Sondierungen besonderer Art starteten Landwirte und Landfrauen im Dorstener Stadtteil Lembeck. Sie luden die Bürger ihres Heimatdorfes zu einem „Hofgespräch“ ein. In einer leergeräumten Scheune auf dem Milchviehbetrieb der Familie Harks fanden alle Platz, die Fragen zur Landwirtschaft auf dem Herzen hatten – oder die die Antworten wussten. „Der Austausch unter Bürgern ist in Lembeck eingeübt. Hier hat sich eine Bürgerbewegung zur Dorfentwicklung gebildet, die regelmäßig zu Gesprächen einlädt“, erläuterte Bernd Lienemann, der Vorsitzende des WLV-Ortsverbandes.
Zettel, Stift und Eis
Nach einem lockeren Stehempfang mit Getränken vor der Scheune, bekamen die Besucher auf ihren Sitzplätzen Zettel und Stifte in die Hände. Jeder konnte seine Fragen rund um die Landwirtschaft in Lembeck notieren. Die eingehenden Notizen wurden vier Themen zugeordnet: Düngung, Pflanzen- und Insektenschutz, Tierhaltung, landwirtschaftliche Maschinen. Die Sortierpause überbrückten Gastgeberin Ivonne Harks und ihre Betriebskollegin Petra Große Gellermann mit Kostproben ihrer hofgemachten Eissorten. Die beiden Landwirtsfrauen hatten 2020 eine Hofmanufaktur für Eis gegründet, das sie über zwei Automaten auf ihren Höfen und 13 Verkaufsstellen in der Region vermarkten.
Warum kein Fairtrieb?
Etwa 40 Fragen klebten auf den vier Themenplakaten an der Scheunenwand. Bürgermeister Tobias Stockhofe las die fragen vor und forderte Landwirte und Landfrauen zum Antworten auf. Etliche Fragen drehten sich um die Produktionsweise. Hier eine Auswahl:
- Darf Gülle noch mit dem Prallteller statt mit dem Schleppschlauch ausgebracht werden?
- Dürfen Felder mit Pestiziden derart behandelt werden, dass der komplette Bewuchs gelb wird?
- Was wird dafür getan, dass es wieder mehr Bodenbrüter gibt?
- Werden die Felder jährlich mit wechselnden Kulturen bestellt?
- Wie ist das Verhältnis von Fleischexport und Fleischimport in Deutschland?
- Wie ist die Verwertungsquote bei Fleisch in Deutschland?
- Warum bauen sich Landwirte nicht selbst einen fairen Vertrieb für ihre Produkte auf, um unabhängiger vom mächtigen Lebensmittelhandel zu werden?
- Wie ist unsere Selbstversorgungslange mit Produkten aus der Landwirtschaft?
- Wie viele Medikamente bekommen die Tiere?
In ihren Antworten spannten die Landwirte den Bogen von Tierrettung per Drohne bis zu satellitengestützten Überwachung ihrer Felder. Sie erklärten, wie in Lembeck rote Gebiete bei der Nitratmessung zustande kamen und wichen auch dem Reizwort Glyphosat nicht aus. Die Betriebsleiter hatten Statistiken zu Import und Export von Fleisch parat und erklärten, was die vier Stufen des Tierwohls bedeuten. Nach rund drei Stunden war der Informations-Füllstand der meisten Zuhörer erreicht. Moderator Stockhofe nahm einige Fragen mit für weitere Diskussionsrunden, etwa: Wie halten wir es mit der Agro- und Freiflächen-Photovoltaik?“ Auch die Waldbewirtschaftung bietet reichlich Stoff für weiteren Austausch mit den Bürgern.
Bauern-Dorf im Kreis Recklinghausen
Wer in Lembeck etwas über Landwirtschaft wissen will, hat dazu reichlich Gelegenheit. Denn die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist groß und ihre Ausrichtung vielseitig:
Viele Betriebe - Rund 5100 Einwohnern stehen 56 landwirtschaftliche Voll- und Nebenerwerbsbetriebe gegenüber. „Rechnerisch könnten wir 6320 Menschen ernähren, also auch noch Verbraucher aus dem Nachbardorf satt machen“, so Bernd Lieneman vom Ortsverband.
Vielseitige Ausrichtung - Es gibt Milchvieh, Bullenmast, Sauen- und Mastschweine, Ackerbau und Grünland, Gemüse-Vertragsanbau und Direktvermarktung. Drei Betriebe sind ökologisch ausgerichtet.
Große Spannbreite - Die Größenordnungen gehen stark auseinander: 10 bis 400 Kühe, 100 bis 1000 Sauen, 5 bis 300 Rinder, 100 bis 5000 Mastschweine.
Kommunikationsstark - Mit Info-Formaten wie „Tour de Buur“ als geführte Radtouren zu landwirtschaftlichen Betrieben geben die Höfe Einblick in ihre Arbeit.
Rücksichtsvoll - Vor einigen Jahren verabredeten die Betriebe sich zu einem Tempo-Limit im Dorf. Seither gilt innerorts die Devise „Freiwillig 30“.