Mancher Kommentator in Deutschland hat die BBB als niederländische AfD bezeichnet. Trifft das zu?
Prof. Pekelder: Ganz klar nein. Die Partei ist aus ganz anderen Gründen aufgekommen als die AfD. Sie ist konservativ und durchaus migrationskritisch, aber davon nicht durchdrungen, sondern vergleichbar mit den Positionen der CSU. Sie bekennt sich außerdem klar zur EU.
Die Parteiführung hat bei den Wahllisten geschaut, dass es keine Kandidaten mit rechtsextremem Hintergrund gibt. Man muss die BBB von der PVV von Geert Wilders oder dem Forum für Demokratie (FvD) unterscheiden. Das sind rechte und sogar rechtsextreme Parteien.
In den Niederlanden gab es vor Jahrzehnten eine andere Bauernpartei, die im Parlament saß. Was macht die BBB heute anders?
Prof. Pekelder: Die BBB entstand als politisches Sprachrohr der Proteste im Zuge der geplanten Stickstoffgesetze. Doch mit den Stimmen der Bauern allein konnten sie es nicht schaffen, ins Parlament einzuziehen. Daher auch der Name „BoerBurgerBeweging“ im Singular. Es soll den Bauern als eigenständige, freiheitsliebende Person symbolisieren, die vom Staat unterstützt, aber nicht bedrängt wird.
Die Partei vermittelt aber die unterschwellige Botschaft: Was den Bauern heute von Den Haag auferlegt wird, das blüht den restlichen Bürgern morgen. Bei den Provinzwahlen im März hat sie daher auch viele Protestwähler in den Städten eingesammelt.
Instrumentalisiert die BBB das Stadt-Land-Gefälle in den Niederlanden?
Prof. Pekelder: Bis zu einem gewissen Grad herrscht dieses Gefälle. Vor allem fehlt oft die Wahrnehmung der Probleme. Es gibt ländliche Kommunen, die vernachlässigt wurden. Der ÖPNV ist zum Teil schlecht ausgebaut. Größere Betriebe haben die ländlichen Regionen verlassen. Das sorgte für böses Blut. Die BBB thematisiert, instrumentalisiert und dramatisiert das. Das gehört aber zum politischen Geschäft dazu.
Wie würden Sie die BBB politisch verorten?
Prof. Pekelder: Der Motor ist ein gewisser Konservatismus. Dabei gibt sie sich weder rassistisch noch homosexuellenfeindlich. Wichtig sind viel mehr Werte wie Familie und Gemeinschaft. Die „noaberschap“ ist das Schlüsselwort. Es steht für einen Gemeinschaftssinn und stammt noch aus der kleinbäuerlichen Welt.
Ist das zeitgemäß?
Prof. Pekelder: Der Begriff der „noaberschap“ wird romantisiert, soll aber suggerieren: Wir machen das untereinander aus, da braucht es den Staat nur im Ausnahmefall. Im Programm der BBB hingegen spielt der Staat als Geldgeber indirekt ein große Rolle. Sozial- und wirtschaftspolitisch lässt sich die BBB eher links einordnen.
Vor der Wahl wird jedes Wahlprogramm vom niederländischen Zentralbüro der Statistik durchgerechnet und auf die Machbarkeit geprüft. Die BBB hat sich geweigert.
Prof. Pekelder: Die BBB bleibt in ihren Aussagen und auch im Parteiprogramm vage, was das Thema Zahlen und Finanzierung angeht. In den Niederlanden ist es üblich, dass das Wahlprogramm vorher durchgerechnet wird, damit es vergleichbar wird. Diese Weigerung ist unter der direkten Gefolgschaft der BBB kein Problem, aber im Konkurrenzkampf mit den anderen Parteien, rechts der Mitte.
Woher stammen die Politiker, die in der BBB aktiv sind?
Prof. Pekelder: Oft sind es ehemalige CDA-Leute. Die Christdemokraten, einst stark in den Niederlanden, liegen mittlerweile unter 10 %. Viele sind gleich gewechselt oder vor Jahren ausgetreten und nun wieder aktiv. Sie bringen also Erfahrung und eine Prise Realismus mit. Das stabilisiert die Partei auf allen Ebenen.
Wie nachhaltig schätzen Sie die den Erfolg der BBB ein? Wird sich diese Partei in der niederländischen Parteienlandschaft etablieren?
Prof. Pekelder: Das hängt davon ab, ob die Fraktion sich im nächsten Parlament erfolgreich behaupten kann und eine gewisse Qualität in die Debatte hineinbringt. Aktuell scheint der Höhenflug der BBB beendet. Einerseits macht ihre Listenanführerin Caroline van der Plas zu sehr den Eindruck, als sei sie zu wenig im politischen Tagesgeschäft geschult. Andererseits macht die Parteikampagne einen unsteten Eindruck. Auf den letzten Metern scheint sich die BBB vom Mitte-Rechts-Milieu abzuwenden und eher zu den rechtspopulistischen Wählern zu schwenken.
Den Höhenflug schmälerte auch eine neue Partei, der „Nieuw Sociaal Contract“ (NSC), die der ehemalige Christdemokrat Pieter Omtzigt Mitte August gegründet hat.
Prof. Pekelder: Pieter Omtzigt hat einen Politikskandal aufgedeckt. Das hat ihn zum politischen Helden gemacht. Er wurde aber von der CDA-Spitze abgesägt. Auch er plädiert im Kern für typisch christdemokratische Werte. Er wollte aber kein Spitzenkandidat der BBB werden und sagte, dass er sich nicht zum Sprachrohr der Farmerslobby machen möchte. Durch seine Partei hat die BBB es schwerer, sich als Repräsentant der kleinen Leute darzustellen.
Wie lautet Ihre Prognose für die Wahl am 22. November?
Prof. Pekelder: Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Pieter Omtzigt, Frans Timmermans und Dilan Yeşilgöz von der liberalen VDD. Die BBB landet auf Platz fünf oder sechs. Das heißt, eher zehn Sitze als 25, wie zunächst prognostiziert. Ich fände es gut, wenn sie Teil der Regierung wird. Das verleiht den Bauern und dem platten Land mehr Gehör.
Keine Fünf-Prozent-Hürde im Parlament
Die Niederlande sind eine parlamentarische Monarchie. Das Parlament, die Generalstaaten, besteht aus zwei Kammern. Die erste wird von den Abgeordneten der zwölf Provinzparlamente, die zweite von den niederländischen Bürgern nach Listen gewählt. Die zweite Kammer ist politisch die wichtigere. Dort sitzen 150 Abgeordnete. Bei der Wahl zur zweiten Kammer gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Je nach Wahlbeteiligung reichen etwa 70 000 Stimmen für einen Sitz in der zweiten Kammer. Im vergangenen Parlament hatten von über 20 Fraktionen 13 nur bis zu fünf Abgeordnete.
Bis in die 1960er-Jahre war das Parteienspektrum relativ stabil. Danach bröckelte es. Viele neue und zum Teil kleine Parteien kamen auf die politische Bühne, einige mit speziellen Themen wie die „Partei für die Tiere“ oder „50Plus“. Die Dauer der Koalitionsverhandlungen wird dadurch erheblich länger.
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