Herr Schulze Lefert, in der Schule mussten sie sich als Bauernsohn einiges gefallen lassen. Wie kam es dazu?
In der Grundschule war das noch kein Thema. Im Gegenteil: Es war cool, Bauernkind zu sein. Unser Hof in Altenberge war zum Beispiel für viele ein Riesenspielplatz. In meine Klasse gingen etliche Bauernkinder. Am Gymnasium in Münster sah das anders aus. Ich war der Einzige in der Stufe, der vom Hof kam. Das Mobben begann in der siebten Klasse, als die Chemielehrerin ständig gegen die Landwirtschaft wetterte. Ihre Vorwürfe wollte ich nicht so stehen lassen. Ich versuchte, mit Argumenten dagegenzuhalten. Das machte aber alles noch schlimmer. Die Lehrerin behandelte mich sehr abwertend. Da merkten einige Mitschüler, dass ich an diesem Punkt angreifbar war. Das nutzten sie aus, um sich auf meine Kosten zu profilieren. Sie beschimpften meine Eltern und mich von da an beispielsweise als Tierquäler und Brunnenvergifter.
Wie haben die anderen reagiert?
Von den rund 30 Mitschülern haben mich etwa fünf so behandelt. Die konnte ich anfangs noch ignorieren. Viel belastender war, dass alle anderen geschwiegen oder mir sogar geraten haben, nachzugeben und mich wegzuducken, auch meine engeren Freunde. Dadurch fühlte ich mich noch hilfloser. Die wenigen Lehrer, die die Angriffe mitbekamen, haben sie ignoriert oder sogar bestärkt. Der Erdkundelehrer etwa meinte, die Kinder hätten ja Recht. Das fand ich sehr schlimm.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Mein größter Fehler war, dass ich mit niemandem darüber gesprochen habe. Wenn ich mit meinen Freunden zusammen war, habe ich das Thema ausgeklammert. Dann war „Freundezeit“. Ich wollte sie nicht verlieren. Auch meine Eltern mochte ich damit nicht belasten. In dem Alter wollte ich meine Probleme alleine lösen. Gut war damals, dass ich parallel zur Schule auch einen Freundeskreis aufgebaut hatte. Seit der zweiten Klasse war ich im Schwimmverein im Dorf aktiv. So konnte ich wenigstens woanders Bestätigung finden. Das Mobben in der Schule zog sich durch bis zur zehnten Klasse. Danach kam ich aus anderen Gründen in eine neue Klasse. Dort fanden es viele wiederum super, dass ich vom Hof kam, etwa weil wir in unserer Scheune einen Partyraum hatten.
Was denken Sie, warum es Sie getroffen hat?
Die Täter haben auch andere Schüler verbal angegriffen. Hier ging es aber häufig um Dinge, die diese selbst beeinflussen konnten. Auch ich hatte zum Beispiel lange Haare, trug Norwegerpullis, hörte aggressive Musik. In all dem war ich aber nicht angreifbar, weil das meine freie Entscheidung war. Für den Beruf oder finanziellen Status der Eltern kann kein Kind etwas. Mit dieser Zielrichtung bekommen Angriffe eine andere Qualität. Mich hat das sehr belastet und ich fühlte mich total hilflos.
Inwiefern hat Sie das später noch beeinflusst und geprägt?
