Auf dem Hof von Henk Meerdink in der Feldmark von Aalten weht eine Fahne in hell- und dunkelgrün. Sie repräsentiert die niederländische Region Achterhoek – zu Deutsch die Hintere Ecke. Das sind elf Gemeinden in der Provinz Gelderland, direkt an der Grenze zum Kreis Borken. „BBB – die Stimme vom und für das platte Land“ steht auf Plakaten, die immer wieder auf dem Weg zu seinem Hof auftauchen.
Bei den Provinzwahlen im März wurde die Boer Burger Beweging (BBB), zu Deutsch Bauer-Bürger-Bewegung, die stärkste Partei in elf von zwölf Provinzen. „Der Erfolg der BBB hat mir richtig Freude bereitet“, sagt der Landwirt. „Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass sich politisch in diesem Land etwas ändert. Es ist ein Hoffnungsschimmer.“ Bei der Parlamentswahl am 22. November kämpft die Partei um ihre markante Frontfrau Caroline van der Plas für einen ähnlichen Erfolg.
Regieren in zehn von zwölf Provinzen
Bei den Provinzialratswahlen im März 2023 erhielt die BBB zahlreiche Stimmen. In zehn der zwölf Provinzen zog die BBB in den Provinzialrat ein, eine Art Landesregierung. Ausnahmen sind die Provinzen Utrecht und Nordbrabant. Der Erfolg verschaffte der Partei so 16 Sitze in der ersten Kammer, die mit dem deutschen Bundesrat vergleichbar ist. Dort ist die BBB nun die stärkste Partei.
Zeitgleich wurden auch die 21 Waterschapen gewählt. Die BBB ist nun in allen Waterschapen vertreten und in 13 sogar stärkste Kraft. Landesweit hat sie dort 118 von 518 Sitze gewonnen.
Eigene Partei gegründet
Henk Meerdink sitzt seit 2014 mit seiner eigenen Partei „Henk Meerdink Volksvertreter“ (HMV) im Stadtrat von Aalten. Seit der Kommunalwahl 2022 kooperiert er mit der BBB. Die Partei heißt nun BBB HMV und hält vier Sitze in dem kommunalen Parlament.
Fast 40 Jahre war der 79-Jährige aktiv in der CDA, der niederländischen Schwesterpartei der CDU, und hat für sie im Rat gesessen. Zwar ist Henk Meerdink noch Mitglied, doch er fühlt sich als Landwirt nicht mehr von ihr vertreten. „Die Partei hat sich von der Praxis in Landwirtschaft und Gartenbau zu weit entfernt“, sagt er. Den von ihm aufgebauten Hof führen mittlerweile seine drei Söhne. Insgesamt halten sie 17 000 Schweine und melken 280 Kühe. Sie bewirtschaften auch Ställe auf der deutschen Seite der nahen Grenze. Einen Ackerbaubetrieb bei Bocholt haben sie gepachtet.
„In den letzten 20 Jahren wurden die Landwirte in den Niederlanden von der Verwaltung nur gegängelt. Man verlor den Spaß daran, Bauer zu sein“, sagt er. Die Stickstoffpolitik der vergangenen Jahre brachte das Fass für ihn zum Überlaufen. Die Regierung in Den Haag drohte damit Höfe aufzukaufen und notfalls sogar zu enteignen (mehr zur Stickstoffkrise im Kasten).
Henk Meerdink stört vor allem die einseitige Verurteilung der Landwirtschaft. „Die Wähler der Grünen fliegen dreimal im Jahr in den Urlaub und machen uns Vorwürfe?“, erbost er sich. Seine Wut richtet sich gegen den „Westen“. Der ist in den Niederlanden ein Synonym für die großen holländischen Städte an der Küste, steht aber auch für die Regierung und die Verwaltung in Den Haag.
Stickstoff wurde zum Sprengstoff für die Gesellschaft
2019 entschied das höchste Gericht der Niederlande der Vorgabe der EU folgend, dass die Regierung ihren Stickstoff-Aktionsplan nachbessern muss. Die Regierung berief dazu extra eine Ministerin für Stickstoff. Anfang Juni 2022 präsentierte sie Pläne für die Reduktion. Bis 2030 sollte der Stickstoffausstoß um 50 % sinken. Für viele landwirtschaftliche Betriebe hätte diese Ankündigung das Aus bedeutet. Die Regierung stellte den Aufkauf von Höfen in Aussicht, Enteignungen standen im Raum.
Die BBB möchte den Ministerposten für Stickstoff abschaffen und die Stickstoffgesetze kippen. Die BBB lehnt allgemeine Modelle ab und möchte betriebsbezogen auf die Emissionen schauen. Für sie ist Messen gleich Wissen. Innovationen in Stall und Ausbringung der Gülle sollen die Emissionen mindern. Die Partei möchte nicht, dass es verpflichtend wird, die Viehbestände zu reduzieren. Die BBB sieht die Niederlande weiterhin als Gunststandort der Landwirtschaft und als Exporteur der Produkte
Henk Meerdink kann die Bauernproteste der vergangenen Jahre verstehen. Seine Söhne und er sind auch mit dem Traktor bis in die Hauptstadt gerollt. Andere Landwirte blockierten Handelszentren und Autobahnen. Manche belagerten sogar die Privathäuser von Politikern. Es waren die heftigsten Bauernproteste, die das Land je gesehen hatte.
