In Deutschland sind etwa 22 % der Menschen älter als 65 Jahre. Bis zum Jahr 2030 werden es rund 30 % sein. Senioren machen einen großen Teil der Gesellschaft aus, mit eigenen Ansprüchen und Erwartungen und mit einem großen Potenzial. Sie verfügen über einen Schatz an Fach- und Sachkenntnis, aber auch an Lebenserfahrung. Diesen sollten sie nutzen, um ihr Lebensumfeld mitzugestalten. Das kommt einerseits der Gesellschaft zugute. Andererseits können Senioren so selbst dafür sorgen, dass die Belange älterer Menschen berücksichtigt werden. Und ganz nebenbei haben sie eine Aufgabe, die sie fordert und die den Geist fit hält.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich Senioren politisch einbringen können. Das geht über die Beteiligung in Gemeinde- und Stadträten oder Kreistagen, aber auch über Seniorenvertretungen, Bürgerinitiativen oder andere Gremien. Wir haben mit Seniorinnen und Senioren gesprochen, die erst spät begonnen haben, sich politisch zu engagieren – dafür aber mit umso mehr Herzblut.
Wir müssen selbst den Mund aufmachen
Als Gaby Schnell aus Altenberge, Kreis Steinfurt, nach ihrer Berufstätigkeit als selbstständige Friseurmeisterin und später als Industriekauffrau ins Rentenalter kam, war ihr klar, dass sie eine neue Aufgabe brauchte. „Meine Mutter ist im Alter regelrecht emotional verschmachtet. Das wollte ich auf keinen Fall“, beschreibt die 77-Jährige ihre Motivation. Aktiv wurde sie schließlich in der Seniorenvertretung in Altenberge. Sie wollte das politische Geschehen mitgestalten. „Auch mit 65 oder 75 habe ich noch etwas zu sagen“, begründet sie.
Die Rahmenbedingungen für den Alltag mitgestalten
Andere Ältere fordert sie auf: „Überlegen Sie, ob die Infrastruktur in Ihrem Umfeld so ist, dass Sie Ihren Alltag bewerkstelligen können.“ Ist das nicht der Fall, sollten sie die nötigen Themen selbst angehen. Zwar könnten ältere Menschen von jüngeren Politikern erwarten, dass sie sich auch um ihre Belange kümmern. Geschieht das aber nicht, dann müssen sie selbst ihre Stimme erheben.
Das hat sie gemacht. Zunächst auf kommunaler Ebene, später auf Kreis- und dann auch auf Landesebene. Elf Jahre lang war Gaby Schnell Vorsitzende der Landesseniorenvertretung NRW. Diesen Posten hat sie inzwischen abgegeben, ist aber noch Vorsitzende der Seniorenvertretung im Kreis Steinfurt.
Obwohl Seniorenvertretungen kein politisches Mandat haben, können sie eine Menge erreichen. So ist es beispielsweise der Seniorenvertretung in Gladbeck gelungen dafür zu sorgen, dass am Bahnhof eine Rampe angebracht wurde. In Altenberge setzte sich die Vertretung vor Jahren für eine Aussegnungshalle auf dem Friedhof ein, nennt Gaby Schnell zwei Beispiele. „Man wird dafür nicht mit Lorbeeren überschüttet. Aber ich tue es für mich“, erklärt sie.
Ältere sollten ihre Erfahrung einbringen
Die Seniorin ist durchaus davon überzeugt, dass sich Politik verjüngen muss. Doch auch die Älteren sollten ihre Erfahrung einbringen. „Jüngere schauen oft nicht weit genug“, ist ihre Meinung. Als Beispiel nennt sie die Energiewende. „Wo soll denn die Energie herkommen, wenn die Kohle bis 2030 abgeschafft wird“, fragt sie sich.
Die politische Arbeit ist für sie eine wertvolle Erfahrung. „Teilzuhaben an dem, was im Land geschieht, das bereichert“, sagt sie. Einen Zeitpunkt, an dem sie sich aus der Politik zurückziehen möchte, hat sie nicht festgelegt. „Dann müsste man mir schon den Mund zukleben.“
Seniorenvertretung in NRW
Seniorenvertretungen gibt es in NRW in 170 der insgesamt 396 Kommunen. Sie sind unabhängig von Parteien, Konfessionen und Verbänden. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen aller Menschen einer Kommune zu vertreten. Seniorenvertretungen arbeiten ehrenamtlich, bekommen aber in einigen Kommunen hauptamtliche Unterstützung.
