Das ist Mamas Bibel“, scherzt Stephanie Probst und deutet auf den roten Ordner, in dem Unmengen an Dokumenten abgeheftet sind. Es ist das Tierbestandsbuch, das die Zirkusfamilie führen muss. Denn zum Programm in der Manege gehören auch die Darbietungen mit den mehr als 50 Tieren wie Ziegen, Zebras und Pferden, Dromedaren und Kamelen, Rindern sowie Lamas. „Wir haben nie eigene Raubtiere besessen“, erklärt Brigitte Probst, die Anfang der 1980er Jahre in die traditionsreiche Zirkusfamilie einheiratete, „die Auflagen in Europa wären einfach zu hoch.“ Gleiches gilt für Schweine. Früher gehörten Wollschweine zum Programm. Doch dann kamen die Regelungen rund um die Afrikanische Schweinepest, die es für den Zirkus unmöglich machte, sie weiterhin zu halten.
Vergabe der Festplätze
Bevor Familie Probst mit ihrem Zirkus, der in der Saison gut 60 Köpfe zählt, in einem Ort ihr Zelt aufschlägt, sind viele Behördengänge nötig. Einen Teil davon übernimmt der angestellte Tourneeleiter, der auch zwischen den Gastspielen den Kontakt zu den Städten hält. „Je nach Gemeinde sind unterschiedliche Abteilungen zuständig“, wundert sich Brigitte Probst immer wieder über die wenig einheitlichen Regeln, „hier ist es das Liegenschaftsamt, dort das Stadtmarketing oder das Amt für Tourismus.“ Die Vergabe der Festplätze erfolgt bereits zwei Jahre im Voraus.
„Um den Überblick zu behalten, haben wir uns ganze Checklisten erarbeitet“, ergänzt Brigitte Probst, „schließlich wäre es fatal, wenn weder Strom, noch Frisch- oder Abwasser da wären, wenn wir eintreffen.“
Bevor der Tross tatsächlich eintrifft, nimmt Sohn Andreas die Begebenheiten in Augenschein. Er ist für die Technik zuständig. Dazu hat er extra einen Lehrgang zum Zeltmeister bei der Berufsgenossenschaft absolviert, um „Fliegende Bauten“, wie es im Gesetzestext heißt, aufbauen zu dürfen. Der 32-Jährige prüft, ob Bäume den Aufbau des Zeltes erschweren und der Boden die richtige Beschaffenheit hat. „Je nach Windlastzone dürfen wir mancherorts an der Küste überhaupt nicht gastieren“, weiß er. Sonst könnten orkanartige Böen das Zelt aus der Verankerung reißen.
Jede Woche kommt der Amtsveterinär
„Wir müssen uns an jedem Gastspielort vor Anreise erneut melden“, ergänzt Brigitte Probst. Unangekündigte Aufenthalte sind nicht zulässig. Denn an jedem Ort muss sich der Kreisveterinär von der ordnungsgemäßen Tierhaltung überzeugen. Dazu gehört auch § 11 der Tierschutz-Zirkusverordnung, der vorsieht, dass alle tierärztlichen Behandlungen dokumentiert werden müssen. „Seit der Gründung 1982 haben wir alle Unterlagen aufbewahrt“, bekräftigt Brigitte Probst stolz und legt die Hand auf ihre rote „Bibel“, die sie selbst mehr als ihre Visitenkarte sieht. Die Amtsveterinäre bescheinigen dem Zirkus darin, einen sehr guten Leumund. Neben der Haltungseinrichtung, dem Pflege- und Ernährungszustand der Tiere werden auch die ausreichend vorhandenen Futtervorräte sowie der Gesamteindruck bewertet. „Vorbildlich“ und „ausgezeichnet“ sind Formulierungen, die nahezu jede Zeile füllen.
In einer Zeile steht jedoch: „Zu kennzeichnende Tiere sind nicht entsprechend gekennzeichnet. Frist fünf Wochen.“ – „Wenn während unserer Spielzeit ein Zicklein geboren wird, dann müssten wir es binnen fünf Wochen chippen“, erklärt Tochter Stephanie, die maßgeblich für die Tiere zuständig ist. In der Praxis ist das jedoch laut der Familie nicht so einfach: „Finden sie erstmal einen Tierarzt, der mit all unseren verschiedenen Tierarten umzugehen weiß.“ In den vergangenen Jahren haben sie daher Jungtiere erst im Winterquartier in Gelsenkirchen durch ihren Stammtierarzt chippen lassen. Aufgrund der Implantate müssen auch die Rinder in der Manege keine Ohrmarken tragen. Die Amtsveterinäre legen die Gesetze unterschiedlich aus. „Manch einer kommt mit dem Chiplesegerät, ein anderer wirft nur einen Blick in die Bücher“, erzählt die 35-jährige Stephanie.
