Der Rentenfaktor hat es in sich. Anhand dieser wichtigen Kennziffer können Sie erkennen, ob Sie eine laufende Rente wählen oder doch eher eine Einmalzahlung zum Renteneintritt bevorzugen sollten.
Rürup, Riester und Rente
Viele Menschen ergänzen die gesetzliche Altersrente noch durch weitere Vorsorgeverträge, die ein zusätzliches Alterseinkommen erbringen sollen. Dabei kann es sich um geförderte (Riester, Rürup) oder ungeförderte private Vorsorgeprodukte, sogenannte kapitalbildende Lebens- oder Rentenversicherungen, handeln. Daneben gibt es noch die betriebliche Altersvorsorge in unterschiedlichsten Varianten.
- Rürup-Verträge haben einen vollständigen Verrentungszwang, das heißt es gibt keinerlei Möglichkeit, sich das angesparte Geld zu Rentenbeginn ganz oder teilweise auszahlen zu lassen.
- Bei Riester-Verträgen können Sie immerhin 30 % des Kapitals zu Rentenbeginn entnehmen. 70 % werden jedoch zwangsweise in Form einer lebenslangen Rente bezahlt. Eine Ausnahme sind lediglich Kleinverträge mit Monatsrenten von unter 32,90 € (West) bzw. 31,15 € (Ost). Hier können Betroffene die Auszahlung ihres angesparten Kapitals auf einen Schlag zu Rentenbeginn verlangen.
- Bei privaten Lebens- oder Rentenversicherungen können Sie am Ende der Sparphase jedoch frei zwischen Erhalt einer einmaligen Kapitalauszahlung oder einer lebenslangen Rente wählen.
Was bedeutet „Rente“?
Jede regelmäßige, zum Beispiel monatliche, vierteljährliche oder jährliche Zahlung in konstanter Höhe ist eine Rente. Es wäre zu eng gefasst, darunter lediglich die gesetzliche Rente oder aber Renten von Versicherern zu verstehen. Denn jede regelmäßige und einigermaßen verlässliche Einzahlung hilft Ihnen, Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch Pachteinkünfte, erhaltene Mieten oder wiederkehrende Zuflüsse aus einem breit streuenden Aktien-ETF erfüllen die Merkmale einer Rente.
Renten von Versicherungsgesellschaften sind also nur eine von vielen Möglichkeiten, ein regelmäßiges passives Einkommen zu erzielen. Niedrige Renten von Versicherungsgesellschaften haben vor allem eine Eigenschaft: Sie sind im Verhältnis zum eingesetzten Kapital enttäuschend klein. Hierfür gibt es drei wesentliche Gründe:
- Erstens erwirtschaften die Versicherer mit dem Geld der Kunden eine unbefriedigend kleine Rendite. Der größte Anteil der Kundengelder ist in festverzinslichen Wertpapieren, zum Beispiel Bundesanleihen, angelegt, die in der fortdauernden Nullzinswelt kaum oder keine Rendite mehr erbringen.
- Zweitens fallen bei den Gesellschaften hohe Kosten an, die letztlich die Versicherten tragen müssen. Und zwar nicht nur in der Abschluss- und Ansparphase, sondern auch während der Rentenbezugsdauer.
- Drittens legen die Versicherer bei der Kalkulation ihrer Renten Annahmen über die Lebenserwartung zugrunde, die neutrale Experten als „ambitioniert bis unrealistisch“ bezeichnen würden.
Da die Versicherten im Schnitt erheblich früher versterben als versicherungsmathematisch angenommen, kommt es zu hohen Sterblichkeitsgewinnen, von denen der Versicherer einen Teil einbehalten darf. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Der bekannte deutsche Schauspieler Johannes Heesters (1903–2011) verstarb mit 108 Jahren. Ob er eine Rente aus einer kapitalbildenden Lebens- oder Rentenversicherung erhielt, ist unbekannt. Jedoch lässt sich unschwer errechnen, dass er selbst bei dieser Lebenserwartung sein angespartes Kapital bei vielen Gesellschaften nicht zurückerhalten hätte, da die Rente einfach sehr klein ist.