Gute Mischung aus Jung und Alt
Wenn er einmal in Rente gehen würde, sollte in seinem Kalender mehr stehen als Montag, Dienstag, Mittwoch … Deshalb suchte sich Robert Kirchner-Quehl aus Wenden, Kreis Olpe, rechtzeitig eine Aufgabe, die ihn nach der Berufstätigkeit fordert und ihm Spaß macht. „Politisch interessiert war ich immer“, sagt der 71-jährige Diplom-Pädagoge, der lange in der Erwachsenenbildung tätig war. Schon als junger Mann war er in die SPD eingetreten. Als im Jahr 2014 die Kommunalwahlen in NRW anstanden, drängten ihn seine Parteikollegen, für den Kreistag zu kandidieren. Über die Liste erhielt er ein Mandat, das er noch immer innehat. Er wurde auch zum Kreisverbandsvorsitzenden gewählt. Diesen Posten hat er aber inzwischen abgegeben.
Themen ändern sich mit dem Alter
Obwohl er selbst zu den Älteren in seiner Fraktion zählt, setzt er sich vehement dafür ein, Jüngere mit ins Boot zu holen. Das ist ihm gelungen. „Wir haben hier den bundesweit jüngsten Kreisverbandsvorstand gebildet“, sagt er nicht ohne Stolz. Er ist überzeugt, dass die beste Arbeit geleistet wird, wenn es eine gute Mischung aus jungen und älteren Mitstreitern gibt. „Die besten Ideen haben die Jungen“, gibt er zu. Dafür wissen die Älteren, wie beispielsweise die Arbeit in Gremien funktioniert.
„Ich bin nicht aus Langeweile in die Politik gegangen“, betont er. Vielmehr freut er sich, als Rentner Zeit zu haben, sich für seine Herzensangelegenheiten einzusetzen. Für Umwelt, Klima und Atomenergie hat er sich schon immer interessiert. Im Alter sind andere Themen hinzugekommen, wie der öffentliche Nahverkehr oder die Ärzteversorgung auf dem Land.
Initiative setzt sich für Dorfladen ein
Neben der Arbeit im Kreistag engagiert sich Robert Kirchner-Quehl in der Initiative „Zukunftswerkstatt Ottfingen“. Diese Initiative hat es geschafft, einen Dorfladen in dem Wendener Ortsteil zu gründen. Gerade in der Corona-Zeit ist das eine große Hilfe, vor allem für die ältere Dorfbevölkerung.
Bei der nächsten Kreistagswahl will sich Robert Kirchner-Quehl aber nicht wieder aufstellen lassen. „Das ist ganz sicher!“, betont er. Er möchte nicht warten, bis er zum Aufhören gedrängt wird. Einmischen will er sich aber auch dann noch.
Junge Familien unterstützen
Nicht in der Seniorenarbeit, wie man aufgrund ihres Alters vermuten könnte, sondern in der Jugendhilfe ist Christel Wegmann aus Rhede aktiv. Die 70-Jährige ist Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses des Kreises Borken. Außerdem ist sie seit zwölf Jahren Mitglied des Kreistags.
Dass Vertreter ihrer Generation politisch mitmischen, ist für sie aufgrund des demografischen Wandels selbstverständlich. „Wir stellen heute mit 60 oder 70 Jahren nicht die alte Generation dar wie früher“, sagt sie. Schließlich werden die Menschen heute 80 oder auch 90 Jahre alt. Sie findet es wichtig, dass ältere Politiker ein Pendant setzen zu den jüngeren. „Ich habe viel erlebt. Das kann ich gut weitergeben“, begründet die Seniorin. Dennoch findet sie es wichtig, junge Menschen politisch nach vorn zu bringen. Es komme auf ein gutes Miteinander an.
Kluft zwischen den Generationen spürbar
Hin und wieder spürt sie jedoch eine Kluft zwischen den Generationen – und manchmal ein Drängen, ihren Posten für Jüngere freizumachen. „Aber in der Politik darf man nicht empfindlich sein.“ Allerdings steht für Christel Wegmann fest, dass sie bei der nächsten Kommunalwahl nicht wieder für den Kreistag antreten wird.
