Wackelig hängt nur noch der Rumpf mitsamt eines Flügels im Kugelfang. Schützen, Musiker und Besucher blicken gespannt gen Himmel. Wer wird in diesem Jahr den Vogel abschießen und neuer Regent für das kommende Schützenjahr?
Der Vogel fällt, ein neuer König ist ermittelt. Während sich der neue Hofstaat auf der Theke einfindet, erfährt Stefan Hoppe per WhatsApp-Nachricht, dass er dieses Jahr einen Platz auf dem Thron hat. Der 25-Jährige ist nämlich nicht auf dem Schützenplatz, sondern melkt nur einige 100 m vom Festzelt entfernt seine 120 Kühe.
Samstags Vogelschießen
In dem Lippstädter Ortsteil Mettinghausen (Kreis Soest) wird jedes Jahr am zweiten Wochenende im August samstags der neue König ermittelt. „Wir treten um 13 Uhr an, um 15 Uhr beginnt das Schießen“, erklärt der 25-Jährige. „Wenn der Vogel fällt, bin ich meistens schon zu Hause im Stall.“
Sein Vater Franz Hoppe hingegen bleibt auf dem Festplatz des 530-Seelen-Ortes. Dafür übernimmt er die Melkschicht am Morgen. „Ich habe kein Problem damit, früh aufzustehen“, sagt der Milchviehhalter. Um 5 Uhr fängt der 57-Jährige morgens im Stall an – auch wenn Schützenfest ist. Sohn Stefan beginnt üblicherweise um dieselbe Uhrzeit. Außer wenn Schützenfest ist. Dann kommt er eine Stunde später in den Stall, hilft beim Umtreiben und fängt an zu füttern. „Für die Routinearbeiten brauchen wir morgens drei Stunden“, erklärt Franz Hoppe. „Wenn nichts Außergewöhnliches ist, sitzen wir um 8 Uhr am Frühstückstisch.“
Vater und Sohn empfinden es nicht als Belastung, zwischendurch die Kühe versorgen zu müssen. Etwas entspannter war es allerdings noch vor zehn Jahren, als die Melkzeit nur eine Stunde statt wie heute zwei Stunden betrug. „Da konnte man das mal eben schnell zwischendurch machen“, erinnert sich Franz Hoppe. „Heute ist man dann schon für einige Zeit eingebunden.“ Trotzdem sind sich Vater und Sohn einig: „Für uns gehört das dazu. Wir kennen es ja nicht anders.“
Nur wenn Stefan im Hofstaat ist, kommt Stress auf, sagt der Seniorchef schmunzelnd. In dem Fall muss er nämlich morgens und abends ran. Besonders sonntags nachmittags ist das lästig. Während sich die anderen Schützen nach dem Umzug in geselligen Runden zusammenfinden, geht es für den Milcherzeuger direkt nach Hause in den Stall. Am Montagabend entfällt der Marsch durchs Dorf für ihn ebenfalls. Damit der Schützenfest-Begeisterte aber schnell zurück auf den Festplatz kommt, unterstützt ihn in solchen Fällen seine Frau Doris.
Franz Hoppe trug bereits zwei Mal die Königskette. Zuletzt vor zehn Jahren, im Jahr 2008. „Stefan war alt genug und hat in der Zeit die Stallarbeit übernommen“, erzählt der Landwirt.
Als Kaiser im Melkstand
Sonntags morgens hat der Seniorchef in seinem Amt als Kaiser (so heißt man, wenn man zum zweiten Mal Schützenkönig im gleichen Ort ist) trotz einer langen Nacht die Melkschicht übernommen. „Für mich war das nichts Besonderes“, erinnert er sich. Für einen Redakteur der Lippstädter Zeitung wohl schon: Er griff die Stallarbeit des Kaisers in einer Kolumne auf.
Bei einem „normalen“ Schützenfest, wenn keiner der beiden eine Schärpe trägt, nimmt Stefan Hoppe für gewöhnlich nicht am Sonntagsumzug teil. „Ich fange lieber etwas früher im Stall an und bin dann eher auf dem Platz“, erklärt der Agrarbetriebswirt. Ein kleiner Trost: Der gesamte Umzug legt zum Abholen der Fahnen einen Stopp auf dem Hof Hoppe ein.
Obwohl das Schützenfest des Heimatschutzvereines im August stattfindet, musste Familie Hoppe so gut wie nie wegen Erntearbeiten auf das Fest verzichten. Nur einmal erforderte die Wetterlage, einen Tag vor dem Schützenfest Gras mähen zu müssen. Aber auch dafür fanden sie eine Lösung: „Das Heuen hat jemand anderes übernommen“, sagt Hoppe. „Wir freuen uns das ganze Jahr auf das Schützenfest, da setze ich mich nicht auf den Trecker, wenn es endlich so weit ist“, betont der 57-Jährige.
Kontakte pflegen
Für Franz Hoppe haben Schützenfeste einen hohen Stellenwert: „Man trifft viele Leute und kommt mit Bekannten ins Gespräch, die man sonst nicht so häufig trifft.“ Mit einer Truppe von rund sieben Männern fährt er montags abends auf die Schützenfeste in der Umgebung.
Auf das diesjährige heimische Schützenfest freuen sich Vater und Sohn schon jetzt. Der einzige Nachteil ist, dass im August 26 Kalbungen anstehen.