Die Corona-Krise, vor allem die Debatten um das Impfen, um eine mögliche Impfpflicht sowie um Proteste sogenannter „Spaziergänger“ bestimmen derzeit sehr stark das gesellschaftliche Klima – und das nicht nur in den Metropolen und großen Städten, sondern gerade auch auf dem Land, in den Dörfern. Nicht selten zieht sich der Riss durch Gemeinden, durch die dörflichen Vereine und Verbände, durch Nachbarschaften und nicht selten auch durch Familien.
Wie erleben Sie das derzeit in Ihrem unmittelbaren Umfeld? Wir gestalten sich die Diskussionen? Kommt es überhaupt zum Austausch der Argumente? Gibt es bei Ihnen Demonstrationen („Spaziergänge“) oder ähnliche Protestgruppen? Das haben wir kürzlich im Kreis von Wochenblatt-Autorinnen und Autoren gefragt - und ebenso auch um Antwort auf diese Frage gebeten: Was kann aus Ihrer Sicht jeder und jede Einzelne beitragen, damit diese Krise gelöst werden kann?
Dorothea Richter - freie Journalistin, Warstein
Hier finden jeden Donnerstag „Spaziergänger“-Demonstrationen statt, bei denen es mit Trillerpfeifen und „Diktatur!“-Rufen laut zugeht. Die etwa 100 Teilnehmer, zahlreiche ohne Maske, stoßen aber auf wenig Resonanz. Viele Anlieger schalten das Schaufensterlicht und die Außenbeleuchtung aus. Die Kulturinitiative „We Love Warstein“ hatte im Fenster ihres Quartiers ein Banner mit der Aufschrift „Impfen statt schimpfen“ aufgehängt. Es wurde vor etwa zwei Wochen zerstört. Mit einer Solidaritätskundgebung „Impfen statt schimpfen“ setzten jetzt 130 Bürger und Bürgerinnen ein deutliches Zeichen. Sie bildeten eine Menschenkette und reichten sich „auf Abstand die Hand“. Die Redner dankten den vielen, die dafür sorgen, dass der Alltag trotz aller Einschränkungen funktioniert: Vom Supermarktpersonal, Gastronomie und Einzelhändlern über Polizei und Hilfsdienste bis zu Mitarbeitern in Apotheken, Praxen und Krankenhäusern. Die Kundgebung sollte ein Akt der Solidarität und Demonstration gegenüber Corona-Skeptikern und Impfgegnern sein.
Bernhard Barkmann - Landwirt und Agrarblogger, Messingen
Die Zahl der Ungeimpften in meinem Dorf ist nicht groß. Man kennt diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen bisher ungeimpft sind. Tiefgreifenden kontroversen Diskussionen gehe ich mit ihnen eher aus dem Weg.
Es ist in den Medien alles zum „Für“ und „Wider“ – da gibt es wenige Gründe – gesagt. Das möchte ich nicht wiederholen und die betreffenden Leute in die Ecke drängen. Ich möchte nicht, dass wegen der Impfdebatte große Fronten gebildet werden und ein Riss durch das Dorf geht. Ich möchte künftig mit den Skeptikern in Vereinen zusammenarbeiten, mich mit ihnen treffen und beim Schützenfest ein Bier an der Theke trinken können. Hier plädiere ich für Toleranz. Die Standpunkte sind klar: So bin ich der Meinung, dass möglichst jeder sich impfen lassen sollte. Aber das erhebe ich nicht zu meinem Mantra und versuche zu bekehren.
Ludger Vollenkemper - Verein „Dorf aktiv“, Rheda-Wiedenbrück, Ortsteil St. Vit
Unser dörfliches Leben der Vereine und Gruppen kommt in den Corona-Wellen regelmäßig zum Erliegen, was meiner Wahrnehmung nach gerade für ältere Menschen ein großes Problem darstellt. Sicher gibt es in unserem Dorf Nicht-Geimpfte und auch Impfgegner, dies stellt aber kein Problem dar und bringt auch keine Konflikte mit sich. In einem kleinen Dorf kennt man seine „Pappenheimer“, hat eine Meinung zu deren Verhalten, aber respektiert auch ihre Entscheidung.