Den Rentenfaktor verstehen
Wichtig ist: Unterscheiden Sie Anspar- und Rentenphase. Dass viele versicherungsgebundene Vorsorgeverträge schon allein wegen hoher Kosten sowie mangelnder Flexibilität und Transparenz in der Ansparphase unvorteilhaft sind, hat sich zwischenzeitlich weitgehend herumgesprochen. Vor Beginn der Rentenphase haben Sie als Versicherungskunde – abgesehen von den oben genannten Ausnahmen – die Möglichkeit, statt einer lebenslangen Rente die sogenannte Ablaufleistung auszahlen zu lassen.
Wo steht der Rentenfaktor? Angaben über den Rentenfaktor eines Vorsorgeprodukts stehen im Versicherungsschein, den Sie nach Vertragsabschluss erhalten haben. Unter Umständen können Sie den Rentenfaktor nicht direkt finden. In dem Fall schauen Sie, wie hoch die garantierte Rente ist und ermitteln den Rentenfaktor selbst. Dazu teilen Sie die garantierte Rente durch das garantierte Kapital und multiplizieren das Ergebnis mit 10 000 € (Rechnung siehe Beitrag). Konzentrieren Sie sich auf den garantierten Rentenfaktor. Nur hierauf haben Sie einen einigermaßen rechtssicheren Anspruch gegenüber der Versicherungsgesellschaft.
Also den Kapitalstock, der zur Berechnung der Rente zur Verfügung steht. Die Höhe der alternativen Rente wird über einen Rentenfaktor errechnet, den der Versicherer festlegt und Ihnen mitteilt. Es ist für Sie also wichtig, Rentenfaktoren zu verstehen und in ein paar einfachen Schritten umzurechnen, was diese im konkreten Fall für Sie bedeuten.Aus diesem Grund sollten Sie sich den Rentenfaktor Ihres Vorsorgevertrages anschauen.
Und die garantierten Rentenfaktoren in Ihren Bestandsverträgen in Augenschein nehmen. Denn nur mit dem garantierten Rentenfaktor können Sie sicher rechnen. Ob Ihr Versicherer über die Garantiewerte hinaus noch Überschüsse erzielen wird, ist in der fortdauernden Nullzinswelt nämlich sehr ungewiss. Die unten stehende Abbildung verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Anspar- und Rentenphase. Sie zeigt, dass Sie zum Renteneintritt noch eine Möglichkeit haben, eine zu geringe Rente durch Abruf der Ablaufleistung zu ersetzen.
- In der Ansparphase sind hohe Kosten dafür verantwortlich, dass das zu verrentende Kapital nicht angemessen anwachsen kann. Auch wenn dieses Kapital als Einmalleistung abgerufen werden kann, lässt sich dieser Schaden nicht mehr vermeiden.
- In der Rentenphase bestimmt der Rentenfaktor bei gegebenem Volumen des zu verrentenden Kapitals die Rentenhöhe. Und das bedeutet, dass ein wenig kundenfreundlicher Versicherer hier ein zweites Mal zuschlagen kann.
Vom Faktor zur Rente
Rentenfaktoren identifizieren, interpretieren und clever umrechnen – so geht es:
- Der garantierte Rentenfaktor gibt Auskunft darüber, welche monatliche Zahlung der Versicherer Ihnen pro 10 000 € – abgesehen von Schieflagen des Versicherers – mindestens zahlen muss.
- Rechnung: Beträgt die Ablaufleistung Ihrer privaten Rentenversicherung zum Beispiel 90 000 € und der Rentenfaktor 18, steht Ihnen eine Monatsrente von 90 000/10 000 * 18 € = 162 € zu.
- Diese Angabe ist zwar in der Versicherungswelt üblich, jedoch für Analysezwecke und Entscheidungen unpraktisch. Am besten rechnen Sie den Faktor in einen Prozentsatz pro Monat oder Jahr um.
- Im Beispiel entspricht der Rentenfaktor von 18 € pro 10 000 € einem monatlichen Prozentsatz von 0,18 % oder einem Jahreswert von 2,16 % (0,18 % * 12).
- An dieser Zahl sehen Sie schon sofort, dass das ein recht geringer Rentenwert ist, den Sie allein mit der Ausschüttungsrendite eines breit streuenden Aktien-Indexfonds übertreffen könnten. Hinzu kommen zwei weitere Nachteile der Versicherungsrente.
