Herr Gorn, im Frühjahr standen die Zeichen auf deutlich höhere Milchpreise, Optimisten sahen Grundpreise von 40 Cent/kg. Warum ist davon bisher nur wenig zu spüren?
Im ersten Quartal dämpften teils noch schwächere Entwicklungen aus Herbst 2020 den Weg nach oben. Ab März ging es mit den Milchpreisen aufwärts. Vor allem, weil die Molkereien ihre Erlöse bei Butter und Pulverprodukten sowie im Versandgeschäft verbesserten. So kletterte der Kieler Rohstoffwert, der die Verwertung für Butter und Pulver zeigt und ein Indikator für die Milchpreis-Entwicklung ist, im Juni auf 37,5 Cent/kg. Allerdings folgte Käse, der für rund die Hälfte der deutschen Milchmenge steht, durch Absatzschwierigkeiten bei Großverbrauchern langsamer. Zudem ziehen Produkte mit langfristigen Kontraktlaufzeiten wie Trinkmilch und Käse im Lebensmitteleinzelhandel erst zeitlich verzögert nach.
Spotmilch bei 40 Cent/kg
Die Spotmilchpreise sind dagegen auf rund 40 Cent geklettert und die Milchanlieferung in Deutschland liegt gut 2 % unter Vorjahr und auch unter 2019. Mengendruck gibt es also nicht, oder?
Das Angebot an den Rohstoff- und Produktmärkten war seit Jahresbeginn durch die gedämpfte Milchanlieferung und die rege Nachfrage knapp. Das hat zu den teils deutlichen Preisanstiegen geführt. In der ruhigeren Phase über Sommer hat sich die Lage etwas entspannt. Bei Butter und Pulver gab es Preisrückgänge, der Rohstoffwert ist im Juli auf 36,2 Cent/kg gesunken. Die Bestände sind aber vergleichsweise niedrig. Und aktuell ziehen die Preise zum Teil wieder an.
In EU und weltweit mehr Milch
Wie sieht die Milchmengen-Entwicklung in Europa bzw. weltweit aus?
In Europa dämpfen die deutlichen Milchrückgänge in den großen Erzeugerländern Deutschland, Frankreich und den Niederlanden das Gesamtergebnis. In Summe haben die Molkereien in der EU aber bis Mai 0,5 % mehr Milch erfasst als im Vorjahr, vor allem durch starke Zuwächse in Irland und Italien. Auch weltweit dominieren Milchzuwächse das Bild. In den USA stieg die Milcherzeugung um rund 3 %, in Neuseeland um gut 6 % und in Australien um 2 %. Dadurch ist das Exportangebot am Weltmarkt groß.
Das Jahr ist im Lockdown gestartet, seit dem Frühsommer läuft das öffentliche Leben wieder an und nun endet die Ferienzeit: Was erwarten Sie für den Binnenkonsum von Milch und Milchprodukten?
Die gelockerten Corona-Maßnahmen haben den Absatz in Hotels, Restaurants und Gaststätten beflügelt. Gleichzeitig hat dieser vermehrte Außer-Haus-Verzehr jedoch die Absätze über den Lebensmittelhandel gedämpft. In Summe dürfte sich der private Konsum von Milchprodukten in Deutschland aber auf einem höheren Niveau einpendeln. Denn perspektivisch setzt der ein oder andere Verbraucher seine vermehrten Kochaktivitäten zuhause fort.
Machtspiele des Handels
Einzelne Lebensmitteleinzelhändler haben die Laufzeiten sowie die Preisfindung für Kontrakte der Weißen Linie (Trinkmilch usw.) geändert. Zudem die Forderung nach Mehrwertprodukten. Wie wirkt sich auf die Erzeuger aus?
Längere Kontraktlaufzeiten bieten den Marktpartnern zwar Planungssicherheit, koppeln die Preise jedoch tendenziell von den Marktentwicklungen ab. Angedacht in den neuen Kontrakten ist ein variabler Faktor zur Preisfindung. Wenn dieser entsprechend aufgelegt ist, lässt sich die Preisabkopplung mit Blick auf die Wertschöpfung der Molkereien und damit auf den Milchpreis für die Erzeuger kompensieren. Der Trend zu Mehrwertprodukten ist seit Längerem auch im Kühlregal spürbar. Gerade bei der frischen Konsummilch nimmt der Anteil der Standardvariante im Preiseinstieg ab. Gewinner sind Milcharten mit besonderen Kriterien wie z.B. der Haltungsform. Sofern die Wertschöpfungskette den Mehrwert bis zum Erzeuger durchreicht, kann sich dies positiv auf den Milchpreis wirken. Aber auch nur dann. Denn die Betriebe haben durch Maßnahmen zu Nachhaltigkeit, Tierschutz und Tierwohl höhere Kosten.
Exportmärkte unter Druck
Weltweit mehr Milch, die Exportmärkte unter Druck: Auf der internationalen Handelsplattform Global Dairy Trade sanken die Preise bis Anfang August achtmal in Folge. Warum stottert die Nachfrage?
Ja, die internationalen Preise für Milchprodukte haben wieder nachgegeben. Zuvor gab es allerdings einen rasanten Anstieg. Im langjährigen Vergleich bewegt sich der Weltmarkt immer noch auf recht hohem Niveau. Die Nachfrage hält mit steigenden Exportangebot aktuell nicht Schritt. Auf der Nordhalbkugel hat die Ferienzeit die Aktivitäten verlangsamt. Zudem haben sich in Teilen Asiens und Südamerikas die Lockdowns durch die verschärfte Coronasituation dämpfend ausgewirkt.
Viel hängt an China und Asien. Was erwarten Sie hier?
Die Nachfrage aus Asien war im ersten Halbjahr insgesamt sehr hoch, trotz regionaler Einbrüche durch Corona. Vor allem China, das wirtschaftlich recht gut durch die Pandemie gekommen ist, hatte extrem hohe Zuwachsraten. Produktübergreifend haben die Chinesen mehr Milcherzeugnisse importiert, vor allem im Pulverbereich. Davon profitiert auch die EU stark. Ich erwarte einen anhaltend hohen Bedarf in dieser Region, bei allen Unsicherheiten auch durch die Corona-Pandemie. Allerdings könnten die knappen Containerkapazitäten die Warenströme beeinträchtigen.
35 bis 36 Cent/kg im Schnitt 2021
Unterm Strich: Ihre Milchpreisprognose bis Jahresende?
Im ersten Halbjahr lag der Erzeugerpreis in Deutschland im Mittel 1,4 Cent/kg über Vorjahr. Im Juni betrug der Vorsprung sogar 4,5 Cent/kg, über die Sommer dürfte er weiter zugelegt haben. Im dritten Quartal schwächt sich der Preisanstieg durch die Sommerflaute und die Delle bei Butter und Milchpulver voraussichtlich ab. Bei anziehenden Märkten dürfte es dann im vierten Quartal aber beim Milchgeld Spielraum nach oben geben. Unabhängig davon bekommen die deutschen Milcherzeuger nach drei Jahren mit Preisrückgängen 2021 wieder mehr Geld für die Milch. Der Bundesschnitt dürfte sich zwischen 35 und 36 Cent/kg einpendeln. Das wären im Mittel rund 10 % mehr als im Vorjahr.