Im Ludowinengarten in Brakel-Bökendorf im Kreis Höxter buddeln Kinder im Sand. Über ihnen erheben sich zwei Spieltürme aus Robinienholz mit Rutsche, die an ein Schloss erinnern. Im Hintergrund schießen Wasserfontänen in die Luft. Eine ältere Dame aus dem benachbarten Seniorenhaus lässt sich im Rollstuhl über die barrierefreien Wege schieben und lächelt.
An dieser Begegnung hätte die Namenspatin des Gartens, Ludowine von Haxthausen (1794–1872), vermutlich Gefallen gefunden. „Sie war eine Stieftante von Annette von Droste-Hülshoff. Als Stiftsdame sorgte sie sich in Bökendorf um Jung und Alt gleichermaßen“, erklärt Bernhard Aufenanger den ungewöhnlichen Namen der etwa 5400 m2 großen Fläche. Der Bökendorfer ist Kenner der Dorfgeschichte, in der die Familie von Haxthausen eine prägende Rolle spielt.
Auf deren Gutshof, dem Bökerhof, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur Annette von Droste-Hülshoff mehrfach Gast, auch die Brüder Grimm gingen ein und aus. Diese einmalige Historie sorgte dafür, dass der Ludowinengarten knapp 200 Jahre später das 750-Einwohner-Dorf bereichert. Doch gehen wir einen Schritt zurück.
Einst Standort der Schule
Es war einmal ein ungenutztes Grundstück neben dem Sportplatz in Bökendorf. Auf ihm stand bis 2013 die ehemalige Grundschule des Ortes. Zur selben Zeit formierte sich eine „Dorfwerkstatt“ als Ideenschmiede für Bökendorf. Die engagierten Bürgerinnen und Bürger überlegten, was mit der Freifläche der Schule und mit einer angrenzenden Freifläche der katholischen Kirchengemeinde geschehen könne. „Zunächst waren Häuser geplant. Doch das war schwierig aufgrund der Nähe zum Sportplatz und dem möglichen Lärm“, erinnert sich Ursula Grewe.
Die Bökendorferin ist stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Brakel. Die Grundstücke liegen zwar nicht mitten im Dorf, doch in der Nähe befinden sich ein Seniorenhaus mit angeschlossener Tagespflege, die Kirche und die Gemeindehalle sowie der Kindergarten. So plante die Ideenschmiede zunächst einen weiteren Spielplatz. Doch was hätten die Bewohner des Seniorenhauses und die Gäste der Tagespflege davon?
In den Köpfen des Teams reifte der Gedanke, einen Ort zu schaffen, der allen Generationen gerecht wird. Gemeinsam mit der Stadt Brakel prüften sie zudem, ob sie das nicht über das LEADER-Programm der EU fördern lassen können. Doch gewöhnliche Spielplätze oder Generationenparks bekommen aus dem EU-Fördertopf kein Geld. „Wir brauchten ein Alleinstellungsmerkmal für unser Projekt“, erinnert sich Michael Wickel, der bis vor Kurzem als ehrenamtlicher Bezirksverwaltungsstellenleiter quasi der verlängerte Arm der Stadtverwaltung in Bökendorf war.
Sie besannen sich auf das kulturelle Erbe des Ortes. So flossen in die Planung Märchen der Grimms und der Bökendorfer Romantikerkreis (siehe Kasten) mit ein. Mit dieser Projektskizze überzeugten sie 2017 die lokale Aktionsgruppe (LAG) der LEADER-Region „Kulturland Kreis Höxter“, die als Jury grünes Licht für die LEADER-Förderung gab.
Romantiker am Bökerhof
Ein Teil des Ludowinengartens widmet sich dem „Bökendorfer Romantikerkreis“ (1810–1825). In einem extra kreisförmig gestalteten Platz, dem sogenannten „Forum“, entdeckt der Besucher auf Stelen unter anderem die Silhouetten von Annette von Droste-Hülshoff und den Brüdern Grimm. Per QR-Code und an einer Audiosäule lässt sich mehr über die Mitglieder des Literatenzirkels erfahren.
