Durchschnitt reicht nicht mehr. Betriebsleiter müssen stärker nach Alternativen zur Standardprodukten bzw. neuen Geschäftsmodellen suchen oder mit besonderem Wissen bzw. Können rentabler wirtschaften als andere. Denn eine nur durchschnittliche unternehmerische Qualifikation auf einem durchschnittlichen Standort führe „in der neuen Realität“ nicht automatisch zu einem ausreichenden Ergebnis, warnte der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, am Mittwoch dieser Woche auf der DLG-Wintertagung in Münster.
Mit „neuer Realität“ meint Paetow die Wirklichkeit nach der Corona-Pandemie, in der sich das gesellschaftliche Miteinander neu koordiniere. Auch in der Landwirtschaft gebe es neue Faktoren. Diese reichen von Verwerfungen auf den globalen Lieferketten über stark schwankende Märkte bis hin zu den Grundsatzdebatten über die Ausrichtung der Landwirtschaft in Deutschland und Europa. Die Klimaerwärmung und der Rückgang der Biodiversität seien Indikatoren, an denen sich die Landwirtschaft orientieren könne.
Risiko einer unternehmerischen Fehlentscheidung
Die neuen Faktoren bringen gewohnte Mechanismen durcheinander und sorgen für Verunsicherung, sagte der DLG-Präsident. Auch, weil sie sich stark von der Vergangenheit unterscheiden: In den vergangenen Jahrzehnten hätten Effizienz- und Produktionssteigerungen in der Nutztierhaltung sowie der Flächenbewirtschaftung im Fokus gestanden, stark gestützt von technischem Fortschritt. Es ging um Ertrag und Faktorproduktivität. Die neuen Indikatoren oder öffentlichen Güter ließen sich hingegen nicht so einfach messen beziehungsweise bewerten. Vor allem seien diese Indikatoren noch nicht marktfähig. „Eine politische Meinungsäußerung zur Nachhaltigkeit ist noch lange keine Kaufentscheidung des Verbrauchers“, stellte Paetow klar.
In einem freien Spiel von Angebot und Nachfrage stelle sich ein schonenderer Umgang mit den natürlichen Ressourcen nicht von selbst ein, sagte Paetow. Dafür brauche es marktpolitische Instrumente und Planungssicherheit. Allerdings sollte der Staat den Landwirten das Risiko der unternehmerischen Fehlentscheidung oder einer nicht wettbewerbsfähigen Betriebsorganisation nicht abnehmen, sagte der DLG-Präsident: „Planungssicherheit heißt nicht Vollkaskoversicherung!“
Werde ich gebraucht?
Dass der Landwirtschaft ein Umbruch bevorsteht, ist auch für Prof. Dr. Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) sicher. Die Politik könne dabei durch Investitionsförderung teilweise unterstützen. Aber Prof. Dr. Balmann warnte eindringlich, Planungssicherheit durch dauerhafte staatliche Zahlungen für höhere Tierwohlstandards zu erwarten. Zum einen wären diese kaum gegenüber Tierhaltern in den Nachbarländern zu rechtfertigen. Zum anderen könnten sich diese Zahlungen schnell in die Markterlöse einpreisen - wenn der Handel sich nicht darum kümmern müsse, die Tierwohlprodukte zu bekommen, sondern sich Tierhalter die Förderung schön rechnen und erwarten, dass damit alles gut werde. „Die einzige Planungssicherheit ist, Unsicherheiten in Entscheidungen einzupreisen und nicht länger mit Abschreibungszeiträumen von Jahrzehnten zu rechnen“, sagte Prof. Dr. Balmann.
Er appellierte etwas provokant an die Unternehmer, sich zu fragen, ob man mit dem Betrieb etwas leisten könne, was sonst niemand kann. Wenn andere ihre Prämien, ihre Produktionsprozesse ebenso gut optimieren könnten, wozu werde man dann überhaupt gebraucht? Und wenn man nicht gebraucht werde, könne man keinen Erfolg haben. Unter Umständen würde man nicht einmal dann gebraucht, wenn man etwas besser könne als andere, sagte Prof. Dr. Balmann: „Und zwar dann, wenn viele unrentable Betriebe im eigenen Umfeld einfach weitergeführt werden, weil Fördermittel fließen, Steuervorteile locken oder sie keine Alternativen erkennen. In so einem Umfeld würde sich ein Unternehmertyp vermutlich anderweitig umsehen und echte Alternativen suchen, anstatt zu überlegen, einen neuen Stall zu bauen.“
15 Mega-Trends und vier Hypothesen
Wer ahnen will, was die Zukunft bringt, müsse sich mit den Mega-Trens beschäftigen. Sie seien die großen Veränderungstreiber. Dr. Eike Wenzel, ITZ Institut für Trend- und Zukunftsforschung, Gründer und Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung, sieht 15 Mega-Trends:
· Klimawandel (Neo-Ökologie)
· Energiewende und Infrastrukturen (Powershift)
· Rohstoffe (Wasser, Metalle, Agrar)
· Bevölkerungswachstum in Städten (Neo-Urbanisierung)
· Multipolare Weltordnung/Migration
· Demografischer Wandel
· Gesundheit
· Wandel der Arbeitswelt (New Work)
· Digitalisierung
· Mobilität
· Individualisierung
· (Digitale) Bildung
· Dezentralisierung
· Familiäre Beziehung und Rollenbilder (Familie 2.0)
· Ungleichheit
Mit Blick auf die Ernährung geht Dr. Wenzel davon aus, dass mehr und vor allem junge Menschen ihren eigenen Lebensstil ganz stark darüber definieren, was sie essen und wo das Essen herkommt. Im Fokus stünden alternative Eiweißquellen. Für die Landwirtschaft bedeute das: mehr Bio, regionaler, mehr kleine und mittelständische Unternehmen. Er stellte dazu vier Zukunftshypothesen auf:
1. „Genug für alle“ ist die große Herausforderung. Weil es die die Nahrungsmittelindustrie dazu zwingt, von ihrem alten Paradigma abzurücken: möglichst viel zu möglichst günstigen Preisen. Statt Überfluss zu produzieren, gehe es darum, gesunde Lebensmittel unter anständigen Arbeitsbedingungen herzustellen.
2. Der Systemwechsel kommt nur durch ein neues Gespräch zwischen Industrie und Politik voran: Der Einfluss der Marktlogik auf das weltweite Ernährungssystem muss begrenzt werden.
3. Individuelle Ernährungskompetenz braucht verantwortungsvolle Märkte: Das könne aber nur gelingen, wenn Gesellschaft und Politik die Leitplanken für ein neues System setzen, das klare Anreize für die Herstellung, das Marketing und den Konsum von gesunden Lebensmitteln schafft.
4. Mittelständischer werden: Im Anschluss an die positiven Effekte regionaler und lokaler Wertschöpfung in der Pandemie ist die Politik gefordert, Mittelstand und Kleinunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu fördern. Es gehe um (Lebens-)Qualität statt betriebswirtschaftlicher Effizienz.
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