Was Andreas und Klaus Engemann aus Willebadessen-Eissen in den vergangenen drei Jahrzehnten aufgebaut haben, ist beachtlich: Mehr oder weniger aus dem Nichts hat sich das Brüderpaar zu einem der größten Produzenten und Vermarkter von Bioprodukten in Ostwestfalen gemausert.
Konkret heißt das, sie bauen heute auf 164 ha Getreide, Beeren und Wurzelgemüse in der Warburger Börde an. Hinzu kommen zwei Handelsgesellschaften, Hofladen und mehrere Marktstände. 60 Mitarbeiter unterstützen sie dabei. Außerdem sind die Brüder an weiteren Bio-Betrieben in Eissen, Thüringen und der Slowakei beteiligt – noch mal etwa 800 ha.
Nun gehen sie eine ungewöhnlichen Schritt in der Nachfolge: Gemeinsam mit den im Betrieb arbeitenden Kindern haben sie eine Genossenschaft gegründet.
Aus Hilfe wird Partnerschaft
Doch springen wir an das Ende der 1980er-Jahre: Der Hof in Eissen war mehr als ein Jahrzehnt verpachtet. Der Vater der beiden verstarb jung. 1988 nahm Hoferbe Andreas Engemann, gelernter Landwirt, ihn wieder aus der Pacht und begann, nach Bioland-Richtlinien Gemüse anzubauen und Eiertouren ins Ruhrgebiet zu fahren. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Klaus, gelernter Gärtner, wollte seinem Bruder nur beim Start unterstützen. „Ich helfe ein oder zwei Jahre“, erinnert sich Andreas Engemann, heute 60 Jahre, an die Worte seine Bruders. Beide merkten schnell, dass es gut läuft und sie miteinander harmonieren.
„Wir wollten von Anfang an ein gleichberechtigtes System, an dem keiner von uns dem Anderem gegenüber bevorzugt wird “, sagt Andreas Engemann. So gründeten sie zur Bewirtschaftung der Landwirtschaft eine GbR, bei der sie beide den gleichen Anteil halten. Wenige Jahre später folgte eine GbR für die Gemüsehandel und eine GmbH & Co. KG für den Getreidehandel.
Während Andreas sich eher um den Anbau von Möhren, Chicorée und Co kümmert, regelt Klaus Handel und Vertrieb. Der umfasst mittlerweile Lieferungen vom Hofladen bis zum Discounter. „Die Aufteilung hat sich bewährt. Natürlich war auch mal etwas Sand im Getriebe. Aber Blut ist dicker als Wasser“, sagt Andreas Engemann im lichtdurchfluteten Besprechungsraum. Er kennt die Eigenheiten seines Bruders und umgekehrt genauso. „Daher gelingt das Wirtschaften besser als mit externen Partnern.“ Ein weiteres Indiz dafür: 2021 haben sie direkt neben dem Hof eine energetisch-moderne Lager- und Aufbereitungshalle für Obst und Gemüse errichtet.
Gelebte Biodiversität
Die Brüder haben insgesamt sieben Kinder, vier Andreas und drei Klaus. Doch wie gibt man das weiter, was man aufgebaut hat? „Bei uns herrscht nicht nur Biodiversität auf dem Acker, sondern auch in der Unternehmensstruktur“, lacht Andreas Engemann bei einem grünen Smoothie aus eigenem Gemüse und ergänzt ernst: „Uns war es wichtig, eine gemeinsame Klammer zu finden. Sonst hätten wir auch sagen können, ein Kind bekommt den Betriebsteil, ein anderes einen anderen.“ Damit wäre das Risiko gewachsen, dass das Unternehmen in der nächsten Generation auseinanderbricht. Daher lautet die Lösung für sie: Genossenschaft.
In der Nachfolgegeneration fiel die Idee auf fruchtbaren Boden. „In der Familie herrscht der Ansatz der besten Idee und nicht wer das meiste Geld im Unternehmen hat“, sagt Bastian Engemann, Sohn von Klaus Engemann. Der gelernte Industriekaufmann hilft schon seit Kindesbeinen in der Vermarktung mit. Zunächst stapelte er Kisten und verkaufte Gemüse auf Wochenmärkten, inzwischen ist er im Getreidehandel verantwortlich tätig.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich der 28-Jährige intensiv mit dem Thema Genossenschaft befasst. Nun liegt die Satzung vor ihm. Der Notar hat sein Okay gegeben. „Unabhängig vom eingebrachten Kapital, hat jeder Genosse das gleiche Stimmrecht, anders als in einer AG oder einer GmbH & Co. KG“, beschreibt er und sagt: „Das ist eine Form, die unsere Arbeitsweise widerspiegelt und einen demokratischen Ansatz hat.“ Genosse darf laut Satzung nur werden, wer Familienmitglied ist und im Betrieb arbeitet.
Aktuell sind das vier Kinder: Bastians Bruder Yannik kümmert sich um den Gemüsehandel und Instandhaltung der Gebäude, seine Cousine Julia um die Direktvermarktung und das Personal und sein Cousin Simon um den Ackerbau und die Maschinen. Der Jüngste im Bunde, sein Cousin Marius, beginnt nach dem Abi mit einer Lehre zum Landwirt. Er wird vermutlich in Zukunft auch Genosse werden. Lediglich Lilian und Lukas Engemann haben beruflich andere Wege eingeschlagen und sind damit außen vor.
