erfahrungen bei der Vermarktung haben bislang weder Frudist noch Kühling Fruchthandel ausreichend gesammelt. An dem Punkt ist das Gespann jetzt angelangt und hofft, dass die Abnehmer tatsächlich bereit sind, Preise zu zahlen, die für die ganze Kette auskömmlich sind. Geplant ist der Verkauf an Großabnehmer aus der Lebensmittelindustrie wie Süßwaren-, Müsli- und Eishersteller. Aber auch Hofläden werden angesprochen. „Landwirtschaftliche Direktvermarkter könnten entweder ihre eigenen Früchte über die Saison hinaus vermarkten oder die der Nachbarn“, sagt Lena Leithold-Kühling.
Ansonsten übernimmt das Start-up die Vermarktung und steht in Kontakt mit ersten Kunden, die für die kommende Saison 2021 bestellt haben. „Auf Basis des bisherigen Auftragsvolumens gehen wir von einem Umsatz von 300.000€ aus“, verrät Alica. „Es können und sollen aber noch Bestellungen hinzukommen.
Kollaboration zwischen Mittelstand, Landwirtschaft und Wissenschaft
Die ersten Kontakte zu Abnehmern hatte das Team im Rahmen des Food-Accelerators „Seedbed“ des EU-weiten Programms von EIT Food erhalten, das in diesem Jahr am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) abgehalten wurde. Am nahegelegenen Business- und Innovationspark Quakenbrück soll künftig eine eigene Produktionslinie aufgebaut werden. Für die Kosten von rund 600.000 € suchen die Gründer derzeit einen Investor.
Aktuell mieten Alica und Oleksii Kapazitäten der PEF-Anlage eines ebenfalls in Quakenbrück ansässigen Unternehmens, der Elea GmbH. Hier haben sich die beiden Jungunternehmer überhaupt erst kennengelernt. „Elea bietet innovatives Equipment für verschiedene Bereiche in der Lebensmittelindustrie an. Und hier haben Oleksii und ich an der Optimierung von Trocknungsprozessen geforscht.“ Daraus sei die Gründungsidee entstanden, erzählt die 26-Jährige. Außerhalb der Arbeitszeit arbeitete das Team mit Erlaubnis ihres Chefs an der Idee.
Schön, was ein funktionierendes Netzwerk aus etablierten Unternehmen, praktischer Landwirtschaft und Start-up-Förderung alles zutage fördern kann.
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