- Erstens ist dies eine endliche Zahlungsreihe, also eine Rente mit Kapitalverzehr. Verstirbt der Versicherte, so endet die Rente. Lediglich bei sehr frühem Tod kann eine Rentengarantiezeit von zum Beispiel fünf oder zehn Jahren den Hinterbliebenen zugutekommen. Demgegenüber läuft die aus der Indexanlage fließende Zahlungsreihe grundsätzlich unendlich lange (Rente ohne Kapitalverzehr).
- Zweitens steigen Versicherungsrenten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht im Zeitablauf an, um zum Beispiel Ihre gestiegenen Lebenshaltungskosten durch Inflation auszugleichen. Wenn Sie eine im Zeitablauf steigende Rente von der Versicherung wünschen und Ihr Versicherer diesem Wunsch überhaupt nachkommt, dann wird die Rente in den ersten Jahren nochmals erheblich geringer sein. Hingegen wird nach menschlichem Ermessen der Aktienindexfonds seine Ausschüttungen im Laufe der Jahre mindestens um die Inflationsrate steigern.
Man müsste 113 Jahre alt werden
Um ein erstes Gefühl für die (Un-)Vorteilhaftigkeit einer Kapitalverrentung zu erhalten, können Sie einfach hochrechnen, wie viele Monats- oder Jahresrenten Sie erhalten müssten, nur um das zu verrentende Kapital unverzinst und ohne jeglichen Inflationsausgleich als garantierte versicherte Leistung wieder zurückzuerhalten. Im obigen Beispiel kommen Sie über die 10 000 €/18 € pro Monat auf 556 Monate. Was mehr als 46 Jahren entspricht.
Zum gleichen Ergebnis kommen Sie, wenn Sie 100 % Kapital durch die jährliche Zahlung von 2,16 % teilen. Bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren plus 46 Rentenjahren müssten Sie also ein Alter von 113 Jahren erreichen, um das zu verrentende Kapital tatsächlich ausgezahlt zu bekommen – wohlgemerkt nur das reine Kapital ohne Verzinsung oder Inflationsausgleich.
Sie verstehen nun, warum ich das als „sehr ambitioniert“ bezeichnet habe und dass solch ein Vertrag für Johannes Heesters ein Minusgeschäft gewesen wäre.
Wie sollten Sie jetzt entscheiden?
Keinen Vertrag abschließen: Sofern Sie noch keinen kapitalbildenden Versicherungsvertrag abgeschlossen haben, lautet die klare Empfehlung, dies auch künftig nicht zu tun. Vielmehr sollen Sie versichern und sparen strikt trennen. Also Risiken, falls gewünscht, zum Beispiel durch eine Unfallversicherung, Risikolebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung abdecken. Jedoch sollten Sie keine Sparprozesse im Versicherungsmantel eingehen.
Entnahme des Ansparkapitals: Sofern Sie vor der Entscheidung „Einmalerhalt der Ablaufleistung oder lebenslange Rente“ stehen, führen Sie die oben beispielhaft dargestellte Umrechnung des Rentenfaktors in einen Jahresprozentwert durch. Ermitteln Sie daraus dann die Anzahl der Monate oder Jahre, die Sie bis zum Rückerhalt des von Ihnen angesparten Geldes benötigen. Bedenken Sie, dass das so einfach ermittelbare Ergebnis die Wirkung von Inflation nicht berücksichtigt. Also würde der Zeitraum bis zum realen Kapitalrückerhalt nochmals erheblich länger.
Nur wenn Sie keinerlei Wunsch haben, von Ihrer Lebensleistung etwas zu vererben, extrem risikoscheu und gleichzeitig hinsichtlich Ihrer eigenen Lebenserwartung sehr optimistisch sind und zudem einen Versicherer mit untypisch hohem garantierten Rentenfaktor haben, werden Sie vielleicht zum Ergebnis kommen, dass die Versicherungsrente gegenüber der selbstständigen Anlage und Entnahme des Ansparkapitals vorzuziehen ist.
Übrigens war das Beispiel mit Johannes Heesters und dem Rentenfaktor von 18 keineswegs ein unrealistisches Negativbeispiel. Viele jüngere Verträge weisen garantierte Rentenfaktoren von um oder unter 14 auf. Und das Schlusslicht bei einer von mir durchgeführten Befragung von Versicherten lag beim Faktor 12,77 des Marktführers „Allianz“. Der Vertrag liegt mir vor. Noch Fragen?
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