Redaktion Wochenblatt: Seit der Invasion russischer Soldaten in der Ukraine dominieren Kriegsnachrichten unseren Alltag. Ab welchem Alter sollten Eltern ihren Kindern von diesen Ereignissen erzählen?
Wich-Knoten: Ob Eltern mit ihren Kindern über den Krieg sprechen sollten, hängt nicht in erster Linie vom Alter ab, sondern viel mehr vom Entwicklungsstand des Kindes. Ein wichtiger Grundsatz, der Eltern Orientierung geben kann, lautet: Kinder fragen, wenn sie etwas wissen möchten. Damit das funktionieren kann, müssen Sie als Eltern Ihren Kindern klar signalisieren, dass sie Sie immer alles fragen dürfen. Sollte Ihr Kind also einmal in einer für Sie ungünstigen Situation Fragen stellen, reagieren Sie nicht peinlich berührt und antworten Sie nicht mit Sätzen wie „So etwas fragt man doch nicht!“. Sagen Sie stattdessen „Das ist eine wichtige Frage. Das erkläre ich dir gerne, wenn wir zu Hause sind.“
Wenn die sechsjährige Tochter von ihrem Vater wissen möchte, ob im Krieg auch Kinder sterben, sollte er also wahrheitsgemäß mit „ja“ antworten? Der erste Impuls als Eltern wäre es vermutlich, „nein“ zu sagen, um das Kind vor dieser Information zu schützen.
Lüer: Wichtig ist, dass Sie Ihr Kind nicht belügen. Denn in der Schule oder durch die Medien wird es mitbekommen, dass es doch so ist. Und wenn ein Kind schon seinen eigenen Eltern nicht glauben kann, wem soll es dann vertrauen? Schwächen Sie die Sachverhalte passend zum Entwicklungsstand Ihres Kindes ab, sparen Sie Details aus und setzen Sie Schwerpunkte. Zum Beispiel so: „Ja, es könnte sein, dass auch Kinder verletzt werden. Aber ich bin mir sicher, dass die Erwachsenen alles tun, um Kinder zu beschützen.“ Die Besonderheit hier ist, dass es sich im Gegensatz zu Corona um ein „Man-Made-Desaster“ handelt, also eine Krise von Menschen verursacht. Da Kinder von Menschen abhängig sind, ihnen vertrauen müssen, um zu überleben, ist ein Krieg für sie besonders bedrohlich. Hier brauchen sie insbesondere die Unterstützung von Bezugspersonen.
Inwieweit dürfen oder sollten Eltern ihren Kindern ihre eigene Betroffenheit zeigen?
Wich-Knoten: Erwachsene glauben oft, für ihre Kinder stark sein zu müssen. Es wäre jedoch ein gravierender Fehler, zu behaupten, dass Sie sich keine Sorgen machen. Denn Kinder haben eine sehr feine Antenne dafür, wie es ihren Eltern geht. Wenn ein Kind seine Mutter fragt, ob sie traurig ist, und sie antwortet „Nein, ich habe eine Zwiebel geschnitten“, wird die Wahrnehmung gestört. Denn was Mama sagt, ist richtig. Treten solche Situationen häufiger auf, werden Kinder zunehmend verunsichert. Auf lange Sicht könnte dies zum Beispiel die Entwicklung von Angststörungen begünstigen.
Wie sollten Eltern stattdessen gegenüber ihren Kindern mit der eigenen Angst umgehen?
Wich-Knoten: Sagen Sie Ihrem Kind offen: „Ja, ich bin traurig.“ oder „Ja, ich mache mir Sorgen.“ Und erklären Sie ihm gleichzeitig, dass Sie damit umgehen können. Wenn Sie traurig sind, können das Rituale der Selbstfürsorge sein: beispielsweise eine heiße Tasse Tee und gute Musik. Wichtig ist, dass wir uns in Krisensituationen nicht hilflos und ausgeliefert fühlen. Schauen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, was Sie tun können. Sie können eine Kerze anzünden oder das Geld, das für ein Eisessen eingeplant war, gemeinsam spenden. Es geht darum, dem Kind zu vermitteln: „Wir sind nicht hilflos. Wir können etwas tun, wenn auch etwas Kleines.“
Davor, Kinder Nachrichten im Fernsehen sehen zu lassen, raten Sie dringend ab. Das Radio auszuschalten, ist aus Ihrer Sicht nicht notwendig. Warum unterscheiden Sie zwischen diesen beiden Medien stark?
Lüer: Wenn wir Kindern etwas mit Worten erklären, können wir – wie bereits erwähnt – Informationen filtern, indem wir sie in eine kindgerechte Sprache fassen. Dabei ist es hilfreich, die Worte aufzugreifen, die das Kind selbst in seiner Frage verwendet hat. Anders ist es bei Bildern und Videos. Sie erzählen schonungslos auch die Details, nach denen die Kinder nicht gefragt haben.
Sie sagen: Kinder finden oft ihren ganz eigenen Lösungsansatz. Was meinen Sie damit?
Lüer: Nehmen wir als Beispiel eine Nachricht darüber, dass vor der Küste Griechenlands ein Flüchtlingsboot gekentert ist. In einer kindgerechten Sprache können Sie erklären, dass es Länder gibt, in denen so großer Streit herrscht, dass einige Familien unbedingt dort wegwollen. Und dann fahren sie mit viel zu kleinen Booten über das große Meer. Und manchmal kann so ein Boot bei ganz hohen Wellen umkippen. Ein kindlicher Lösungsansatz wäre es zu sagen: „Zum Glück habe ich das Seepferdchen.“ Lassen Sie diese rettende Idee stehen und bestärken Sie Ihr Kind in seiner Logik „Es ist wirklich toll, dass du schon so gut schwimmen kannst.“ Denn Ihrem Kind hilft dieser Ansatz in diesem Moment.
Lesen Sie mehr: