Sommerlicher Dauerregen, Getreide, das auf dem Halm auswächst und Mähdrescher, die selbst bei Sonne kaum dem reifen Korn beikommen, sondern im Boden versinken: Wann hat es das zuletzt gegeben? Das fragen sich derzeit viele auf dem Land und kramen in Erinnerungen oder alten Aufzeichnungen.
Weit zurück muss in der Chronik des Wetters aber nicht geblättert werden. Denn der letzte, mächtig verregnete Sommer setzte der hiesigen Landwirtschaft 2007 zu, vor 16 Jahren also. Im Frühjahr jenes Jahres war es lange trocken, ehe es in der zweiten Mai-Woche zu regnen begann. Über Wochen hörte der Regen nicht auf. Erst Anfang August klarte der Himmel über Westfalen allmählich auf. Allein in diesen drei Monaten fielen bis zu 500 mm Niederschlag – diese Menge wurde seinerzeit etwa am Haarstrang gemessen.
„Niagara“ an der Möhne
Die nahe Möhnetalsperre drohte angesichts der Wassermengen überzulaufen. Das hatte es zuletzt 1984 gegeben, also 23 Jahre zuvor. Der Ruhrtalverband, Betreiber der 130 Mio. m3 fassenden Talsperre, sah sich gezwungen, kontrolliert Wasser abzulassen. Die sonst so beschauliche Staumauer wandelte sich im August 2007 zu „Westfälischen Niagarafällen“, wie es in den Zeitungen hieß. Tausende Schaulustige kamen täglich, um sich das Spektakel anzusehen.
Und die Getreideernte? Mitte August meldete das Wochenblatt, dass die Landwirte und Lohnunternehmer das schöne Wetter des ersten Augustwochenendes zum Dreschen genutzt hätten. Im Sauerland und in den höheren Lagen Ostwestfalens aber standen noch „schätzungsweise 15 bis 20 % des Getreides auf dem Halm“.
Der Schaden betraf den Nordwesten und Norden Deutschlands, nicht hingegen den Süden. Die bundesweiten Erntemengen bei Getreide lagen deshalb „nur“ 6 % unter dem des Vorjahres, wie das Bundeslandwirtschaftsministerium später bekannt gab.
Der Durchschnitt täuschte auch beim Blick auf die Getreidearten. Bei Winterweizen lag die Gesamtmenge nur knapp 6 % unter der des Vorjahres, bei Gerste hingegen betrug das Minus 12,4 %, bei Sommerweizen sogar 36,1 %. Mais hingegen hatte vom Dauerregen profitiert: Bei Körnermais und Corn-Cob-Mix lag die Erntemenge um ein Sechstel höher als im Vorjahr.
Auf der Liste der nassesten Sommer belegt das Jahr 2007 für den Nordwesten Deutschlands zweifellos einen der vorderen Plätze. Das bestätigen die Berechnungen des Bochumer Meteorologen Fabian Ruhnau. Er stützt sich auf Daten des Deutschen Wetterdienstes, die mehr als 140 Jahre zurückreichen. Für das Rheinland und Westfalen hat Ruhnau ausschließlich die Niederschläge der Erntemonate Juni, Juli und August ausgewertet.
1882: Getreide ernten im Oktober
In dieser Rangliste der „nassen Sommer“ zwischen Rhein und Weser steht allerdings das Jahr 1882 mit großem Abstand auf Platz eins. Ein Blick in die Zeitungen jenes Jahres bestätigen das. „Vergeblich hat unser Auge oft wochenlang nach einem heiteren Himmel in dieser Jahreszeit ausgeschaut“, notierte etwa die „Rhein- und Ruhrzeitung“ in einem Ernterückblick vom Niederrhein.
