Das Gartentor schließt Waldemar Korte direkt wieder ab. „Sonst gibt es hier gleich noch mehr Besucher“, lacht der Architekt. In einem unauffälligen Baugebiet am Rande von Beckum steht ein Haus, das im vergangenen Sommer bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat und bis heute viele Interessierte anzieht. Schließlich war es das erste Wohnhaus in Deutschland, das komplett gedruckt worden ist.
Ein 3D-Drucker hat Schicht für Schicht alle Wände hochgezogen. Immer wieder hat er seine 6cm breiten und 2cm hohen Streifen aus Beton abgelegt. Das ist überall deutlich zu sehen. Die Wände sind nicht glatt, sondern haben eine wulstige Struktur. Beim Anstrich ist der Betonton erhalten geblieben. Nur an wenigen Stellen gibt es dunkelgraue Akzente.
Rohbau in Rekordzeit
Gerade einmal 100 reine Arbeitsstunden hat die Maschine für den Rohbau gebraucht. Lediglich die Bodenplatte und die Decken wurden ganz herkömmlich bewehrt und gegossen. Warum solch ein Probelauf ausgerechnet in Beckum stattfindet? Zum einen gibt es in der Stadt mit großer Zementindustrie eine natürliche Nähe zum Baustoff Beton. Zum anderen kamen innovationsfreudige Menschen zusammen: ein mutiger Grundstückseigentümer und Bauherr, eine Firma, die zeigen wollte, was ihr Drucker mit seinen Roboterarmen kann – und der Architekt Waldemar Korte.
Normalerweise plant der 41-Jährige im Büro Mense-Korte große Industriebauten. Doch das Einfamilienhaus mit 160m2 Wohnfläche war das bisher kniffligste seiner Karriere. Angetrieben hat ihn neben der Lust an Neuem diese Erkenntnis: „Wenn man solch ein Haus einmal in Deutschland gebaut hat, dann ist es auf der ganzen Welt anerkannt.“
Beton und Holz
Rein geht es durch eine dunkle, moderne Haustür, über der sich ein bodentiefes Fenster im Obergeschoss anschließt. In den Blick fällt direkt die Treppe. Holzstufen führen nach oben. Der Boden zieht sich durchs ganze Gebäude und nimmt der Betonoptik vieles ihrer Kühle. Die wulstigen Wände schlucken mit ihrer großen Oberfläche den Schall. Obwohl nirgendwo Teppiche liegen oder Vorhänge angebracht sind, hallt es nicht.
Das sind die Vorteile der besonderen Bauart. Waldemar Korte hatte vor allem mit den Herausforderungen zu tun. Bei den Planungen musste er vieles von dem über Bord werfen, was sonst seine Arbeit bestimmt. Herkömmlich gebaut, sind Rundungen immer ein Kostentreiber. Der 3D-Drucker kann dagegen keine Ecken und gleitet lieber geschmeidig um Kurven. Wo der Elektriker sonst Schlitze stemmt, lässt die Maschine Öffnungen für Dosen und Leerrohre. Die werden dann direkt eingesetzt, bevor der Drucker die Stelle zum nächsten Mal passiert. „Wir sparen uns die gesamte Elektro-Rohinstallation“, sagt Waldemar Korte. Aber: Die Planung muss auf Anhieb sitzen.
Beton: Ein umstrittener Baustoff
Beton, den man drucken kann, muss eigentlich widersprüchliche Anforderungen erfüllen. Er soll gut durch den Schlauch zum Druckkopf fließen, sobald er aufgetragen ist aber möglichst schnell hart werden. Einen Betonmörtel, der das kann, hat die Firma Heidelberg Cement entwickelt und sich patentieren lassen. Zement fungiert ganz klassisch als Bindemittel. Dazu kommen Sand als Zuschlagsstoff und verschiedene „Additive“. Das sind Mittel aus der Bauchemie, die dem Mörtel die gewünschten Eigenschaften verschaffen.
