Frau Heinen-Esser, Deutschland größter Schlachthof, Tönnies in Rheda, bleibt dicht. In den Ställen stauen sich die schlachtreifen Schweine. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Dass der Ausfall eines Schlachtbetriebes die Kette ins Stocken bringen kann, zeigt leider sehr deutlich die Krisenanfälligkeit des Systems und auch Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Deshalb benötigen wir perspektivisch eine Neujustierung. Aktuell ist jedoch wichtig, dass der Schlachtbetrieb schnellstmöglich wieder Corona-gerecht anläuft. Wie dies aussehen kann, legen die Gesundheitsämter vor Ort fest. Im Vordergrund steht weiter die Gesundheit der Mitarbeiter, aber selbstverständlich auch der Tierschutz.
Sie überlegen offenbar, zusätzliche Auffangkapazitäten zu schaffen, um Schlachtschweine übergangsweise unterzubringen. Wie sollen diese aussehen?
Schon bei den ersten Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben vor einigen Wochen haben wir die Branche gebeten, flexibel zu sein und Alternativen zu prüfen, um Engpässe abzufedern. Die landwirtschaftlichen Verbände sagen uns, dass die aktuelle Lage bislang gerade noch beherrschbar sei. Aber der Druck nimmt jeden Tag zu. Die aktuelle Situation zeigt: Das System ist auf Kante genäht, erforderlich ist mehr Puffer. Dies betrifft Schlachtkapazitäten ebenso wie die Schaffung freier Stallkapazitäten. In der aktuellen Lage geht es darum, Tierschutzprobleme zu verhindern. Denkbar ist, Ställe zu nutzen, die nicht mehr belegt sind oder eine Maschinenhalle für die Haltung von Schweinen einzurichten. Wir müssen davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie noch länger Auswirkungen zeigt.
"Die Preise sind volatil und liegen aktuell noch in der üblichen Schwankungsbreite."
Die Kosten für Futter und Übergewichtsabzüge bleiben bei den Landwirten hängen. Bei der Europäischen Schweinepest hat das Land Betriebe unterstützt, die von Sperrungen betroffen waren. Planen Sie etwas ähnliches?
Nein. Die Preise sind volatil und liegen aktuell noch in der üblichen Schwankungsbreite. Wie erwähnt ist jetzt wichtig, dass der Schlachtbetrieb wieder – schrittweise und Corona-gerecht – anläuft. Dann wird sich die Lage hoffentlich entspannen. Tritt dies aber nicht ein, müssen wir über Alternativen, eventuell auch zur Unterstützung der Landwirte nachdenken. Dazu ist es aber noch zu früh. Klar ist, dass wir die Landwirte in dieser schwierigen Situation nicht alleine lassen. Davon unbenommen ist, dass wir künftig einen richtigen Mix finden müssen aus unternehmerischer Eigenverantwortung, staatlicher Unterstützung und fairen Preisen am Markt, die sicherstellen, dass die Wertschätzung auch bei den Landwirten ankommt.
Der Schweinepreis steht deutlich unter Druck. Was muss passieren?
Das Land kann die Preise nicht bestimmen. Das Wichtigste ist, dass es wieder ausreichend Schlachtkapazitäten gibt und die Tiervermarktung läuft. Entscheidend ist aber auch, dass es keinen weiteren Imageschaden für das Fleisch gibt und die Verbraucher wieder Vertrauen gewinnen. Die Branche sollte ihre Notfallpläne in der aktuellen Situation öffentlich machen. Das könnte die Akzeptanz erhöhen und transparent machen, dass Landwirtinnen und Landwirte auch in prekären Lagen den Tierschutz sicherstellen.
Auslaufen von Werksverträgen ab 2021, erhöhte Hygieneauflagen, Unterbringung der Mitarbeiter: Die Schlacht- und Zerlegekosten steigen. Was bedeutet das?
