Damit Getreide auch mit guten Erträgen und dementsprechend schweren Körnern standfest bleibt, halten Landwirte es mit chemischen Wachstumsreglern kurz. Ein lange bewährtes System, das meistens zuverlässig funktioniert.
Doch es gibt eine Alternative, die nicht gleichzeitig die Wurzeln einkürzt und weniger Stress in der Pflanze verursacht. Zahlreiche Landwirte des Maschinenrings Tirschenreuth in Bayern nutzen für die Einkürzung der Bestände die Walze.
Warum Getreide walzen?
In den vergangenen Jahren haben die Tirschenreuther viel ausprobiert und empfehlen für das Einkürzen die Cambridgewalze. Im Vergleich zur Güttlerwalze ist sie schonender zu den Pflanzen und die Fahrgeschwindigkeit kann höher sein. Je nach Fruchtart und Längenwachstum walzen die Landwirte ihre Bestände in unterschiedlicher Häufigkeit zwischen BBCH 30 und 37. Die Gerste wird im BBCH-Stadium 30 bis 32 erstmalig behandelt. Dieser Zeitpunkt ist auch die Empfehlung für den ersten und wichtigsten Walzgang bei den anderen Getreidearten.
Roggen kann je nach Situation bis zu dreimal gewalzt werden. Schwere Walzen sind dafür nicht erforderlich, es geht ausschließlich darum, die Halme zu knicken. „An der Stelle des Knicks verstärken sich die Halme und werden dadurch stabiler“, berichtet Andreas Henfling, Mitarbeiter des Maschinenrings Tirschenreuth, im Rahmen eines Bodentages seines Maschinenrings im Juni des vergangenen Jahres. Josef Weiß, Landwirt aus Leonberg in der Oberpfalz, stellte dort seine Anbauversuche im Weizen vor. Auf einer Fläche verglich er die Maßnahmen Walzen mit der Cambridgewalze, Walzen mit der Güttlerwalze und Einkürzen des Weizens mit Moddus. In allen drei Varianten waren die Bestände im Juni mit 80 bis 90 cm gleich hoch.
In Puncto Vitalität und Pflanzengesundheit hatte der durch Walzen eingekürzte Weizen die Nase deutlich vorn, was die Messung der Brix-Werte bestätigte: Die gewalzten Pflanzen wiesen einen um 4 Brix (siehe unten im Kasten „Pflanzengesundheit messen“) höheren Wert auf. Weitere Pflanzenschutzmaßnahmen führte Josef Weiß hier auch nicht durch – weder Fungizide noch Insektizide kamen zum Einsatz. Er behandelte das Getreide allerdings im Herbst und im Frühjahr jeweils zwei Mal mit Komposttee und effektiven Mikroorganismen. Davon verspricht er sich eine Vitalisierung der Kulturen. Angebaut hatte er die Sorte Reform. Die Erträge der drei Versuche waren identisch, sind jedoch durch größere Hagelschäden nicht mit denen anderer Landwirte vergleichbar. Seit zwei Jahren arbeitet Josef Weiß im Direktsaatverfahren. Seine gewalzten und ohne Fungizide gewachsenen Weizenbestände bringen in der Regel Erträge von bis zu 100 dt/ha. In Wintergerste sind Erträge von bis zu 90 dt/ha normal.
Erfahrungen sammeln und teilen
Wenn Sie einen eigenen Versuch ohne Wachstumsregler anlegen, teilen Sie Ihre Erfahrungen gerne über unsere Social-Media-Kanäle oder per E-Mail an redaktion@wochenblatt.com mit uns. Wir sind gespannt, ob das System aus Bayern auch unter unseren Bedingungen funktioniert.
Zugegeben: Noch im Schossen mit der Walze durch Getreide zu fahren, spricht gegen vieles, das wir in der Berufsschule oder im Studium gelernt haben. Doch die Erfahrungen der Tirschenreuther zeigen, dass es ein Beitrag zum EU-Ziel – minus 50 % chemischer Pflanzenschutz bis 2030 – sein kann.