Bis dahin steckt sie ihre volle Energie in die Arbeit im Jugendhilfeausschuss, vor allem in die Förderung junger Familien. Für viele Familien sei es schwer, Kita, Schule, Haushalt und Beruf zu verbinden. „Da fehlt eine helfende Hand“, meint die Diplom-Sozialpädagogin und Mutter von vier Kindern. Beispielsweise kämpft sie dafür, ausreichend und nach Möglichkeit kostenlose Kitaplätze anzubieten.
Älteren Frauen fehlt es oft an Selbstvertrauen
Neben ihrer Arbeit im Kreistag ist Christel Wegmann Vorsitzende der Senioren-Union in Rhede. Hier setzt sie sich vor allem für die Belange der älteren Generation ein, zum Beispiel für einen Ausbau des Radwegenetzes und für eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs.
Ein besonderes Anliegen ist es ihr, ältere Frauen dazu zu ermuntern, ihre Stimme zu erheben. Anders als den jungen Politikerinnen fehle den Frauen ihrer Generation dafür häufig das nötige Selbstvertrauen.
Senioren möchten persönlich angesprochen werden
Untätiges Lamentieren ist nicht die Sache von Volker Steffen. Wer etwas verändern will, muss sich selbst dafür starkmachen, meint er. Deshalb ist der 73-Jährige aus Petershagen selbst in die Politik gegangen, wenn auch erst vor vier Jahren. Der Holzbetriebstechniker ist heute Kreisvorsitzender der Senioren-Union im Kreis Minden-Lübbecke, stellvertretender Ortsvorsitzender der CDU, sachkundiger Bürger im Rat für Heimat und Kultur und stellvertretender Vorsitzender der Seniorenvertretung der Stadt Petershagen.
Ein großes Anliegen ist dem christlich geprägten Senior die Kommunikation mit der Jugend. „Wir müssen der jungen Generation erklärten, wie Politik geht und wie Demokratie funktioniert“, stellt er fest. Beispielsweise sollten junge Menschen lernen, dass politische Prozesse einen langen Atem benötigen. Denn es gilt, die Menschen von einer Idee zu überzeugen. „Das geht nicht so einfach“, weiß er.
Wir können besonnen agieren
Als Ehemann, Vater von drei Kindern und Opa von sechs Enkeln ist Volker Steffen davon überzeugt, dass Demokratie am besten gelingt, wenn Jung und Alt zusammenwirken. Dabei findet er es wichtig, dass Ältere ihre Lebenserfahrung mit einbringen. „Wir wissen, wie Kampf geht, aber wir können auch besonnen agieren“, nennt er einen Vorteil, den ein hohes Lebensalter mit sich bringt.
Volker Steffen ist es auch zu verdanken, dass in diesem Jahr in Petershagen eine Senioren-Union gegründet wurde. Darüber hinaus hat er die Arbeit der Senioren-Union auf Kreisebene neu belebt. Dafür musste er zunächst möglichst viele Senioren mobilisieren. „Das klappt am besten, wenn sie persönlich angesprochen werden“, so seine Erfahrung. Gut angenommen werden Veranstaltungen, bei denen auch Geselligkeit dabei ist. Deshalb bietet die Senioren-Union zum Beispiel ein politisches Frühstück, Mittagessen oder Kaffeetrinken an mit einem Referat und anschließender Diskussion.
Etwas mit Senioren machen, nicht für sie
Themen, für die er sich mit der Seniorenvertretung in Petershaben einsetzt, sind beispielsweise die Nahversorgung auf dem Land oder die Vereinsamung älterer Menschen. „Wichtig ist, etwas mit den Älteren zu machen, nicht für sie“, sagt Volker Steffen. Als Beispiele nennt er die Einrichtung von Rettungspunkten – das sind mit Schildern gekennzeichnete, definierte Anfahrtsstellen für Rettungsfahrzeuge – sowie die Durchführung von Seminaren spezielle für Senioren, in denen sie den Umgang mit neuen Medien lernen.
Wenig Verständnis hat der rührige Senior für ewige Zauderer und Bedenkenträger. „Fang doch einfach mal an“, so sein Motto. Wie lang er das alles noch machen möchte? „Ich habe doch gerade erst begonnen. Ich mache das, solang ich die Kraft habe.“
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