"Bei allen Herausforderungen, die Veränderungen mit sich bringen, ergeben sich auch immer neue Chancen.“ Dieser Satz zog sich wie ein roter Faden durch den ersten LVM-Landwirtschaftsabend gestern auf Gut Havichhorst in Münster.Das zeigte sich beispielsweise in der Corona-Pandemie. Bei allen Härten hat sie auch für den dringend nötigen Digitalisierungsschub gesorgt. Daher kann der Wandel, in dem sich die Landwirtschaft befindet, auch seine gute Seiten haben.
Skepsis als Kaufmann
„Aber Veränderung ist auch Stress“, sagte Heinz Gressel, Vorstandsmitglied der LVM. Doch wenn man sich erstmal auf den Weg gemacht habe, dann müsse es auch Spaß machen. Und dennoch rät er zu einer gesunden Portion Skepsis: „Skepsis als Kaufmann, der einen Hof bewirtschaftet, das gehört einfach dazu.– Ansonsten machst Du Fehler und man kann nicht zwei-, dreimal hintereinander investieren.“
Kein „Entweder oder“
Wie vielfältig die veränderten gesellschaftlichen Wünsche und Bedürfnisse sind, zeigte Daniel Anthes. Der „kritische Zukunftsoptimist“ nahm die rund 200 Teilnehmer mit auf die Reise durch die zwölf Megatrends unserer Zeit. Dazu zählen unter anderem:
Nachhaltigkeit: Der Einsatz von Robotern und Künstlicher Intelligenz im Anbau von Lebensmitteln, um Ressourcen wie Wasser oder Dünger zu sparen.
Urbanisierung: Vertikale Landwirtschaft, um die Transportwege von der Urproduktion zur Verarbeitung zu verkürzen. Das kann auch der Anbau von Salat mitten im Gastraum des Restaurants sein.
Hyper-Personalisierung: Individualisierung wird beim Essen immer wichtiger. Japanische Sushi-Restaurants treiben es schon auf die Spitze und bieten speziell auf die DNA der Gäste abgestimmtes Speisen an.
Regionalisierung: Den Anbau exotischer Produkte in die Region verlagern, wie auf dem Biohof Mühl mit dem Anbau von Reis und Soja.
Nachhaltigkeit: Hier gibt es fortlaufend Innovationen. So hat sich das finnische Unternehmen Solar Foods zum Ziel gesetzt, das CO2 aus der Luft essbar zu machen. Das durch Mikroben erzeugte, pulverige Solein soll für die menschliche Ernährung geeignet sein.
Vernetzung: Restaurants, in denen die Kunden mit virtual Reality Brillen mehr über die Herkunft der Produkte auf dem Teller erfahren.
Transparenz: Mit Blockchain Technik soll Lieferketten nachvollziehbar machen.
Dabei betont der studierte Humangeograph, dass es zu jedem Trend auch einen Gegentrend gebe. Der Wunsch nach dem romantischen Bild der Landwirtschaft stehe dabei zum Beispiel der voll automatisierten Produktion gegenüber. Außerdem stehe der Wunsch nach individualisierten Lebensmitteln der vom Streben nach Effizienz getriebenen Reduktion der für die menschliche Ernährung genutzten Pflanzenarten gegenüber.
Doch Zukunft sei kein Entweder oder, bekräftigt Anthes. Vielmehr sei sie eine ganz individuelle Entscheidung. Wie die Zukunft der Ernährung und damit die Lebensmittelproduktion aussieht, entscheidet jeder Einzelne mit.
Das Video zum LVM-Landwirtschaftsabend inklusive Kurzvideos zu den vier Betrieben finden Sie hier.
Wie auf den Wandel reagieren?
Doch wie reagieren Betriebsleiter in NRW und Deutschland auf diese Veränderungen? Vier Landwirte stellten ihre Betriebe samt Anpassung in Kurzportäts vor.
Hier geht's zum Video über Carl Hendrik May, Schweinemäster aus Drensteinfurt: Er hält seine 800 Tiere auf Stroh und führte seinen Betrieb vom Nebenerwerb zurück in den Vollerwerb. Seitdem vermarktet er rund 30 Tiere pro Woche über seinen Hofladen sowie den regionalen Einzelhandel. Besonderen Fokus legt er auf die Transparenz seiner Produktion. Glasscheiben im Handwerksbetrieb sowie der Metzgerei ermöglichen den Kunden direkte Einblicke. Die Bildschirme über der Ladentheke zeigen dank Kameras Aufnahmen aus den Ställen. Carl-Hendrik May ist sicher: Das schafft Vertrauen.“#
Die Sequenz zu Georg Muth-Köhne aus Schmallenberg-Ebbinghof, dem 1. Bioenergiedorf NRWs: In Kooperation mit einem Nachbarbetrieb betreiben Muth-Köhnes seit 2009 eine Biogasanlage, in der unter anderem der Mist aus der Sauenhaltung (1200 Plätze) und der Mast (4000 Plätze) verwertet wird. Alle Plätze entsprechen den Haltungsformstufen 3 und 4. Muth-Köhne hofft, damit eine Nische zu besetzen und seine Tierhaltung so zukunftsfähig zu machen. Zum Konzept des Bioenergiedorfes gehören aber auch das in Eigenleistung verlegte Nahwärmenetz, das über ein Blockheizkraftwerk, ergänzt um eine Hackschnitzelheizung für die Wintermonate, betrieben wird und unter anderem ein Hotel versorgt.
Sven Damm aus Niedenstein in Nordhessen produziert Garnelen: 2016 stieg Damm aus der Schweinehaltung aus und wandte sich der Aquakultur zu. Mittlerweile produziert er im geschlossenen Salzwasserkreislaufsystem 15 t Garnelen pro Jahr. Den Strombedarf für die Produktion deckt er über die eigene PV-Anlage auf dem Dach. Die für die Produktion benötigte Wärme stammt aus der Biogasanlage. Damms vermarkten ihre „Landgarnele“ über ihren Hofladen, den Onlineshop sowie über die Gastronomie.
Hier geht's zum Video von Marie Hoffmann, Betriebsleiterin auf einem Ackerbaubetrieb in Lippetal und Influencerin: Gut eine halbe Millionen Menschen folgen ihr in den sozialen Netzwerken. Die junge Frau berichtet dort von dem, was die moderne Landwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit tut. Im Rahmen ihrer Promotion will sie sich mit Agri-PV beschäftigen. Notwendigkeit zum Wandel sieht sie in der Landwirtschaft besondners in einem Punkt: „Wir müssen die Biologie in unseren Ökosystemen mehr verstehen - Die Anbaukonzepte sind das Wichtigste.“ Technische Innovationen kämen noch obendrein für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit.
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