Auf „noaberschap“ setzen
Henk Meerdink sieht das Fundament der BBB im Osten der Niederlande – auf dem platten Land. Hier stehen nicht nur die Bauern hinter der BBB, sondern auch zahlreiche Bürger. Viele Menschen solidarisierten sich mit den Landwirten. Aus Protest drehten sie die niederländische Fahne auf den Kopf – ein Symbol für ein in Seenot geratenes Schiff.
Einer dieser Bürger ist Freek Diersen. Vor seinem Haus, mitten in Dinxperlo, steht ein Plakat „BBB – Jeden Tag besser“. Der Lehrer im Ruhestand sitzt seit den Wahlen 2023 für die BBB in der Waterschap Rijn en Ijssel. Waterschapen sind alte demokratische Gremien, die sich um den Zustand der Flussläufe kümmern. Aktuell steht wieder Wahlkampf an. Freek Diersen klebt Plakate, verteilt Flyer, spricht mit Menschen auf dem Markt. Seine 77 Jahre merkt man ihm nicht an. Lange hat er sich in der grenzübergreifenden Euregio engagiert und war für die CDA im Stadtrat. Das Parteibuch hat er aber abgegeben. „Die CDA musste links und rechts zu viele Kompromisse eingehen. Sie ist zu schwankend“, sagt er.
Freek Diersen beklagt, dass die Lebensqualität auf dem Land leide. Der öffentliche Nahverkehr sei schlecht. Das betreffe vor allem ältere Menschen. Schulen machen dicht. Nicht nur im Achterhoek. Laut einer Untersuchung schloss zwischen 1997 und 2021 fast jede fünfte Grundschule in den Niederlanden. Aber vor allem das Wohnen sei teuer geworden. Junge Menschen wie Freek Diersens 25-jähriger Enkel suchen schon lange eine Wohnung. „Es ist zu wenig gebaut worden. Den Rest kaufen ältere Menschen aus dem Westen, die hier ihren Lebensabend verbringen wollen. Das treibt die Preise“, schildert er und ergänzt: „Unsere Probleme werden in Den Haag nicht ernst genommen.“
Bei der BBB sei das anders. Nicht umsonst liegt die Parteizentrale in Deventer abseits der Metropolen. Dort wurde die BBB vor vier Jahren gegründet. Heute hat sie schon mehr als 10 000 Mitglieder. Freek Diersen hat die Kernwerte aus dem 130-seitigen Parteiprogramm mit dem Titel „Von der Vertrauenskrise zum Nachbarschaftsstaat“ ausgedruckt. Ein Punkt ist die „noaberschap“. Der Begriff im Dialekt bezeichnet mehr als nur zufällige räumliche Nachbarschaft. „Wir müssen einander vor Ort respektieren und füreinander in jeder Lebenslage einstehen“, versucht er den Begriff zu definieren.
Doch was fordert die Partei konkret? Die BBB möchte auf europäischer Ebene Verträge zum Natur- und Umweltschutz, aber auch zur Migration überarbeiten. Zum Beispiel sollen in die Niederlande nur 15 000 Asylsuchende pro Jahr kommen. Sie möchte den Mindestlohn erhöhen, aber auch die Gewinnsteuern für Großkonzerne. Mehr Geld soll auch in die Infrastruktur auf dem Land fließen. Sie spricht sich für neue Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas aus und möchte das Mercosur-Freihandelsabkommen neu verhandeln.
Delle im Erfolg
Zurück auf den Hof von Henk Meerdink. Photovoltaikmodule glänzen auf seinen Stalldächern und seine Windkraftanlagen rotieren in Sichtweite. Mit diesen Investitionen liegt er quer zu den Positionen der BBB. Sie fordert den Ausbau der Kernkraft. „Zu 90 % kann ich das Programm unterzeichnen, beim Thema Energie nicht“, schränkt der Landwirt ein.
Mitte des Jahres hätte er noch gedacht, dass die BBB bei den Wahlen ganz oben landet. Jetzt ist der Kommunalpolitiker skeptisch. Der Erfolg hat eine Delle bekommen. Die Delle heißt Pieter Omtzigt. Der ehemalige CDA-Politiker hat Mitte August eine neue Partei gegründet, die bei den Umfragen aus dem Stand auf den ersten Platz sprang. Der „Nieuw Sociaal Contract“ (NSC) spricht ähnliche Wählergruppen an wie die BBB. Freek Diersen gesteht: „Hätte es sie früher gegeben, hätte ich vielleicht dort mitgemacht.“ Mit Henk Meerfeld ist er sich aber einig, dass die BBB bei der Parlamentswahl am kommenden Mittwoch eine Rolle spielen wird. Während Freek Diersen sie als Teil der zukünftigen Regierung sieht, könnte die Partei für Henk Meerfeld ein starke Opposition bilden.
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