Der Nachbar fährt mit dem neuen Schlepper vom Hof, den ich selbst mir nicht leisten kann. Meine Freundin spielt erfolgreich in einem Orchester, während ich es als Kind nicht einmal geschafft habe, richtig Blockflöte zu lernen. Warum sind wir gerade auf Menschen aus unserem nahen Umfeld besonders schnell neidisch?
Erna Hüls: Neid hat immer etwas damit zu tun, dass ich mich mit anderen vergleiche. Und das ist bei Menschen, die im Grundsatz ein ähnliches Leben führen wie wir selbst, besonders naheliegend. Eine große Rolle spielt dabei der Gedanke „Das könnte auch ich sein!“. Bei einem Hollywood-Schauspieler oder einem Popstar ist uns klar, dass der Vergleich völlig abwegig wäre. Daher kommt hier in der Regel auch kein Neid bei uns auf.
Was ist aus Ihrer Sicht die falsche Reaktion auf dieses Gefühl, das da an uns nagt?
Erna Hüls: Viele von uns begehen den Fehler, den Erfolg des anderen als unseren eigenen Misserfolg zu verbuchen. Eine typische Reaktion ist es daher, den Erfolg des anderen kleinzureden. Wirklich besser geht es dadurch aber niemandem – weder uns noch unserem Gegenüber. Und vor allem: Diese Reaktion bringt uns in unserem eigenen Leben nicht voran. Dabei sollte das Ziel sein, handlungsfähig zu werden, statt unsere Energie mit Groll auf die Leistung einer anderen Person zu vergeuden.
Sie sagen, Neid lässt sich im positiven Sinne nutzen? Wie kann das gelingen?
Erna Hüls: Dass wir auf jemanden neidisch sind, zeigt uns, dass uns ein Thema wichtig ist. Manchmal waren wir uns dessen vorher gar nicht bewusst. Wir können das Gefühlals Chance sehen, selbst in diesem Feld aktiv zu werden – beispielsweise auch jetzt noch ein Instrument zu lernen. Ich bin davon überzeugt, dass Neid ein Zeichen dafür ist, dass wir das Potenzial in uns tragen, dieses Ziel auch zu erreichen. Außerdem kann es hilfreich sein, den Blickwinkel zu ändern. Statt mich darüber zu ärgern, dass ich etwas nicht habe, kann ich es als Motivation sehen: Spannend! Das ist also alles möglich! Da führt mir nicht jemand meine eigene Niederlage vor Augen, sondern er zeigt mir, was alles möglich sein kann.
Dann geht das Gerede los
„Neid ist bei mir im Umfeld ein großes Thema. Wenn jemand im Ort den Schritt in die Selbstständigkeit wagt oder ein Projekt anstößt, geht erst einmal das Gerede los. Statt denjenigen zu unterstützen, bleiben die meisten auf Abstand und beobachten genau, wie es so läuft. Ich glaube es liegt daran, dass viele neidisch darauf sind, dass sie sich selbst nicht trauen, ihre eigenen Träume umzusetzen. Überspitzt gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass hier im Ort der eine dem anderen das Schwarze unter den Fingernägeln nicht gönnt.“ Landfrau, 43 Jahre
Psychologen sprechen häufig von schwarzem und weißem Neid. Was verbirgt sich hinter diesen beiden Begriffen?
Erna Hüls: Schwarz ist der Neid, der uns zu destruktivem Denken verleitet, durch den ich mich minderwertig fühle. Weißer Neid hingegen motiviert mich, besser zu werden. Für mich bedeutet das, dass ich mich vor allem mit mir selbst vergleichen sollte, statt immer zu versuchen, besser zu sein als andere. Ein Schlüsselsatz lautet dabei für mich: „Ich bin zwar noch nicht da, wo ich hinmöchte. Aber ich bin auch nicht mehr da, wo ich noch vor einem halben Jahr oder auch vor zwei Wochen war.“ Wichtig ist es, jeden Tag einen kleinen Schritt weiter auf sein Ziel zuzugehen. Dabei meine ich im Übrigen nicht zwangsläufig die große Karriere. Sondern das gilt auch für vermeintlich kleinere Ziele, beispielsweise einen schönen Garten anzulegen oder Hobbymusikerin zu werden.
Aber es gibt doch auch Dinge, die ich nie werde erreichen können. Wenn die Nachbarsfamilie sich aufgrund eines Erbes ein tolles Haus leisten kann, werde ich ohne die entsprechende Verwandtschaft nie in diese Situation kommen können. Wie gehe ich damit um?
Erna Hüls: Das stimmt. Bei Neid und Motivation geht es darum, sich selbst Ziele zu stecken. Und auf ein großes Erbe zu warten, das niemals kommen wird, ist kein Ziel sonderneine Illusion. Das Neidgefühl bleibt also bestehen. Und ich persönlich würde niemandem empfehlen, dagegen anzukämpfen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das kostet einfach zu viel Kraft. Ich rate dazu, den Neid zu akzeptieren und über diesen Punkt hinauszugehen. Konkret kann das bedeuten, den Fokus auf Dinge zu lenken, die ich selbst besonders gut kann oder die in meinem Leben besonders gut gelaufen sind. Natürlich fällt es jedem schwer, nicht immer wieder auf das zu blicken, was man gerne hätte und doch nicht bekommen kann. Aber die Frage ist doch: In welchen Zustand bringt mich das, wenn ich mir dieses Defizit immer wieder vor Augen führe?
Wieso baut der einen neuen Stall und ich nicht?
„Vor einigen Jahren hat ein Berufskollege im Nachbarort einen neuen Stall gebaut. Ich hätte das damals auch sehr gerne getan. Offen gesagt: Ich war richtig neidisch auf ihn. Denn bei mir war ein Neubau finanziell einfach nicht drin. Immer wieder habe ich mir deshalb die Frage gestellt, wieso er sich die Investition leisten konnte und ich nicht. Was hatte ich falsch gemacht? Hatte ich schlecht gewirtschaftet? Hätte ich etwas besser machen können? Dann erfuhr ich, dass der Stallbau für den Landwirt nur zu stemmen war, weil sein Onkel sich finanziell beteiligte. Von da an war es mit dem Neid bei mir schlagartig vorbei. Denn einen reichen Onkel hatte ich nun einmal nicht. Für mich war die Erkenntnis wichtig, dass es nichts mit meinen eigenen Fähigkeiten zu tun hatte, dass ich das nötige Geld nicht aufbringen konnte.“ Landwirt, 54 Jahre
Was kann mir noch dabei helfen, mich vom Neid nicht blockieren zu lassen?
Erna Hüls: Stellen Sie sich die Frage, ob sie bereit wären, genau so viel Zeit, Geld oder Kraft zu investieren, wie derjenige es getan hat, auf den Sie neidisch sind. Wenn Sie mutig sind: Fragen Sie die betreffende Person, wie sie es geschafft hat, dieses Ziel zu erreichen. Am Ende kommen Sie möglicherweise zu dem Schluss, dass sie den Preis nicht würden zahlen wollen. Mir persönlich hilft auch die Grundhaltung, mit der ich durchs Leben gehe: Denn ich bin davon überzeugt, dass jeder von uns genau an der Stelle ist, an der er sein sollte. Und die Lebensaufgabe, die jemand hat, auf den ich neidisch bin, kann nicht meine eigene Lebensaufgabe sein.
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