Interview

Wüst: „Ich will keine Abhängig­keit bei Lebensmitteln“​

Hendrik Wüst will Landwirtschaft als Lebensmittelproduzent wieder sichtbar machen. Der NRW-Ministerpräsident im Wochenblatt-Interview.​

Wochenblatt: Herr Wüst, auf dem Bauerntag im Sommer in Münster haben Sie in etwa gesagt: Wenn die Bauern immer jammern, dann werden ihre Kinder keinen Bock haben, den Hof zu übernehmen. Wie nehmen Sie ­aktuell die Stimmung in der Landwirtschaft wahr?

Hendrik Wüst: Das ist so nicht richtig. Diese vermeintliche Aussage wurde komplett ohne Zusammenhang und Kontext herausgeschnitten und in die sozialen Medien gejagt. Wenn man den ganzen Abschnitt der ­Rede gehört hätte, würde aber deutlich: Das war keine Kritik an Bauern, sondern Selbstkritik der Politik. Es ging um fehlende Wertschätzung und darum, dass Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffen müsse. Wenn die jetzige Generation keine Perspektive mehr sieht, wie soll sie dann ihre Nachfolger motivieren? Wenn ihr die Wertschätzung fehlt? Ich bekomme zunehmend mit, dass Junglandwirtsfamilien kein gutes Gefühl mehr haben, in die Landwirtschaft zu investieren. Wenn sich dieser Trend weiter verstärkt, bedeutet das ­einen Bruch mit der Landwirtschaft, wie ich ihn in den letzten drei Jahrzehnten nicht erlebt habe. Die zustimmenden Reaktionen des Publikums beim ­Bauerntag haben mir gezeigt, wie sensibel und wie aufgewühlt die Stimmung unter den Landwirten mittlerweile ist. Es hat sich Frust angestaut, der auch politische Signale gibt.

Woran machen Sie diesen Frust fest? Und was stellen Sie ihm entgegen?

Die Politik hat in den letzten Jahrzehnten von der Landwirtschaft vieles gewollt und gewünscht. Und die Landwirtschaft hat viel geleistet, insbesondere in der Energieerzeugung und Landschaftspflege. Wenn es aber um Lebensmittelerzeugung ging, war das alles selbstverständlich. Dabei geht es hier im wahrsten Sinne des Wortes um unser tägliches Brot. Alles, was man ansonsten dis­kutiert hat beispielsweise in Bezug auf Düngemittel oder Pflanzenschutz, hat eher dazu geführt, Einschränkungen bei der Lebensmittelerzeugung in Kauf zu nehmen. Wir setzen bei vielen Themen – von Energieversorgung bis zur Chipindustrie – auf Souveränität bei Lieferketten. Aber gerade bei Lebensmitteln spricht Politik darüber nicht. Es ist unsere Aufgabe, Landwirtschaft wieder als Nahrungsmittelproduzent sichtbar zu machen. Ich will keine Abhängigkeit bei Lebensmitteln haben, wie wir sie beim Gas gehabt haben.

NRW ist ein Industrieland. Wo sehen Sie hier den Stellenwert der Landwirtschaft – außer als Flächenlieferant für Wohnbau-, Indus­trie-, Straßen- oder Ausgleichsflächen?

Nordrhein-Westfalen ist bundesweit Agrarland Nummer drei und das sollten wir auch selbstbewusst so benennen. Die Hälfte der Menschen in Nordrhein-Westfalen lebt im ländlichen Raum. Wir sind stolz darauf, ein starkes Industrieland zu sein. Aber wir können genauso stolz darauf sein, Agrarland zu sein. Der ausgedrückten Wertschätzung gegenüber der Landwirtschaft müssen wir nun politische Entscheidungen folgen lassen. Beispielsweise bei den Debatten über Wasser und Nitrat: Hier müssen wir uns die ­Mühe machen, genauer hinzuschauen, als es das EU-Recht derzeit vorsieht. Hof-bezogene und Betrieb-bezogene Einschränkungen sollten...