Aus dem Bericht vom 11. Oktober 1882 geht auch hervor, dass die Bauern die Getreideernte noch nicht abgeschlossen hatten: „ Seit langer Zeit sieht man einmal wieder Getreideschober (zu einem Lager aufgeschichtete Garben) auf den Feldern stehen, die davon Zeugnis ablegen, dass der Bauersmann die Erzeugnisse seiner Äcker in den Scheunen nicht mehr bergen konnte.“
1954: "Getreide steht im blanken Wasser"
Auf der Rangliste der „nassen Sommer“ zwischen Rhein und Weser stehen auch 1954 und 1956 vorn. Blättert man in den Jahrgängen des Landwirtschaftlichen Wochenblattes, kommt einem das Wasser fast entgegen:
„Die Folgen des seit Jahrzehnten nicht erlebten Regens am letzten Sonntag lassen sich noch gar nicht absehen“, heißt es dort etwa am 19. August 1954. „In ganz Westfalen und Lippe ist in zwölf Stunden ebenso viel und mehr Regen gefallen, als dem Monatsmittel entspricht. Vielfach steht das Getreide im blanken Wasser. Und dazu die trostlose Wettervorhersage: Vor Ende August keine grundlegende Wetteränderung!“
Der anonyme Autor stöhnte: „Wer kann sich dessen entsinnen, dass ein sehr großer Teil des Roggens Mitte August im Münsterland oder Lippe noch auf dem Felde stand?“ Gemeint waren die Garben, die mit dem pferdegezogenen Mähbinder geschnitten und in Hocken auf den Feldern aufgestellt waren, um ein, zwei Tage zu trocknen. Doch davon konnte in jenem nassen Sommer keine Rede sein. „Sechs volle Wochen nach dem bei uns üblichen Getreideerntebeginn stehen immer noch in großem Ausmaß die Hocken auf dem Feld“, setzte das Wochenblatt am 2. September 1954 nach. Vielerorts stehe „sogar noch der Roggen auf dem Halm“. Und weiter:
„Scheint ein paar Stunden die Sonne, dann wird überall versucht, die Ernte zu bergen. Selten sieht man einen Schlepper allein beim Getreidemähen. Überall sind drei oder vier Pferde vorgespannt, um ihn vor dem Steckenbleiben im tief aufgeweichten Boden zu bewahren. Leider haben viele Landwirte aus der Angst vor neuem Regen das Getreide zu feucht eingefahren, so dass es in den Scheunen weiteren Verderb ausgesetzt sein wird.“
1956: Dauerregen, kalt und ohne Sonne
Kaum besser fiel zwei Jahre später der Sommer aus. Im Juni 1956 ging das Anderthalbfache des langjährigen Mittels an Niederschlägen in Westfalen nieder, im Juli fiel an insgesamt 21 Regentagen das 2,4-Fache des langjährigen Mittels. Laut Wetteramt in Essen war es auch der kälteste und sonnenscheinärmste Sommer seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen.
Dementsprechend spät begann die Getreideernte. Das Wochenblatt blickte am Erntedankfest 1956 zurück:„Anfang September waren auch in der Ebene an vielen Stellen noch ungemähte Roggenbestände und nach Mitte September noch Winterweizenfelder, die auf den Mähdrescher warteten, zu sehen. Der Boden konnte bis weit in den August hinein vielfach Erntemaschinen und -wagen nicht tragen. Reifes Lagergetreide war dem Verderb ausgesetzt, weil es nicht gemäht werden konnte.“
Wetter ist nicht Klima
Abschließend sei betont: In diesem Rückblick geht es um Wetterereignisse und Witterungslagen, nicht um das Klima und seinen Wandel. Klima ist bekanntlich der Durchschnitt meteorologischer Ereignisse im langjährigen Mittel, meist über 30 Jahre berechnet.
Das Wetter einzelner Tage, die Witterung einiger Wochen oder Monate wie etwa eines verregneten Sommers sagen nichts über das Klima. Weder bestätigen noch dementieren sie dessen Wandel. „Ob ein einzelnes Wetterereignis Folge einer Klimaveränderung ist, kann höchstens spekuliert werden“, unterstreicht der Bochumer Meteorologe Fabian Ruhnau. „Man muss bei Unwettern, wie für die Temperatur oder den Niederschlag, mehrere Jahrzehnte auswerten, um Veränderungen bzw. eine Zunahme festzustellen.“
Die Berechnung des bisherigen und die Prognose des künftigen Klimas erfordert also andere Maßstäbe als die persönliche Wahrnehmung, die sich zudem in der individuellen Erinnerung ändert. Und schließlich: Klimaprognosen benötigen eine erheblich größere Menge an Daten als die Regenmengen von ein paar Wochen in Westfalen, die kein „Sommer“ waren.
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