Alltag: Visa und Kassenbuch
Doch die Bürokratie hört nicht bei der Tierhaltung auf. Die zahlreichen Artisten aus aller Herren Länder brauchen Visa für ihre Einreise. Auch diese Aufgabe landet bei Brigitte Probst auf dem Schreibtisch. Viele kommen aus Süd- und Lateinamerika. Erfahrungsgemäß gibt es dort wenig Probleme mit der Einreiseerlaubnis. Die Ukraine bereitete der gelernten Schreinerin schon vor dem Krieg mehr Sorge: Dort begann der rund zweimonatige Bearbeitungsprozess erst, nachdem der Artist persönlich vorstellig geworden war. „Auf diesen ersten Termin wartete man aber durchaus zwei Monate“, bedauert Brigitte Probst.
Die Artisten des Circus Probst sind dauerhaft oder nur für eine Spielzeit angestellt. Einige sind selbstständig tätig. Die Abrechnung ist demnach wenig einheitlich. „Nach jeder Vorstellung muss ich außerdem noch die Kassenbücher führen“, sagt Brigitte Probst achselzuckend. Es klingt mehr nach einer Selbstverständlichkeit als nach einer Belastung.
Pferdehof wird neuer Wohnsitz
Lange hat die Zirkusfamilie nach einem dauerhaften Winterquartier gesucht, bis sie im vergangenen Jahr in Goch, Kreis Kleve, fündig wurden. Damit begann auch der Marathon mit den Ämtern. Unterstützung erhielten Probsts vom Wirtschaftsförderer des Kreises sowie dem Stadtentwickler.
Und dennoch wurde die Bauvoranfrage nicht in allen Punkten sofort positiv beschieden. Ein Streitpunkt war die Abbiegemöglichkeit von der Bundesstraße auf das Anwesen. „Der Vorbesitzer durfte ganz normal auf seinen Hof abbiegen. Uns wollte man das verwehren“, beschreibt Stephanie Probst das für sie nicht nachvollziehbare Vorgehen der Behörden. Dennoch ist die Großfamilie zuversichtlich, den kommenden Winter das erste Mal in einem eigenen Haus verbringen zu können. Stephanie und Andreas Probst haben das noch nie erlebt.
Von Kindesbeinen an sind die Geschwister mit ihren Eltern auf Tour gegangen. Sie kennen nur das Leben in den großen Campingwagen. Gleiches gilt für ihre eigenen Kinder, wenngleich Corona das Leben verändert hat. Stephanies älteste Tochter, Celina, ist in Gelsenkirchen eingeschult worden. Dort hat sie die ersten beiden Schuljahre verbracht. Erst im Januar 2022 zog der Zirkus weiter in Richtung Goch. Nun ist die Achtjährige in der örtlichen Grundschule angemeldet, die sie fortan in den Wintermonaten besuchen wird. In der übrigen Zeit besucht sie offiziell die „Schule für Circuskinder in NRW“. Die Stammschule bleibt weiterhin für den Wochenplan von Celina zuständig, den die Familie mit ihr zusammen erarbeitet. Das macht einen stetigen Austausch zwischen der Zirkusfamilie und den Behörden erforderlich.
Schnell auf Holz klopfen
Das neue Leben auf dem Pferdehof erleichtert zumindest im Hinblick auf die Schule das Leben. Doch an anderer Stelle warten bereits neue Herausforderungen. Auf den Tourneen hat Familie Probst den Mist ihrer Tiere stets bei Landwirten aus der Region abgegeben. An ihrem neuen Stammsitz wollen sie nun gerne mit einem holländischen Pilzzüchter zusammenarbeiten. „Der Herr hat uns nach einer Betriebsnummer gefragt. Aber ob das die ist, die wir bereits haben?“, zuckt Brigitte Probst mit den Achseln. „Wir wissen nicht, ob jetzt noch mehr Bürokratie auf uns zukommt“, sagt sie. Zur Sicherheit klopft die Familie aber trotzdem lieber schnell auf Holz.
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