Noch heute kommt das Gefühl der Hilflosigkeit manchmal wieder hoch. Dies kann bei mir eine Negativspirale in Gang setzen, die mich früher auch in Depressionen hat abgleiten lassen. Das habe ich mehrfach erlebt, etwa während meines Agrarstudiums. Damals konnte ich mir allein helfen. In einer anderen Situation vor fast vier Jahren kam es so weit, dass ich zeitweise nicht mehr arbeiten konnte. Ich war unkonzentriert, konnte kaum schlafen und hatte große Unruhe im Kopf, dazu Kribbeln in Fingern und Füßen und krampfartige Muskelschmerzen. Erst später wurde mir klar, dass die psychischen Symptome gravierender waren als die körperlichen. Nur durch die schnelle Hilfe eines Psychotherapeuten und eine Therapie in einer psychiatrischen Tagesklinik konnte ich meine Lebensqualität zurückgewinnen. In den Gesprächen dort stellte sich die Frage, wo ich dies Gefühl der Hilflosigkeit erstmals erlebt hatte und warum mein Kopf so reagiert. Dabei wurde mir klar, dass das Mobben in der Schule die Ursache war. Heute habe ich gelernt, mit diesem Gefühl umzugehen. Es fällt mir aber manchmal schwer, es zu kontrollieren.
Heute wohnen Sie mit Ihrer Frau und Ihren beiden Kindern in der Nähe von Osnabrück. Was raten Sie anderen Eltern?
Kinder lernen durch Vorbilder. Wenn Eltern ihnen vorleben, negative Gefühle offen anzusprechen und so zu verarbeiten, sehen sie, wie sehr es beim Bewältigen eigener Probleme hilft, darüber zu reden. Wird ein Kind zur Zielscheibe von Hänseleien oder Mobbing, muss das Ziel immer sein, ihm die Hilflosigkeit zu nehmen. Durch meine Erlebnisse achten wir auch sehr darauf, unsere Kinder darin zu stärken, Rücksicht zu nehmen und für andere einzutreten. Wir möchten ihnen vermitteln, dass sie nicht schweigen dürfen, wenn jemand ungerecht behandelt wird.
Sie gehen mit Ihren Erlebnissen und den Folgen offen um – eine Ausnahme. Zum Beispiel berichteten sie in einem Internetblog davon. Was bewegt Sie dazu?
Das Thema seelische Gesundheit ist mir ein großes Anliegen. Vor einiger Zeit gab es einige recht anonyme Berichte zum Mobbing von Bauernkindern. Es ist mir ein Bedürfnis, dem ein Gesicht zu verleihen und meine Erfahrungen zu schildern, um anderen zu helfen. Dass es nicht nur mir so erging, zeigten die vielen Rückmeldungen, auch aus der landwirtschaftlichen Community. Wir Landwirte tendieren dazu, mit psychischen Problemen hinterm Berg zu halten. Da wünsche ich mir einen offeneren Umgang. Denn Studien zeigen, dass Kinder, deren Eltern psychisch belastet sind, anfälliger für Mobbing sind.
Trifft es Ihrer Meinung nach Bauernkinder besonders oft?
Ich sehe als Hauptursache für Mobbing auch ein zunehmendes gesellschaftliches Problem. Es geht immer weniger um das eigene Tun, sondern immer stärker darum, sich in Relation zu anderen zu definieren, sich abzugrenzen und andere schlecht darzustellen, um selbst besser da zu stehen. Obwohl der Übergang oft fließend ist, werden scharfe Grenzen gezogen, wie zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft. Manche brechen das Ganze auf Gut und Böse herunter. Das nimmt immer aggressivere Formen an - nicht nur, aber besonders auch bezogen auf die Landwirtschaft. Dieses immer stärkere Polarisieren, das Negative Campaigning und der Populismus, dem viele auf den Leim gehen, führen meiner Ansicht nach auch dazu, dass nicht nur Bauernkinder, sondern auch Kinder aus finanziell oder sozial schwachen Haushalten oder Kinder mit Migrationshintergrund eher und gezielter gemobbt werden.
Schreiben Sie uns! Haben Sie oder Ihre Kinder Mobbing erlebt? Gerne würden wir einige Erfahrungen veröffentlichen, auf Wunsch auch anonym. Schreiben Sie bis Ende Juni an: Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben, Postfach 49 29, 48028 Münster oder per E-Mail an redaktion@wochenblatt.com, Betreff: Mobbing.
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