Sie waren fast 30 Jahre eines der Gesichter der Katholischen Landvolkshochschule (LVHS) in Freckenhorst. Dort waren Sie der erste studierte Landwirt in der Erwachsenenbildung. Warum empfehlen Sie einem jungen Menschen, Landwirt zu werden?
Weil es keinen Beruf gibt, der sich so vielseitig entwickeln lässt und der tatsächlich so viel Abwechslung bietet. Landwirte starren nicht acht Stunden am Tag ausschließlich auf den Monitor, sondern arbeiten immer noch überwiegend im Stall und in der Natur.
Nur nicht jeder hat auch die Fähigkeit, einen Betrieb zu leiten. Denn der Betriebsleiter muss die Dinge machen, die andere nicht machen wollen und Entscheidungen treffen. Er muss nach Alleinstellungsmerkmalen für seinen Betrieb fahnden und Risiken eingehen. Denn es heißt unternehmen und nicht unterlassen. Dabei kann er nicht davon ausgehen, dass er so wirtschaften kann, wie es seine Eltern zuvor gemacht haben.
Zur Person
In Telgte im Kreis Warendorf liegt der Bullenmastbetrieb von Josef Everwin. Als er 1992 die Verantwortung für den Fachbereich „Lebens- und Arbeitswelt im ländlichen Raum“ an der Katholischen Landvolkshochschule in Freckenhorst übernahm, führte seine Frau Angelika den Betrieb weiter. Inzwischen haben Sohn und Schwiegertochter den Hof übernommen.
Josef Everwin entwickelte Kursangebote und unterstützte Teilnehmerinnen und Teilnehmer in betrieblichen Fragen. Daneben kümmerte sich der Vater von vier Kindern um die Ländliche Familienberatung im Bistum Münster.
Von 1980 bis 1992 war Josef Everwin, der in Osnabrück Agrarökonomie studiert hatte, zunächst für die Katholische Landjugend Bewegung (KLJB) und dann für die Katholische Landvolkbewegung (KLB) im Bistum Münster als Agrarreferent tätig. Während seiner Ausbildung in den 1970er-Jahren arbeitete er unter anderem für einen internationalen Zucht- und Milchviehbetrieb in den Niederlanden und half beim Export der Tiere ins Ausland.
Wie haben sich die Anforderungen an den Betriebsleiter oder die -leiterin gewandelt?
Generell haben wir heute einen anderen Typ Betriebsleiter als noch vor Jahrzehnten. Heute muss der Landwirt Spaß haben am Umgang mit Menschen und sich klare betriebliche Ziele setzen. Denn alleine wird er es nicht schaffen. Ein erfolgreicher Betriebsleiter braucht ein funktionierendes Netzwerk. Außerdem hat sich die Sichtweise der Bevölkerung auf die Landwirtschaft fundamental geändert. Der Landwirt darf nicht sagen: „Ihr habt doch alle keine Ahnung von der Landwirtschaft.“ Sondern: „Ich will dir den Weg erklären, warum wir das heute so machen.“ Dabei sind Persönlichkeit, Verlässlichkeit und Auftreten unerlässlich.
Das haben Sie in den Hauptkursen vermittelt. Sie haben 35 dieser Kurse mit im Schnitt 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern betreut. Was macht den Kurs aus?
In den vier Wochen im Januar kommen junge Landwirtinnen und Landwirte mit gleichgesinnten und gleichaltrigen Menschen zusammen. Sie befinden sich in einer ähnlichen Ausgangslage, meist nach der abgeschlossenen Ausbildung. Dabei ist nichts vertrauensvoller, als das Gespräch mit Menschen, die in der gleichen Lebenssituation sind und ähnliche Unsicherheiten empfinden.
Welche Unsicherheiten bemerken Sie?
Die jungen Leute sind meist stolz auf das, was die Eltern geschaffen haben. Unsicher sind sie aber, wenn sie selbst ein Unternehmerziel definieren sollen. Wie mache ich weiter? Was hat Priorität? Ist der Hof noch ausbaufähig? Lassen sich zwei Generationen von dem Betrieb ernähren? Hinzu kommen viele unsichere Faktoren von außen, wie eine ständig wechselnde Gesetzeslage und sich ändernde Ansprüche der Gesellschaft.
"Die jungen Leute sind meist stolz auf das, was die Eltern geschaffen haben."
Dabei müssen sich die jungen Leute auch selbst finden und ihre Stärken und Schwächen erkennen. Ein Denken in permanentem Größenwachstum der vergangenen Jahre hat manche Familie in den Ruin gestürzt. Die Zukunft liegt sicher in der Kunst, Maß zu halten und Einkommensquellen zu diversifizieren, sowie in der Flexibilität, wenn notwendig auch rechtzeitig einen neuen beruflichen Weg zu finden. Denn im Leben braucht man oftmals mehrere Perspektiven und Möglichkeiten, sonst wird man leicht erpressbar.
Was haben Sie versucht, den jungen Menschen in Ihren Kursen und Seminaren mitzugeben?
Ich habe immer gefragt, wo wollt ihr eigentlich mit 65 Jahren stehen? Das ist wichtig als Unternehmer. Man braucht einen Lebensplan, nicht nur einen Wochenplan. Für ein gelungenes Leben sind auch die privaten Bedürfnisse wie Freizeit, Hobby und Partnerschaft elementar. Das erst kann Gelassenheit geben. Da erlebe ich heute bei den jungen Menschen zu viel Ungeduld. Sie wollen alles zeitgleich und vergessen ihre persönliche Entwicklung und verlieren zum Beispiel die Familienplanung aus den Augen. Dabei braucht es Zeit und Wertschätzung, wenn man mit einem anderen Menschen zusammenleben möchte. Da kann der Hofnachfolger nicht permanent 14 Stunden am Tag arbeiten und die Freundin vernachlässigen.
"Man braucht einen Lebensplan, nicht nur einen Wochenplan."
Sie haben in Ihrem Beruf und im Ehrenamt viele landwirtschaftliche Familien begleitet. Wie hat sich das Verhältnis zwischen den Generationen gewandelt?
Das Bemühen, die andere Generation zu verstehen, ist stark gewachsen. Dabei erlebe ich heute eher verunsicherte Eltern. In vielen Fällen sind sie froh, wenn überhaupt ein Wille besteht, den Betrieb weiterzuführen.
Heute ist es normal, dass die Partner der jungen Generation in ihrem erlernten Beruf oftmals weiter arbeiten. Dabei ist es wichtig, dass es zumindest ein gegenseitiges Interesse gibt, um sich am Abend über den Tag auch mal austauschen zu können.
Und die ältere Generation weiß mittlerweile, was es heißt einsam zu sein. Nicht umsonst haben wir die landwirtschaftlichen Seniorengemeinschaften im Münsterland gegründet, um einer Vereinsamung auf dem Land entgegenzuwirken. Denn nichts geht über den Austausch unter Menschen in der gleichen Lebenssituation – egal ob jung oder alt.