Das beste Argument zählt
Mit ihren Partnern leben die jungen Genossen in Nachbarorten. Simon Engemann hat 40 km entfernt auf einen anderen Hof geheiratet. Doch schon seit der Schulzeit trifft sich die ganze Familie zwischen Weihnachten und Neujahr zum sogenannten Perspektivengespräch. Dabei ginge es auch schon früh, um die strategische Entwicklung des Bioland-Betriebes. „Vor der Gründung der Genossenschaft haben wir uns etwa alle sechs Wochen getroffen. Es gab viel zu besprechen und die Satzung zu schreiben“, erinnert sich Bastian Engemann. Das Verhältnis untereinander bezeichnet er als gut. Sie arbeiten alle in unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens. „Reibungspunkte im Tagesgeschäft bleiben daher aus“, meint Bastian Engemann.
Und was ist im Streitfall? „Den müssen wir ausräumen, am besten einstimmig. Auch hier soll das beste Argument zählen, egal wie hoch der Anteil des Genossen ist“, sagt der gelernte Kaufmann. Gewinne der Genossenschaft kommen dem Genossenschaftszweck zugute – laut Satzung die Be- und Verarbeitung von ökologisch erzeugtem Gemüse und Getreide. „Wir wollen keine Porsche fahren, sondern den ökologischen Landbau voranbringen. Davon soll natürlich jeder Genossen leben können. Das ist über ein Gehalt abgedeckt“, erklärt Bastian Engemann.
Bevollmächtigter statt Aufsichtsrat
Wer ins Gesetz schaut, findet, dass man für eine Genossenschaft mindestens drei Gründungsmitglieder braucht. Zum Start sind die Engemanns zu sechst und damit eine Kleinstgenossenschaft. Sie braucht daher keinen Aufsichtsrat, sondern einen Bevollmächtigten, der als Kontrollinstanz gegenüber dem Vorstand, Andreas und Klaus Engemann, agiert. Außerdem repräsentiert er die Genossen gegenüber dem Vorstand. Diese Rolle übernimmt Bastian Engemann. Einmal im Jahr muss eine Versammlung stattfinden.
„Der Vor- und Nachteil einer Genossenschaft ist, dass sie sich selbst gehört. Das heißt, man kann das Genossenschaftskapital nicht ausschütten“, versucht Bastian Engemann zu erklären. Ihr Genossenschaftskapital liegt bei etwas mehr als 300 000 €. „Das spiegelt ungefähr die Unternehmensgröße wieder“, sagt er.
Das Kapital wird in Genossenschaftsanteile umgewandelt. Die Vorsitzenden Klaus und Andreas stellen das Kapital in Form von Sachanlagen wie Gebäuden und Maschinen in der genannten Höhe als Sicherheit da. Darüber bekomme sie jeweils die Hälfte der Anteile und können darüber verfügen, wie viele Anteile sie an ihre mitarbeitenden Kinder verkaufen oder übertragen. Unabhängig von der Anzahl der Anteile bleibt das Stimmrecht jedes Genossen gleich.
Hof in der Höfeordnung
Während die beiden Handelsgesellschaften in eine Genossenschaft umgewandelt werden, bleibt die landwirtschaftliche GbR ausgeklammert. „Wir wollten sie auch erst in die Genossenschaft integrieren. Da wir mit dem Getreide- und Gemüsehandel aber deutlich mehr Umsatz erzielen, würde die Landwirtschaft gewerblich,“ erklärt Bastian Engemann. Subventionen fielen dann weg. Möglicherweise könnte die Landwirtschaft zur GmbH werden und die Genossenschaft Anteilseigner sein. Das ist aber noch Zukunftsmusik.
Doch kommen wir zurück zu dem Hof, der seit 100 Jahren im Familienbesitz ist. „Man muss unterscheiden zwischen der landwirtschaftliche GbR für die Bewirtschaftung und dem Hof samt Hofvermögen“, stellt Andreas Engemann klar. Der Hof bleibt Hof im Sinne der Höfeordnung. Daher wird er an eines seiner Kinder vererbt. Der Hof samt Flächen wird weder Teil der Genossenschaft noch ist er Teil der landwirtschaftlichen GbR. Die GbR hat die Flächen mit maximaler Laufzeit von 30 Jahren gepachtet. Die Pacht verlängert sich automatisch.
Nichtsdestotrotz sieht Andreas Engemann für seine Nachkommen einen deutlichen Vorteil in der Genossenschaft. „Die Form der GbR war früher für meinen Bruder und mich sehr flexibel, aber dafür standen wir komplett mit unserem Eigentum in der Haftung“, sagt er. Anders in einer Genossenschaft: Da haftet jeder Genossen nur mit seinem Anteil und kann sie jederzeit wieder verlassen – ohne, dass die Zukunft des gesamten Unternehmens in Gefahr wäre.
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