Der Marktpreis muss die höheren Kosten decken. Wir brauchen einen neuen Kodex der Fleischbranche, das zeigt die aktuelle Debatte deutlich. Alle Beteiligten müssen die Fleischqualität gemeinsam neu definieren und Umwelt-, Tierschutz- sowie Sozialstandards dabei mehr Gewicht geben.
"Mehr Tierschutz und bessere Arbeits- und Wohnbedingungen gibt es nicht zum Nulltarif."
Mit Lockangeboten für Lebensmittel soll Schluss sein, kam beim Fleischgipfel in Düsseldorf heraus. Wenige Tage später liefern sich Aldi und Lidl einen erbitterten Preiskampf. Wie passt das zusammen?
Gar nicht! Mehr Tierschutz und bessere Arbeits- und Wohnbedingungen gibt es nicht zum Nulltarif. Wir benötigen Preise, die den Kosten entsprechen. Hier sind auch die Verbraucher an der Ladentheke gefordert. Das Ringen um den günstigsten Preis und die größte Marge müssen am Ende die Landwirte bezahlen.
Wie wollen Sie verhindern, dass der Lebensmittelhandel den aktuellen Engpass in der Schlachtung für Preisdumping nutzt?
Über das Wettbewerbsrecht. Wir prüfen gerade, ob eine Bundesratsinitiative geltendes Recht weiter verschärfen kann. Der Verkauf unter Einstandspreis ist zwar bereits verboten, doch der Lebensmittelhandel kann dies zu leicht unterlaufen. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, die Branche nachhaltiger und damit zukunftsfähiger aufzustellen. Hier spielt der Handel und dessen Preisgestaltung eine Schlüsselrolle.
Das aktuelle Bild der Fleischbranche verunsichert viele Verbraucher. Sie sollen aber künftig mehr für Fleisch zahlen. Wie soll das gelingen?
Nur durch Transparenz: Ich bin für eine umfassende und klare Kennzeichnung des Fleisches. Es muss bis in den Stall nachvollziehbar sein, wie der Landwirt das Tier aufgezogen und gehalten hat. Wenn Verbrauchern das klar ist, wissen sie, wofür sie ihr Geld ausgeben. Und wer gut informiert ist, kann an der Ladentheke bewusst einkaufen.
Der Bundestag unterstützt die Vorschläge der Borchert-Kommission. Bleibt die Frage: Was gilt für Fleischimporte? Und welches Fleisch liegt im Supermarkt?
Wir leben in einer globalen Welt, auch die Landwirtschaft. Daher können wir die Einfuhr von Fleisch nicht verbieten. Am Ende haben es die Verbraucher in der Hand, was sie kaufen. Damit sie sich entscheiden können, fordere ich eine klare Kennzeichnung. Und im zweiten Schritt auch eine klare Regelung für Importe. Darüber hinaus will Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft nutzen, EU-weit für mehr Tierwohlstandards zu sorgen.
Der Bundesrat hat den Ausstieg aus der Kastenstandhaltung für Sauen beschlossen. Ihr Urteil?
Ich bin zufrieden. Der Kompromiss gibt Planungssicherheit. So können Landwirte ihre Sauenhaltung in NRW zukunftssicher weiter betreiben. Zudem ist der Ausstieg aus der Kastenstandhaltung im Deckzentrum ein Meilenstein, um den Tierschutz in der Nutztierhaltung zu verbessern. Jetzt geht es darum, die Veränderungen in den Ställen auch finanziell zu unterstützen.
Vor allem die Grünen haben auf das Ende des Kastenstands gepocht. Konnten Union und SPD dem nichts entgegensetzen?
Wir waren es, die gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen den Vorschlag eingebracht haben. Gesamtgesellschaftlich und parteiübergreifend ist klar, dass es ein „weiter so“ in der Nutztierhaltung und der Fleischproduktion nicht geben kann. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Landwirtschaft bei den Veränderungen für die Zukunft gestärkt hervorgeht. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gemeinsam gelingt. Das Beharren und Festhalten an veralteten Strukturen sind dabei aber keine guten Berater.