Wer schon jetzt – wenn auch nur in ein oder zwei Fahrgassen – Erfahrungen sammelt, ist auf mögliche weitere, gesetzliche Einschränkungen des chemischen Pflanzenschutzes vorbereitet.
Walzen für gesunden Boden
Für die Landwirte des Maschinenrings Tirschenreuth ist das Walzen der Bestände ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer bodenbelebenden, regenerativen Landwirtschaft mit der Zielsetzung, den Dünge- und Pflanzenschutzmittelaufwand zu reduzieren.
Die Regenerative Landwirtschaft basiert auf Methoden und Verfahren, die natürliche Prozesse unterstützen. Sie ist nicht, wie häufig in den Medien beschrieben, das Beste aus den Welten der konventionellen und der ökologischen Landwirtschaft. Sie ist vielmehr ein System, das die Pflanze und das Bodenleben in der Gesamtheit betrachtet und die Interaktion zwischen Pflanze und Bodenleben als Schlüssel für eine gute Bodenfruchtbarkeit und einen steigenden Humusgehalt in den Mittelpunkt rückt. Das System der Regenerativen Landwirtschaft variiert standortspezifisch und witterungsabhängig. Es ist nicht für jeden Betrieb oder jede Anbaufläche gleich. Deshalb gehört für die Landwirte um Andreas Henfling der Spaten, die Sonde und das Refraktometer zu den täglichen Werkzeugen ihrer Arbeit.
Altes Wissen neu entdeckt
Das Walzen des Getreides zur Wachstumsregulierung ist keine neue Erfindung aus Tirschenreuth. Ältere Landwirte berichten, dass diese Art der Stabilisierung nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich und den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR weit verbreitet war. Belege hierfür waren im Internet nicht zu finden – allerdings ist das Internet bekanntlich eine Erfindung der Neuzeit.
Beim Maschinenring Tirschenreuth war es Bernhard Stock, der von dem System gehört und 2016 mit dem Walzen begonnen hat. Nach und nach hat er immer mehr Landwirte aus seinem Umfeld mit der Methode infiziert: „Die Erträge auf meinen Feldern sind gleichgeblieben, die Kosten für Betriebsmittel konnte ich jedoch deutlich senken“, berichtet er. „Chemische Wachstumsregulierer und Fungizide setze ich überhaupt nicht mehr ein.“
Pflanzengesundheit messen
Der Brix-Wert ist der wichtigste Messwert des pflanzlichen Stoffwechsels. Er gibt an, wie groß die Menge gelöster Nährstoffe im Pflanzensaft ist. Hauptbestandteil sind die Zuckerverbindungen aus der Photosynthese der Pflanzen – dem wichtigsten Stoffwechselprozess des Lebens. Der Brix-Wert sollte zwischen 10 und 20 liegen. Eine gesunde Pflanze „produziert“ damit mehr Zucker als sie selbst benötigt und ernährt gleichzeitig das Bodenleben über die Wurzelausscheidungen.
Durch das intakte Bodenleben wiederum verbessert sich die Nährstoffverfügbarkeit für die Pflanze, sodass die Gesundheit und die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Krankheiten und Schadinsekten ansteigt. Das hat auch Auswirkungen auf die Qualität der Ernteergebnisse: Die Produkte, ob Getreide, Kartoffeln oder Sonderkulturen, besitzen höhere Nährstoffgehalte und haben eine deutlich bessere Qualität.
Futter mit einem doppelt so hohen Brix-Wert besitzt durch den doppelt so hohen Zuckergehalt auch deutlich mehr Energie.
Ist der Brix-Wert des gewalzten Getreides um 4 Brix höher, ist es damit auch widerstandsfähiger gegen Krankheitserreger und Schadinsekten. Das erklärt, warum in den gewalzten Beständen kein Einsatz von weiteren Pflanzenschutzmitteln notwendig ist und auch der Düngemittelaufwand sinkt. Allerdings muss diese Art der Einkürzung als Teil eines Gesamtsystems verstanden werden.