Der Handel will mehr wissen

LEH: Rinderhalter sollen mehr Daten liefern

Der Lebensmittelhandel setzt Rinderhalter unter Druck: Er verlangt über die Haltungsform-Kennzeichnung Daten zum Antibiotika-Verbrauch und Befunddaten vom Schlachthof. Was kommt auf die Landwirte zu?

Während das staatliche Tierwohllabel nur zögerlich vorankommt, schafft der Lebensmitteleinzelhandel weitere Fakten. Er überarbeitet aktuell ­seine Kriterien für die Haltungsform-Kennzeichnung. Vor allem für Rindermäster und Milcherzeuger könnte das spürbare Konsequenzen haben, da viele Rinderhalter aktuell aus dem Stand he­raus die Einstiegsstufe nicht schaffen.

Die Haltungsform-Kennzeichnung ist eine Initiative des Lebensmitteleinzelhandels. Die Unternehmen Aldi, Edeka, Kaufland, Lidl, Netto, Penny und Rewe machen mit. Sie decken mehr als 80 % des Marktes ab. Koordinator für die Haltungsform-Kennzeichnung ist die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH. Ihr Geschäftsführer ist Dr. Alexander Hinrichs, der auch Geschäftsführer der Initiative Tierwohl (ITW) ist.

Rangierung von Siegeln

Die Zahl an Tierwohlsiegeln hat stark zugenommen. Die Haltungsform-Kennzeichnung will mehr Transparenz für die Verbraucher schaffen. Dazu erstellt sie kein eigenes Produktsiegel, sondern ordnet bestehende Siegel ein. Das heißt, sie klassifiziert und rangiert etablierte Produktsiegel nach dem Niveau des Tierwohls.

Nur Produktsiegel, die auch ein Prüfsystem nachweisen, kommen dafür infrage, sagt ein Sprecher gegenüber dem Wochenblatt. Das heißt auch, die Kontrolle der Landwirte läuft nicht über die Haltungsform, sondern über das jeweilige Programm des Siegels.

Die Haltungsform-Kennzeichnung hat vier Stufen. Der Einstieg ist „Stallhaltung“, danach folgen „StallhaltungPlus“ sowie „Außenklima“, die höchste Stufe bietet „Premium“. Aktuell definiert die Haltungsform Mindestanforderungen für Betriebe mit Schweine-, Puten-, Hähnchen- sowie Rindermast und für Betriebe mit Milchviehhaltung. Bei Milcherzeugern greift das Label nur für die Fleischerzeugung, beispielsweise bei der Altkuhvermarktung.

Neu für Rinderhalter

Knackpunkt für viele Rinderhalter dürften die Vorgaben zur Tiergesundheit sein: Der Handel fordert ein qualifiziertes Antibiotika-Monitoring sowie eine Befunddatenerfassung am Schlachthof – für Betriebe mit Milchviehhaltung und für Betriebe mit Rindermast. Das können viele Rinderhalter nicht leisten, weil es dazu bisher noch keine etablierten Programme bzw. Systeme gibt. Der Sprecher der Haltungsform ist dennoch zuversichtlich: „Der Handel setzt ab 2022 das Antibiotika-Monitoring und die Befunddatenerfassung verpflichtend voraus. Darüber hinaus spricht sich der Handel dafür aus, bereits 2020 in QS und QM-Milch auf freiwilliger Basis Projekte zum Antibiotika-Monitoring wie auch der Befunddatenerfassung einzuführen. Dazu erfolgen nach unserer Kenntnis derzeit Beratungen in den entsprechenden Programmen.“

Schlachtdaten in Arbeit

Tatsächlich läuft die Befunddatenerfassung für Rinder am Schlachthof gerade an. Für Schweine gibt es das schon seit etwa vier Jahren, für Geflügel seit etwa drei Jahren. „Für Rinder ist eine Pilotphase gestartet“, sagt ein QS-Mitarbeiter gegenüber dem Wochenblatt.

Danach folge die Datensammlung, das heißt, die Schlachtbetriebe müssten ihre Befunde in die Datenbank eintragen. QS werte die Daten aus und gebe den Tierhaltern eine Rückmeldung. Der QS-Mitarbeiter ist zuversichtlich, dass die Befunddatenerfassung für Rinder bis 2022 läuft.

Ludwig Börger, Geschäftsführer von QM-Milch, bestätigt gegenüber dem Wochenblatt, dass sich QM-Milch derzeit mit QS in einem Pilotprojekt für die Befunddatenerfassung am Schlachthof befinde. Er weist aber darauf hin, dass die Befunddatenerfassung keinesfalls verpflichtend im QM-Standard 2020 sei. Deshalb betont er: „Die Lebensmittelhändler müssen ihre öffentlichen Aussagen zur Haltungsform-Kennzeichnung mit Blick auf den tatsächlichen Sachstand verantworten.“ Das gelte nicht nur für die Befunddatenerfassung, sondern genauso für das Antibiotika- Monitoring, das der Handel zwar als ‚Mindestkriterien‘ gegenüber dem Verbraucher kommuniziere, der QM-Standard 2020 aber nicht vorsehe.

Im Klartext heißt das: Der Handel verspricht den Verbrauchern etwas, was in der Praxis nicht zu halten ist.

Bald auch bei Trinkmilch?

Irritationen gibt es auch bei der Kennzeichnung von Milchprodukten. Gegenüber dem Wochenblatt erklärt der Sprecher der Haltungsform, dass eine Ausweitung auf Milchprodukte aktuell nicht beauftragt sei, aber grundsätzlich denkbar. Diese Überlegungen schreiten nun offenbar voran. Der Deutsche Bauernverband meldete am Freitag, dass der Handel die Haltungskennzeichnung auch bei Milchprodukten anwenden will, zunächst bei Trinkmilch. Börger: „Entsprechende Anfragen haben QM-Milch und einzelne Molkereien auf dem Tisch liegen.“

Was sagen die Molkereien?

Das löst bei Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, keine Begeisterung aus. Jede Kennzeichnung von Milch biete zwar Raum für Differenzierung, allerdings überwiegen für ihn bei der Haltungs-Kennzeichnung die Nachteile. Deshalb meint er: „Eine freiwillige Kennzeichnung wäre besser. Selbst wenn sich diese Initiative nicht durchsetzen sollte, werden es einzelne Handelsketten selber versuchen. Hoffentlich kennzeichnet der Handel dann aber auch ­ausländische Ware. Denn leckerer französischer Käse oder Emmen­taler aus der Schweiz sind auch nicht Anbindestall-frei.“

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