"Ich bin zuversichtlich, dass wir Anreize fürs Weitermachen schaffen."
Viele Sauenhalter sind resigniert. Sie scheuen die hohen Investitionskosten und wollen aussteigen. Die Abhängigkeit von Ferkelimporten wächst.
Aber was wäre denn passiert, wenn wir keinen Kompromiss gefunden hätten? Dann wäre es bei den alten Regeln geblieben und das Magdeburger Urteil hätte sofort gegolten. Dann hätten etliche Sauenhalter direkt aussteigen müssen. Ich finde, acht Jahre sind eine erträgliche Zeit, damit Landwirte sich entscheiden können, ob sie investieren oder nicht. Ich bin zuversichtlich, dass wir Anreize fürs Weitermachen schaffen. Ziel muss eine wirtschaftlich auskömmliche und tierschutzgerechte Sauenhaltung in NRW sein. Auch die Erwartungen der Verbraucher geht eindeutig in diese Richtung.
Der Umbau der Sauenställe kostet Milliarden, im Konjunkturprogramm stehen aber „nur“ 300 Mio. € für Tierwohlställe zu Verfügung. Bei der bisherigen AFP-Förderung scheiterten Sauenhalter oft an der 2 GV-Grenze oder daran, dass sie ihren Betrieb gewerblich führen. Was ist bei der Tierwohl-Förderung geplant?
Die landwirtschaftliche Rentenbank soll 300 Mio. € über ein Förderprogramm des Bundes austeilen. Die konkreten Anforderungen stehen noch nicht fest. Klar ist aber schon, dass es kein Geld für Bestandsaufbau gibt. Ich wünsche mir, dass der Förderzugang möglichst einfach ist.
Stocken Sie die Förderung mit Landesmitteln auf?
Zur Verbesserung des Tierwohls stehen im Konjunkturprogramm NRW 5 Mio. € bereit. Wir arbeiten mit Hochdruck an den entsprechenden Konditionen. Richtschnur ist der Dreiklang aus Förderbedarf, beihilferechtlichen Möglichkeiten und effizienter Abwicklung.
"Wir müssen den Konflikt zwischen mehr Tierwohl und Umweltschutz entschärfen."
Vor allem die Genehmigung für Neu- bzw. Umbauten machen den Schweinehaltern zu schaffen. Oft scheitern sie am Umweltrecht. Was plant das Land konkret?
Richtig, wir müssen den Konflikt zwischen mehr Tierwohl und Umweltschutz entschärfen. Der Gesetzesentwurf „Zur Verbesserung des Tierwohls in Tierhaltungsanlagen“ kann dabei helfen. Denn damit muss eine Änderung des Baugesetzbuches erfolgen. Das würde Baugenehmigungen für Ställe oberhalb der Umweltverträglichkeitsprüfung-Grenze erleichtern. Wir haben diesen Entwurf deshalb aufgegriffen und gemeinsam mit Baden-Württemberg einen Bundesratsantrag auf den Weg gebracht. Dieser soll auch in Baurechts-Ställen die Privilegierung stärken, wenn Landwirte in mehr Tierwohl investieren. Klar ist aber auch, dass wir entsprechende Erleichterungen im Umwelt- beziehungsweise Immissionsrecht vorantreiben müssen.
Noch bis Ende der Legislaturperiode soll die Bundesregierung Vorschläge für mehr Tierwohl in der Rinder- sowie Geflügelhaltung vorlegen. 2021 ist Wahlkampfjahr. Ist die Tierhaltung dann Spielball der politischen Schlacht?
Die Interessen der Landwirtschaft und das Wohl der Nutztiere sollten nicht zu Wahlkampfzwecken instrumentalisiert werden. Ich gehe aber davon aus, dass die Nutztierstrategie auch auf der Agenda der Politik in den nächsten Legislaturperioden steht. Hier einen Wandel hinzubekommen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich will die gebotene Sachlichkeit und die Forderungen nach einer zukunftsfähigen und wirtschaftlichen Landwirtschaft in den Vordergrund stellen.