Wochenblatt: Eine Mitarbeiterin aus Ihrem Team hat zwischen 2020 und 2022 untersucht, wie junge Menschen im Oldenburger Münsterland feiern. Was macht ihre Feierkultur aus?
Aka: Es gibt hier sehr viel Feiern, die von Cliquen vorbereitet werden. Zu bestimmten Geburtstagen oder Hochzeiten werden monatelang Gedichte gereimt, Lieder umgeschrieben oder Schilder gestaltet. Das hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr dynamisch entwickelt.
Wochenblatt: Warum wird das immer mehr?
Aka: Es gibt kaum noch Kneipen auf dem Land und die Jugendvereine haben immer weniger Mitglieder – auch wenn die Landjugend nach meinem Eindruck gerade wieder aufblüht. Gleichzeitig ist das Bedürfnis, seine Freizeit mit anderen Menschen zu verbringen, einfach groß. In der Stadt geht man in den Club oder eine Bar. Hier auf dem Land macht man das eben privat. Die Feierkultur ist dazu da, die Bande der Clique immer wieder zu verstärken. Wenn man nicht in einer Clique ist, dann ist man ein Außenseiter.
Einmehlen zum 16.Geburtstag
Wochenblatt: Entwickeln sich auch neue Bräuche?
Aka: Das Einmehlen zum 16. Geburtstag ist ein Brauch, den ich früher überhaupt nicht kannte. Zunächst haben Freunde dem Geburtstagskind in der Schule eine Tüte Mehl über den Kopf gekippt. Dann ist es dort verboten worden. Jetzt findet es bei den Jugendlichen zu Hause statt. Was das nun bedeuten soll, weiß man nicht. Es gibt die Theorie, dass da jemand zum Jugendlichen „gebacken“ wird.
Wochenblatt: Ein Lebensübergang ist auch die Hochzeit. Läuft das Land da zur Höchstform auf?
Aka: Die Verbrennungen von BHs und Junggesellenhosen sind auf jeden Fall unglaublich aufwendig. In unserer Nachbarschaft kam extra ein Bagger und hat den Sarg mit dem Rest der Junggesellenhose eingegraben. Beeindruckend finde ich auch diese wahnsinnig langen Kränze aus Socken, Flaschen oder Schachteln zu runden Geburtstagen. Mittlerweile werden viele Sachen auch über Internetportale weitergegeben. Das ist schon fast halbprofessionell.
Wochenblatt: Welche Rolle spielt der Alkohol?
Aka: Dass es nur um eine Gelegenheit zum Trinken geht, würde ich nicht sagen. Dafür braucht man diese Ritualisierungen nicht. Feste sind ein Zusammentreffen, um Gemeinschaft zu zelebrieren. Dazu gehört in der menschlichen Geschichte rituelles Trinken und Essen.
Wochenblatt: Frauen dürfen mit 30 Klinken putzen, Männer die Rathaustreppe fegen: Inwieweit sind mit den Bräuchen auch Rollenbilder verbunden?
Die Bräuche sind immer gegendert. Da werden sexuelle Anspielungen gemacht. Ein Beispiel: Zu Pfingsten bekommen hier im Oldenburger Münsterland unverheiratete Mädchen einen Baum vor die Tür gesetzt. Solche Bräuche fand ich schon als Jugendliche frauendiskriminierend. Es gab unverheiratete 80-Jährige, die haben ihr ganzes Leben diesen Baum bekommen. Da wurde der Baum zu einer öffentlichen Rüge.
Schaltjahre haben besonderen Ritus
Wochenblatt: Mittlerweile drehen sich in Schaltjahren manche Bräuche um. Wie kommt das?
Tatsächlich müssen dann in manchen Orten Männer Klinken putzen und Frauen Treppen fegen, Frauen bekommen den Flaschen- und Männer den Schachtelkranz. Das heißt: Es zieht eine gewisse Art von Geschlechtergerechtigkeit ein. Es ist zumindest mal reflektiert worden.
Wochenblatt: Sind generationenübergreifende Feste eine Besonderheit des ländlichen Raums?
Aka: Ist es generationenübergreifend, wenn alle da sind oder wenn sie auch miteinander reden? In der Nachbarschaft sind Feste ab und an generationenübergreifend, aber beim überwiegenden Teil bleiben die Altersgruppen unter sich.
Wochenblatt: Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf die Feierkultur?
Aka: Das hatte einen riesigen Einfluss. Jetzt merkt man einen großen Nachholbedarf. Die Bräuche werden die Zwangspause überstehen.
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