Am Rand des Dorfes liegt das Haus Bökerhof der Familie von Haxthausen. Der Adelssitz war Anfang des 19. Jahrhunderts Mittelpunkt des Literatenkreises. Initiatoren waren zunächst die Brüder Werner und August von Haxthausen, der sich auch als Agrarwissenschaftler einen Namen gemacht hatte. Zu den Gästen zählten unter anderem ihre Stiefnichten Jenny und Annette von Droste-Hülshoff sowie die Brüder Jacob, Wilhelm und Ludwig Grimm. Weitere Besucher waren die Dichter Heinrich Straube, August von Arnswaldt und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben.
Annette von Droste-Hülshoff ließ sich am Bökerhof durch Erzählungen zu einem echten Kriminalfall zur ihrer Novelle „Die Judenbuche“ (1842 erschienen) inspirieren.
Teil eines Märchens sein
Wer den Ludowinengarten besucht, entdeckt fünf Grimm’sche Märchen. Das erwähnte Wasserspielrondell samt Schloss-Rutsche lässt den Besucher Teil des Froschkönigs werden. Teichgräser, Chinaschilf und Kopfweiden runden das Ambiente ab.
Sieben leichte Hügel und die Silhouetten der sieben Zwerge aus Cortenstahl mit Rostoptik deuten an: Hier ist Schneewittchen-Land. Über eine Balancierstrecke können junge Gäste wie Zwerge einen nachempfundenen Eichhörnchenkobel erklimmen. „Wir haben die Märchen bewusst abstrakt gehalten, um die Fantasie anzuregen. Die Besucher sollen sich als Teil fühlen“, erklärt die Freiraum-Planerin Anja Multhaup. Sie konzipierte gemeinsam mit den Bökendorfern den Ludowinengarten.
Vor einem Häuschen stehen Lebkuchenbaum und Hemlocktannen. Hier wohnt aber nicht die Hexe aus Hänsel und Gretel, sondern Vereine und Gruppen können dort grillen. Wasser- und Stromanschlüsse sind vorhanden. Zum Verweilen, vor allem für die älteren Gäste, lädt der Dornröschenpavillon ein. Bald schon umranken Rosen das überdachte Rund.
Urwüchsig ist dagegen der Bereich der Bremer Stadtmusikanten. Hier soll auf Dauer eine Wildblumenwiese sprießen. „Das Besondere bei diesem Märchen ist, dass die Brüder Grimm die Geschichte der vier tierischen Helden aus dem Bökendorfer Kreis erhalten haben“, erklärt Bernhard Aufenanger. Das Räuberhaus stand angeblich in den umliegenden Wäldern.
Per QR-Code und Smartphone können sich die Gäste die Märchen an den einzelnen Stationen erzählen lassen. Die Schauspieler der Freilichtbühne Bökendorf haben sie eingesprochen. Sie nutzten dafür das Corona-bedingte Aus der Saison 2020. „Im Corona-Sommer war der Ludowinengarten schon ein beliebtes Ziel auch für Besucher, die nicht aus dem Ort stammen“, sagt Bernhard Aufenanger. Einen Parkplatz gibt es direkt nebenan.
Vom Nachbarort Bellersen, der eng verbunden mit dem Droste-Werk „Die Judenbuche“ ist, führt ein Radweg nach Bökendorf. Außerdem ist das Dorf angebunden an mehrere kreisweite Rad-Routen.
Im Juli 2020 wurde der Ludowinengarten eröffnet. Alles in allem beliefen sich die Kosten auf 420 000 €. Allein 250 000 € stammen aus dem LEADER-Fördertopf – der Höchstsatz für ein einzelnes Projekt. Knapp 160 000 € steuerte die Stadt Brakel bei. Der Rest kam aus Spenden.
Matschküche und E-Säule
2019 konnte mit dem Bau begonnen werden. Wasserspielplatz und Gerätschaften bauten Fachfirmen. Daneben packten aber auch zahlreiche Bökendorfer mit an. Sie pflanzten mehr als 400 Heckensträucher und Stauden und wässerten sowohl diese als auch die Rasenflächen. Gemeinsam verteilten sie unzählige Karren Rindenmulch auf den Beetflächen.
„Der lange Atem hat sich gelohnt. Doch es geht noch weiter“, verspricht Michael Wickel. Geplant sind Hochbeete und eine Matschecke für Kinder. Am Parkplatz würden sich Ladeplätze für E-Bikes gut machen. Bei so vielen Ideen und Tatkraft wäre Ludowine von Haxthausen sicher stolz auf ihre Bökendorfer gewesen.
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