Zement und Beton haben nicht den besten Ruf. Das Brennen von Zement ist sehr energieintensiv, allein die Zementindustrie ist für 6 bis 8% der jährlichen CO2-Emmissionen weltweit verantwortlich. Deshalb experimentiert die Industrie mit alternativen Materialien. Sogar Lehm lässt sich drucken, allerdings entstehen bisher nur sehr grobe Wände, die zudem zu Rissen neigen.
Erfolgversprechender ist aus Sicht von Architekt Waldemar Korte der Einsatz von recycelten Baustoffen, die auf Dauer den Sand im Mörtel ersetzen sollen.
Genehmigung vom Land
Besonders aufwendig war die Genehmigung des Hauses. Die Stadt Beckum setzte zwar zügig ihren Stempel unter den Bauantrag, verwies aber darauf, dass natürlich die Regeln der Technik zu beachten seien. Weil es die im Betondruckverfahren noch nicht gibt, musste der Bau in Teilen ins Prüflabor. Wissenschaftler der TU München unterzogen das Material und auch einzelne Wände ausführlichen Belastungstests. Auf deren Grundlage gab schließlich das NRW-Bauministerium sein Okay. Weil es in der Methode Chancen sieht, förderte es das Projekt mit 200.000€.
Wie teuer solch ein Haus heute wäre? Waldemar Korte würde es mit 450.000 € kalkulieren, plus Grundstück, Außenanlagen und Einrichtung. Wer eh mit runden Ecken plant, käme auch massiv bei einem ähnlichen Wert heraus. Wer es eckiger mag, läge um etwa 20% darunter. Aber Korte sieht Potenzial: Weil die Methode weniger Personalstunden braucht und mit weniger Material als ein Massivbau auskommt.
12 cm dicke Außenwände
Die dünnsten Außenwände sind 12cm dick. An den meisten Stellen besteht die Hülle aus zwei parallelen Wänden. Den Zwischenraum füllt als Dämmung eine Schüttung aus Perliten. So erreicht die Hülle den Standard eines KfW-Effizienzhauses 55, der nach dem Willen der Bundesregierung künftig Mindeststandard beim Neubau werden soll. Bei der Haltbarkeit rechnet Korte mit 80 bis 90 Jahren, vergleichbar mit einem normalen Massivbau.
Waldemar Korte weiß um die Diskussionen um den Baustoff Beton (siehe Kasten). „Wir versuchen deshalb, alle anderen Bestandteile des Hauses möglichst nachhaltig zu gestalten.“ Neben der Dämmung denkt er an die Decken. Die könnten zukünftig aus Holz gefertigt werden. Beheizt wird das Gebäude über eine Wärmepumpe.
Risse im Blick
Mit prüfendem Blick geht der Architekt bei jedem Besuch durchs Haus. An verschiedenen Stellen tun sich feine Risse in der Oberfläche auf. „Das ist völlig normal“, sagt Korte, „fällt aber in vielen Häusern nicht auf, weil die Betonteile nicht offen liegen.“
Aktuell arbeitet das Büro an vier anderen Druckprojekten. Es lässt sich bewusst Zeit. Erstens weil es beobachten will, wie das Material altert. Zweitens weil in Deutschland aktuell nur zwei Druckanlagen zur Verfügung stehen. Korte rechnet nicht damit, dass viele Bauunternehmen zügig in die neue Technik einsteigen. Auch weil die 3D-Drucker maximal 17m in der Länge, 14,50m in der Breite und 10m in der Höhe hinbekommen. Das reicht für kleinere Bürogebäude und Mehrfamilienhäuser, nicht aber für größere und enge Baustellen.
Rund um das Haus in Beckum ist noch Platz. Dort sollen weitere Häuser aus dem Drucker entstehen. Bis zum Sommer sind Führungen durch das Objekt möglich (Buchung hier). Danach will die künftige Bewohnerin einziehen.
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