In der nahen Stadt gibt es seit Wochen einen durchaus geordneten und friedlichen Protest von wöchentlich etwa 300 „Spaziergängern“. Wenn in den Tageszeitungen wechselweise die Meinungen der einen oder anderen Seite Raum finden, wird dies insbesondere von Impf-Befürwortern mit Schimpf und Schande überzogen und beklagt, dass man „solchen“ doch keine Bühne bieten darf. Auch wenn für mich selber die Argumente der Impfverweigerer unbegreiflich sind, bereitet es mir doch Sorge, wenn diese im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen dürfen.
Marion Flothmann - Landwirtin, Steinfurt
Nach dem zweiten Jahrestag der Corona-Pandemie stellen wir uns immer öfter die Frage, ob und wie wir dieses Virus wieder loswerden. Man entwickelt ja doch so langsam, aber sicher eine Art Lagerkoller. Es ist deutlich zu spüren, dass die Menschen sich wieder einen normalen, offenen Umgang miteinander wünschen. Und dann ist man immer wieder erstaunt, dass es zwischen uns ganze Familien gibt, die sich nicht impfen lassen wollen. Dieser Egoismus – oder soll man sagen: diese Dummheit? – ist der Allgemeinheit gegenüber nicht fair. Wenn man die Argumentation der sogenannten Impfgegner hört, hat man das Gefühl, dass der Protest in alle Himmelsrichtungen geht – Hauptsache Protest! –, aber am wenigsten mit der Erkrankung und der Impfung an sich zu tun hat. Ich meine, jeder Ungeimpfte sollte noch einmal in sich gehen und das Für und Wider überdenken. Freiheit besteht doch darin, sich endlich wieder ohne Maske zu bewegen, Nachbarn und Freunde bedenkenlos zu treffen, Menschen mit Handschlag zu begrüßen – und nicht in der Frage, ob ich mich impfen lasse oder nicht.
Heidi Lorey - Gartenbauexpertin und Journalistin, Steinhagen
Für mich zeigt meine Heimatgemeinde Steinhagen ein entspanntes Bild. In Bielefeld erlebt man schon mal ein Verkehrschaos, weil acht Demonstrationen für oder gegen Corona-Maßnahmen gleichzeitig durch die Stadt ziehen. Für mein Empfinden tut es gut, dass Corona hier in Steinhagen kein großes Aufreger-Thema ist.
Als die Bestimmungen nur eine begrenzte Anzahl Personen in die Läden ließen, hat jeder halt gewartet, bis wieder ein Kunde den Laden verlassen hat. Das hat auch beim Buchhändler und beim Zeitungskiosk funktioniert. Wer seinen Sport im Verein oder im Fitnesscenter ausüben möchte, akzeptiert die Vorgaben und legt seinen Impfpass und Ausweis vor. Mit drei Corona-Testzentren sind wir in Steinhagen gut ausgestattet. Die mutwillige Zerstörung eines Testzeltes wurde mit Schrecken und Bedauern aufgenommen.
IHRE SICHT IST GEFRAGT
Wie erleben und sehen Sie die Corona-Krise auf dem Land - in Ihrer Bauerschaft, Ihrem Dorf, Ihrer Familie, Ihrer Nachbarschaft? Schreiben Sie uns! Teilen Sie uns Ihre Eindrücke mit. Eine Auswahl an Zuschriften veröffentlichen wir in einer der kommenden Ausgaben des Wochenblattes.
Auf Wunsch kann auf eine Nennung des Namens verzichtet werden. In diesem Fall sichern wir Ihnen einen strikt vertraulichen Umgang mit Ihren Zuschriften zu.
Schreiben Sie eine E-Mail oder einen Brief mit dem Betreff "Corona auf dem Land: Meine Eindrücke" an:
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