Pressestimmen zum Abschlussdokument

Weltnaturkonferenz in Montreal: „Neuer Schutzschirm für die Natur“

Nach fast zwei Wochen Verhandlungen ist die Weltnaturkonferenz in Montreal beendet worden – unter anderem mit der Vereinbarung, 30 Prozent der Landflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen.

Nach fast zwei Wochen der Verhandlungen ist am Montag die internationale Weltnaturkonferenz in Montreal beendet worden. Die Staaten einigten sich unter anderem darauf, 30 Prozent der Landflächen bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen. Was das genau bedeutet - darüber gehen die Meinungen der journalistischen Beobachter hierzulande auseinander, wie unser Blick in die Kommentarspalten deutscher Medien zeigt.

Deutschlandfunk
Die Weltgemeinschaft hat sich bei der UN-Biodiversitätskonferenz dazu verpflichtet, Dinge zu tun, die ihr Überleben sichern könnten: 30 Prozent der Landflächen sollen unter Schutz gestellt werden, das kann auch Wiesen vor der Umwandlung in Äcker bewahren. Mit Geld aus dem globalen Norden soll die Natur auch im globalen Süden geschützt. Die Staaten einigten sich auch darauf, Überdüngung und negative Folgen von Pestiziden bis zum Ende des Jahrzehnts zu halbieren. Das ist gut unter anderem für Insekten, deren Bestand seit Jahrzehnten dramatisch schrumpft.
Das Naturschutzabkommen von Montreal ist ein Durchbruch, der vorab nicht so erwartet werden konnte. Vor allem weil es konkrete Ziele enthält, einschließlich der Pflicht zur Überprüfung und Berichterstattung. Das verringert das Risiko, dass der Naturschutz nur auf dem Papier stattfindet. Dieses Mal unterstreichen die Länder den Ernst ihrer Bemühungen auch mit Geld: Die Finanzhilfen für Länder, die aus eigener Kraft nicht genügend Mittel für die Natur aufbringen können, sollen bis 2030 auf jährlich 30 Milliarden Dollar steigen.

FAZ
Das Pariser Klimaabkommen von Dezember 2015 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Nicht so das Weltnaturabkommen. In Mont­real hat man sich auf eine globale Zielvereinbarung geeinigt. Völkerrechtliche Verbindlichkeit kann sie nicht beanspruchen, auch wenn findige Juristen darauf verweisen, der neue Schutzschirm für die Natur werde nicht nur über Tiere und Pflanzen aufgespannt, sondern ebenfalls zur Wahrung unabdingbarer Menschenrechte. (...) Im rauen Weltklima ging es darum, Stimmung zu erzeugen: ein Gefühl des gemeinsamen Aufbruchs und kollektiver Verantwortung für das große Ganze – inmitten der vielen geopolitischen Konflikte.
Natürlich mussten Kompromisse geschlossen werden. Nebulös bleibt das Ziel, den ökologischen Fußabdruck zu verringern. Um es konkret werden zu lassen, hätte man über globale Gerechtigkeits- und Verteilungsprobleme diskutieren müssen. Sie werden nicht verschwinden, indem man sie immer wieder beiseitelässt.

Die Glocke
Es ist rechtlich nicht verbindlich, sieht keine Sanktionsmöglichkeiten vor und weist einige schwammige Formulierungen auf. Wenn das Papier dennoch zum Erfolg werden soll, dann müssen die Finanzzusagen reicherer an ärmere Länder eingehalten werden.

Süddeutsche Zeitung
Was die Natur braucht, ist eine sozial-ökologische Transformation oder anders formuliert - die Gesellschaft muss sich ändern. Niemand sagt, dass das einfach wird. Aber es ist machbar.
Beispiel Deutschland: Hier ist etwa das Artensterben in der Agrarlandschaft am schlimmsten. Unter anderem Insekten und Vögel verschwinden, weil sie in den grünen Wüsten weder Nahrung noch Unterschlupf finden. Mehr Ökolandbau könnte Abhilfe schaffen; die im Koalitionsvertrag festgelegten 30 Prozent sind gut, reichen aber nicht. Zusätzlich bräuchte es eine Ökologisierung des konventionellen Anbaus, unter anderem durch die im Montreal-Abkommen festgelegte Halbierung des Pestizid-Einsatzes.
Das wiederum funktioniert aber nur, wenn Deutschland beziehungsweise die EU die in Montreal beschlossene Umsteuerung der Subventionen ernst nimmt. Zum Beispiel könnten die sechs Milliarden Euro, die Deutschland jedes Jahr aus Brüssel für die Landwirtschaft bekommt, so verteilt werden, dass Artenschutz und Klimaschutz in der Landwirtschaft finanziell honoriert werden.
Problematisch ist, dass dann die Erträge zurückgehen - Schätzungen zufolge um etwa 30 Prozent. Hier kommen die Verbraucher ins Spiel, die ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen müssen. Erstens, indem sie weniger Lebensmittel wegwerfen, und zweitens, indem sie weniger Fleisch essen. Das heißt nicht, dass alle Deutschen Vegetarier werden müssen, um die Welt zu retten. Es würde schon reichen, den Fleischkonsum um etwa ein Viertel zu reduzieren.

Die Welt
Wenn von den geschätzt acht Milliarden Tier- und Pflanzenarten eine Milliarde vom Aussterben bedroht ist, dann ist das nicht nur ein ökologisches Desaster, sondern katastrophal für die Lebensbedingungen künftiger Generationen. Deswegen ist es weit mehr als romantische, um politische Korrektheit bemühte Rhetorik, wenn in der Übereinkunft das Ziel ausgegeben wird, „in Harmonie mit Mutter Erde“ zu leben.

Die Tageszeitung
Das Abkommen als nutzlosen Papierstapel zu betrachten wäre falsch. Das würde sowohl die Herausforderungen der UN-Konvention als auch die Möglichkeiten des Abkommens unterschätzen. In Deutschland wird es künftig schwerer, bei Wildtierschutz vor allem an Tiger in Indien zu denken und zu argumentieren, in der hiesigen Kulturlandschaft sei für Wölfe kein Platz.
Der Schutz der Biodiversität ist abhängig von Flächen, von dem konkreten Handeln auf Grund und Boden, an Küste und im Meeresgebiet. Er kann daher nur vor Ort, im mühsamen und zähen Abgleich von Interessen, geschehen. Wer sich künftig für Tiere und Pflanzen, intakte Böden und Meere einsetzt, wer die Rechte von Gesellschaften einfordert, die sich dem Entwicklungsmodell der Industriegesellschaft nicht anschließen möchten – die können sich auf das Abkommen von Montreal berufen.
Mehr war im Augenblick nicht drin. Aber dass die Weltgemeinschaft zu diesem gemeinsamen Signal gefunden hat, ist auch einen Titel wert.

Lesen Sie mehr: