Das Thermometer zeigt Minusgrade an. Die Sonne strahlt auf den Parkplatz vor dem Raiffeisenmarkt in Rinkerode im Kreis Warendorf. Andrea Fennenkötter räumt eine kleine Holzbank vor den Bankbus, stellt ein Schild der „Volksbank im Münsterland“ auf und öffnet am Heck die Klappe zum Geldautomaten. Im Inneren der rollenden Bank, die mehr an ein Wohnmobil erinnert als an einen Bus, ist es warm. Eine elektronische Schiebetür hält die Kälte draußen. Hier lassen sich Kontoauszüge drucken und Überweisungen scannen. Hinter einem kleinen Schalter steht Fennenkötter. Die Bankfachwirtin hilft beim Onlinebanking, klärt Fragen zur Kreditkarte und eröffnet Konten für Neugeborene. Seit Mai 2023 steht sie mit dem Bankbus in Rinkerode, immer mittwochs von 13.30 bis 15.30 Uhr.
Gerade hebt ein älterer Herr außen am Automaten Geld ab. „Auf die Scheine und Münzen haben wir keinen Zugriff“, erklärt Fennenkötter. Das 6 t schwere Gefährt ist extra gesichert, Video überwacht und GPS-getrackt. Der Bankbus ist seit November 2022 im Einsatz. Zum Revier der „Volksbank im Münsterland“ zählen nicht nur Münster, sondern auch weite Teile der Kreise Steinfurt und Warendorf. Mit dem Bankmobil fahren die Bankmitarbeiter von Hopsten im Norden bis Freckenhorst im Süden die Woche über zehn Stellplätze an. Es sind vor allem Orte, in denen es maximal noch einen Cash-Recycler, wie im Bank-Deutsch die Ein- und Auszahlungsautomaten heißen, gibt.
Besser als nichts
„Mit dem Bankbus wollen wir weiterhin Präsenz vor Ort zeigen“, sagt Fennenkötter. Denn der letzte Volksbank-Mitarbeiter verließ Rinkerode mit seinen 3800 Einwohnern im Jahr 2019. Etwas später schloss auch die Sparkasse. Mittlerweile gibt es im alten Sparkassen-Gebäude einen Bankautomaten, über den Kunden der Sparkasse und der Volksbank Bargeld abheben können. Etwas, das vor Jahren noch undenkbar war, mittlerweile aber mehr wird: Allein 20 westfälische Sparkassen kooperieren an diesen Selbstbedienungs(SB)-Standorten mit benachbarten Volksbanken. So gibt es in Westfalen-Lippe fast 100 solcher SB-Stellen.
Doch zurück nach Rinkerode: „Als die Banken schlossen, sorgte das für Unmut im Ort“, erinnert sich Ortsvorsteher Bernhard Stückmann. Vor allem die kleinen Einzelhändler wie Metzger, Friseur und Bäcker müssen für Wechselgeld und ihre eingenommenen Münzen in die benachbarten Kleinstädte fahren. Und der Bankbus? „Besser als nichts“, sagt der Ortsvorsteher. „Vor allem ältere Menschen ohne Kinder im Ort und solche, die technisch nicht so versiert sind, haben sich den Bus-Termin im Kalender rot angestrichen“, erzählt er. „Ältere Menschen legen oft mehr Wert darauf, direkt mit einer Person über ihre Bankgeschäfte zu sprechen“, bestätigt Fennenkötter. Hinzu kommt, dass Rentnerinnen und Rentner in dem vorgegebenen Zeitfenster am Nachmittag eher Zeit haben als Berufstätige.
Verändertes Kundenverhalten
Auch bei der Sparkasse „Vest Recklinghausen“ und der Stadtsparkasse Rahden ist ein solcher rollender Bankschalter im Einsatz. Bei der Verbundvolksbank OWL fährt ein Bankbus über die Dörfer im Kreis Paderborn und Höxter. Dort gibt es zum Teil nur noch in den Kernstädten eine Volksbank- und Sparkassenfiliale. Herausgezoomt ein ähnliches Bild: In Westfalen gab es 2012 noch 1456 Sparkassenfilialen, davon 238 SB-Stellen. 2022 sank die Zahl auf 1103, davon 484 SB-Stellen. Ein ähnlicher Trend bei den Volks- und Raiffeisenbanken in NRW: Im Jahr 2013 hatten die 155 Genossenschaftsbanken noch 1792 personenbesetzte Bankstellen. 2022 sind es nur noch 107 Volks- und Raiffeisenbanken mit 1182 personenbesetzten Bankstellen.
Der Genoverband, in dem die Volks- und Raiffeisenbank zusammengeschlossen sind, erklärt den Trend: Für das Filialgeschäft typische Tätigkeiten wie Geld abheben, überweisen oder Kontoabzüge abholen, fänden kaum noch in der Filiale statt. Vieles ginge mittlerweile online. Nur noch 11 % der Deutschen seien laut einer Verbandsumfrage ausschließliche Filialnutzer. Das veränderte Kundenverhalten und betriebswirtschaftliche Gründe führen zum Aus der Filiale.
Der Dorfforscher Prof. Dr. Gerhard Henkel beobachtet schon seit Jahrzehnten, dass sich nach den Schulen auch die Banken aus der Fläche zurückziehen. Selbst in größeren Dörfern mit mehr als 2000 Einwohnern gehöre das heute zur Realität. „Das raubt jedem Dorf ein weiteres Stück Identität und Selbstverantwortung“, sagt er. In seinem Buch „Rettet das Dorf!“ geht der Humangeograph noch weiter: Er wirft manchen Bankvorständen vor, dass sie sich von dem Grundsatz Raiffeisens, dem Gemeinwohl der Dörfer zu dienen, entfernt hätten. Die Bürger stelle man oft vor vollendete Tatsachen, wenn wieder ein Bankschalter schlösse, so der Wissenschaftler weiter. Extremes Beispiel ist der Fall der Raiffeisenbank Hochtaunus in Hessen. Er sorgte überregional für Schlagzeilen. Von heute auf morgen schloss die Bank Ende 2022 alle Filialen bis auf die Zentrale. Hauptgrund: die fehlende Kundenfrequenz.
Ein Treffen mit VRanzi
Viele Banken versuchen, analoge und digitale Angebote zu kombinieren. Die Sparkasse Münsterland Ost bietet aktuell an 22 von 29 Filialen zusätzlich zur persönlichen Beratung einen Videoservice an. Ein ähnliches Konzept fährt die VR-Bank Westmünsterland und bleibt mit diesem hybriden Konzept weiterhin in der Fläche präsent, ohne Filialen zu schließen. Zum Beispiel in Borken-Burlo. In angemieteten Räumen eines ehemaligen Cafés berät Franziska Passerschroer einen Kunden. Dabei sitzt sie selbst mehrere Kilometer entfernt auf dem VR-Bank-Campus der IT-Firma d.velop in Gescher. Per Video ist sie zugeschaltet. Wenige Meter vom Bildschirm entfernt spricht ihre Kollegin Heike Sachse-Bleker mit einer Kundin gleichzeitig im Service. In Burlo, mit Bauerschaften knapp 4000 Einwohner, sind in der Niederlassung zwei Mitarbeiter vor Ort. Montags, mittwochs und freitags von 9 bis 12 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 14.30 bis 16.30 Uhr ist der Service besetzt.
Darüber hinaus können sich die Kunden zusätzlich von montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr per Videoanruf zu ihren Bankangelegenheiten informieren lassen. „Fransiska Passerschroer kann die Kunden genauso beraten wie ihre Kollegin vor Ort. Das einzige, was fehlt, ist der Händedruck“, sagt Ulrich Kormann, Bereichsleiter Kundenservice. Der digitale Assistent der VR-Bank Westmünsterland nennt sich VRanzi und ist mehr als die Videoverbindung. In dem kleinen Separee, in dem der Monitor steht, lassen sich auch täglich von 6 bis 23 Uhr Überweisungen scannen und das Onlinebanking nutzen. „VRanzi soll dabei nicht die Kollegen vor Ort ersetzen, sondern ergänzen. Damit können wir die bestehenden Öffnungszeiten sogar erweitern“, sagt Kormann.
An den 20 Standorten der VR Westmünsterland in den Kreisen Borken und Coesfeld kommt in elf von ihnen VRanzi zum Einsatz. Alles begann 2018 in Dülmen-Merfeld. Das alte Bankgebäude mit Tresor und Schließfächern im Keller steht nicht mehr. Seit 2018 befinden sich die Räumlichkeiten neben der Tankstelle. „Die klassische Filiale der Vergangenheit war geprägt von einem kleinen SB-Bereich und viel Lauffläche. Beides passte nicht zum Bedarf. In den neuen Räumen haben wir den größten Teil den Kunden überlassen“, beschreibt Kormann und fasst ihren Weg zusammen: „Wichtig ist, in den Orten die Fahne aufrecht zu halten, um nicht nur in den Köpfen, sondern auch im täglichen Erleben präsent zu sein.“
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