PV-Ausbau: Der Ikarus-Effekt

Der Solarausbau boomt. Und das soll so bleiben: Die Bundesregierung will die installierte Solarstromleistung bis zum Jahr 2030 verdreifachen. Kommt das Energiesystem da mit oder droht der Absturz?

Was haben der griechische Held Ikarus und die deutsche Solarbranche gemeinsam? Ikarus war – der griechischen Mythologie nach – mit seinem Vater aus einem Gefängnis geflohen, indem er sich Flügel gebaut hatte. Das Wachs, mit denen sie die Federn befestigt hatten, schmolz, als Ikarus der Sonne zu nah kam. Darauf stürzte er ins Meer. „Die Geschichte hat Parallelen zum deutschen Ausbau der Photovoltaik“, sagt Prof. Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er spricht daher bei der Photovoltaik auch vom „Ikarus-Effekt“.

Rekordzubau 2023

Den Aufstieg Richtung Sonne hat die Solarbranche im vergangenen Jahr in Deutschland massiv vollzogen: 14 GW Solarstromleistung sind neu ans Netz gegangen – so viel wie noch nie innerhalb von zwölf Monaten. Insgesamt sind heute 81 GW Solarstromleistung in Deutschland installiert. Das Ziel der Bundesregierung bis zum Jahr 2030 ist eine Leistung von 215 GW, also fast das Dreifache. Die Hälfte davon soll auf Dachflächen, die Hälfte ebenerdig, also überwiegend auf landwirtschaftlich genutzten Flächen installiert werden.

Schon 2023 waren deutschlandweit mit 4,3 GW der neu installierten Leistung knapp ein Drittel der Anlagen Solarparks – ein Plus von rund 40 % gegenüber 2022. Und der Zubau geht dynamisch weiter: Bei der Ausschreibung für Freiflächensolaranlagen am 1. Dezember 2023 haben die Bieter bei einer ausgeschriebenen Menge von 1611 MW insgesamt 574 Gebote mit einem Volumen von 5485 MW eingereicht. Damit war das der ­Gebotstermin mit der höchsten Anzahl an Geboten sowie mit der größten Gebotsmenge in dieser Technologie.

Solarparks lösen schon heute nicht selten Diskussionen um den Flächenverbrauch in der Landwirtschaft aus: Für die 2023 installierten 4,3 GW sind etwa 4300 ha Fläche nötig. „Wenn künftig die Hälfte des Solarzubaus über Freiflächenanlagen realisiert werden soll, bedeutet das 80  000 bis 100  000 ha zusätzlich“, sagt Udo Hemmerling, Geschäftsführer des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG). Bezogen auf die gesamte Agrarfläche macht das nur 0,5 bis 0,7 % aus. Aber: „Vor Ort ist das schon ein Einschnitt in die Agrarstruktur, wenn eine Anlage einige Dutzend Hektar belegt“, sagt er. Gerade Pachtbetriebe mit Tierhaltung wären davon stark betroffen.

Der Flächenkonflikt ist aber nur ein Teil des Problems. Dazu kommt, dass Stromverbrauch, Netzausbau und die Installation von Speichern nicht auf den Ausbau der Solarstromleistung abgestimmt sind. Die in Deutschland installierte PV-Leistung ist bereits heute höher als die maximal benötigte Leistung (80 GW). Würden alle Anlagen unter Volllast laufen, könnten sie also theoretisch den Strombedarf in Deutschland auch zu Spitzenzeiten decken. Doch PV-Anlagen laufen nur selten unter Volllast und wenn dann tagsüber und insbesondere in den Sommermonaten. So bleiben viele Zeiten, in denen andere Kraftwerke – konventionelle und erneuerbare – einspringen müssen.

Auf der anderen Seite entstehen aber auch Stromüberschüsse: Gerade in der Mittagszeit, wenn die überwiegend nach Süden ausgerichteten Solaranlagen ihre Leistung voll einspeisen, wird an manchen Tagen mehr Strom produziert, als gebraucht wird. Um Netzüberlastungen zu vermeiden, müssen die Netzbetreiber den Strom dann günstig abgeben oder sie zahlen sogar dafür, dass er abgenommen wird – etwa vom Ausland. In diesem Fall spricht man von „negativen Strompreisen“.

Im Laufe der vergangenen Jahre sind die Zeiten mit negativen Strompreisen massiv gestiegen: von 15 Stunden im Jahr 2011 auf 301 Stunden im Jahr 2023.

Ein Risiko für Betreiber

Negative Strompreise sind ein Risiko für den einzelnen Betrieb: Nach dem EEG (§ 51) erhält der Betreiber keine Vergütung, wenn der Strompreis an der Börse drei Stunden lang negativ ist. Dieser Wert sinkt jährlich, im Jahr 2027 fällt die Vergütung schon ab einer Stunde mit negativen Strompreisen weg. Zum Vergleich: Aufgrund des starken Windaufkommens war der Dezember 2023 mit 72 Stunden der Monat, in dem der Börsenstrompreis am längsten ­negativ war, gefolgt von Juli mit 56 Stunden und Oktober mit 38 Stunden. „Daher muss man ernsthaft überlegen, ob eine alleinstehende Freiflächenanlage noch ein Geschäftsmodell ist oder ob man sie von Anfang an mit Speicher planen sollte“, sagt Hemmerling.

„Neue PV-Anlagen werden nach dieser Entwicklung in der Hauptzeit mittags und nachmittags zumindest nach dem EEG keine Erlöse mehr erzielen. Damit ist eine Wirtschaftlichkeitsberechnung wie bisher nicht mehr möglich“, ergänzt John Booth, Rechtsanwalt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht. Angesichts des großen Planungs- und Projektinteresses erscheine es fraglich, ob Investoren und Banken die Risiken schon eingepreist hätten.

Das nächste Problem: Wegen der Stromüberschüsse kommt es auch immer häufiger zu Abschaltungen von Wind- und Solaranlagen, um Netzüberlastungen zu vermeiden. In diesem Fall erhalten Anlagenbetreiber Entschädigungszahlungen – im Jahr 2021 waren es laut Bundesnetzagentur rund 800 Mio. €, im Jahr 2022 schon 900 Mio. €. Viel Geld für Strom, der nicht produziert wird.

Abhilfe brächte der schnellere Ausbau des...