Alexander hat Klopfer auf dem Arm und drückt sein kleines Kindergesicht in das Fell des grau-braunen Kaninchens. Klopfer ist kein x-beliebiges Tier. Er ist eins der zwei Kaninchen, die Christin Brockmann auf dem Schmetterlingshof für tiergestützte Intervention einsetzt.
Genehmigung und Geld
Auch wenn Christin noch nicht offiziell mit traumatisierten und trauernden Kindern und Jugendlichen arbeiten darf, ist schon einiges auf dem Hof los. Denn die zwei Esel, drei Schafe und zwei Ziegen wollen versorgt werden – nicht zu vergessen die Kaninchen und Meerschweinchen. „Das geht ganz schön ins Geld“, erzählt Christin. Sie muss rund 1400 € im Monat für Futter und Tierarzt aufbringen.
Als sie vor etwa zwei Jahren, nach langer Suche in Everswinkel-Raestrup, Kreis Warendorf, ein Anwesen nach ihren Vorstellungen zur Pacht fand, hätte sie nicht gedacht, dass es so lange dauern würde, bis alle Genehmigungen vorliegen würden. Heute fehlt noch das finale Brandschutzgutachten. Doch genau das ist Voraussetzung dafür, dass der Verein, den Christin und ihre freiwilligen Helfer mittlerweile gegründet haben, für ihre Arbeit Geld erhalten dürfen. Bis dahin ist außerdem die Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendhospiz des Kreises Warendorf und der Lebenshilfe Warendorf nur bedingt möglich. Um die Tiere trotzdem angemessen versorgen zu können, ist der Verein aktuell auf Spenden angewiesen. Auch ein Teil von Christins Privatvermögen aus dem Verkauf ihres Hauses ist schon in den Schmetterlingshof geflossen.
Der Schmetterlingshof
Auf dem Schmetterlingshof in Everswinkel-Raestrup, im Kreis Warendorf, sollen Kinder und Familien in belastenden Situationen Unterstützung erhalten. Denn Schicksalschlsschläge, der Verlust eines Familienmitgliedes, schwere Erkrankungen oder Gewalterfahrung sowie Mißbrauch traumatisieren und belasten die Betroffenen oft nachhaltig. Mit Hilfe tiergestützter Interventionen will die Vorsitzende des Trägervereins, Christin Brockmann, gemeinsam mit ihren Freiwilligen diesen Menschen helfen, ihre Lebensfreude wiederzufinden. Doch noch fehlt die finale Genehmigung, um mit der ehrenamtlichen Arbeit offiziell starten zu können und nicht mehr ausschließlich auf Spenden angewiesen zu sein.
Schutz für Mensch und Tier
„Alle unsere größeren Tiere sind bedrohte Rassen und stehen auf der roten Liste“, erzählt Christin Brockmann nicht ohne Stolz, während sie Pepe die langen flauschigen Ohren krault. Der Poitou-Eselwallach und die Eselstute Kimala, deren schamanischer Name laut ihrer Besitzerin übersetzt Schmetterling bedeutet, sind die jüngsten Zugänge auf dem Therapiehof. „Normalerweise gibt es diese Rasse nur noch in Tierparks, weil sie sehr selten geworden sind“, erklärt Christin.
„Ich weiß, dass tiergestützte Intervention vor Gesichtspunkten der Tierschutzes nicht unumstritten ist“, sagt die gelernte Krankenschwester und Motopädin „schließlich können Tiere sich nur bedingt gegen das Verhalten von Klienten wehren“. Aus diesem Grund arbeitet die 54-Jährige ohne Halfter und Strick. „Die Tiere entscheiden selbst, ob und zu welchem Klienten sie gehen wollen“, erklärt sie. „Wenn unsere Esel, Ziegen oder Schafe keine Lust mehr haben, mit den Kindern in Kontakt zu treten, dann können sie einfach gehen.“
Wenn Alexander Klopfer auf dem Arm hat, dann sind die Möglichkeiten des Kaninchens begrenzt, sich seinem Griff zu entziehen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die kleinen Tiere wohler fühlen, wenn wir sie in einem kleinen Körbchen auf den Arm haben“, beschreibt Christin die Bemühungen für das Tierwohl. Außerdem bietet das Kaninchengehege ausreichend Platz, dass die Klienten, wie Christin ihre jungen Besucher nennt, sich einfach hineinsetzen können und mit den Tieren in Kontakt treten können.
Ausgleich und Entspannung
Obwohl der Verein noch nicht offiziell arbeitet, darf Alexander schon heute auf dem Schmetterlingshof sein, weil er und seine Mutter Heike sich hier engagieren. „Ich bin über einen Beitrag in der lokalen Presse auf die therapeutische Arbeit aufmerksam geworden und war begeistert“, berichtet Heike. Seitdem kommt sie mit ihrem Sohn, wenn möglich einmal in der Woche auf den Hof. Dort misten sie aus, füttern die Tiere und helfen überall da mit, wo es nötig ist.
Oxytocin in der Oase
„Wenn Alexander von seinem Nachmittag auf dem Hof nach Hause kommt, ist er so entspannt und ausgeglichen“, beschreibt Heike, die die positive Veränderung, die sie nicht nur bei dem Neunjährigen, sondern auch bei sich selbst feststellt. Die Wirkung führt sie nicht nur auf die Aktivität draußen zurück, sondern ganz besonders auf den Kontakt mit den Tieren zurück.
„Der Körperkontakt mit Tieren setzt Oxytocin frei“, weiß Christin. Über das sogenannte Bindungs- und „Kuschelhormon“ hat sie in ihrer 16-monatigen Ausbildung zur „Fachkraft für tiergestützte Intervention“ viel gelernt. Forscher gehen davon aus, dass Oxytocin nicht nur bei der Berührung mit Tieren freigesetzt wird, sondern das bereits deren bloße Anwesenheit reicht. Gleichzeitig sinkt der Cortisolspiegel, der laut Professor Henri Julius vom Lehrstuhl für „Pädagogik im Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung“ an der Universität Rostock, gerade bei traumatisierten Kindern in Stresssituationen steigt. Dass die Wirkung von Tieren nicht auf Kinder begrenzt bleibt, zeigt sich, wenn man in die Gesichter der Freiwilligen und auch von Christin Brockmann blickt. Es wirkt so, als hätten hier viele ihre Oase gefunden.