Während andere beim Blättern durch ihre Fotoalben Bilder von Familienfeiern und den Kindern vorm Christbaum erblicken, entdeckt Josef Jacobi in seinen Alben immer wieder Fotos des Protestes. So auch Weihnachten 1987. Damals demonstrierten er und weitere Bauern über die Feiertage vor dem Hauptportal des Atomkraftwerkes (AKW) in Beverungen-Würgassen im Kreis Höxter. „Die Transportgesellschaft Transnuklear hatte damals illegal Abfälle nach Belgien transportiert. Darauf wollten wir aufmerksam machen“, erinnert sich der vierfache Vater. Würgassen liegt nur 13 km Luftlinie von seinem Hof in Borgentreich-Körbecke entfernt. Immer wieder regte es den 77-Jährigen zum Widerstand gegen die Atomkraft an.
Strahlendes Erbe
Im April ging das letzte deutsche AKW vom Netz. „Das war absehbar und sinnvoll. Ich habe dafür lange gekämpft“, sagt Josef Jacobi in seinem Büro. Mit einem Bekannten ordnet und archiviert er gerade sämtliche Unterlagen seines Protestes und Widerstandes. Der Ökolandbaupionier fochte in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur gegen die Atomkraft. Er war zehn Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und eckte immer wieder beim Bauernverband an. Er initierte mehrere Bürgerinitiativen (BI) und gründete 1996 die Upländer Bauernmolkerei. Eine BI verhinderte in den 1990er-Jahren eine Giftmülldeponie in der Warburger Börde.
Die Nähe zum AKW Würgassen politisierte den Tausendsassa schon früh. „Als es in den 1960er-Jahren gebaut werden sollte, kam ein Tierarzt aus Beverungen, um meinen Vater dagegen zu überzeugen.“ Viele Zeitgenossen waren hingegen begeistert: Im anbrechenden Atomzeitalter schien die „saubere“ Energie unendlich zu sein.
In Josef Jacobi reifte aber die Erkenntnis, dass Atomkraft eine unbeherrschbare Technologie sei. Auf Generationen hinterlässt sie strahlenden Müll. „Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24 000 Jahren, dann ist erst die Hälfte weg“, erklärt er. Hinzu komme die unkalkulierbare Gefahr durch Terror und Naturkatastrophen.
Die Landjugend stand in den 1970er-Jahren klar gegen die Atomkraft. So auch ihr Vorstandsmitglied Josef Jacobi. Er organisierte Fahrten nach Brokdorf, campte im Anti-Atomdorf auf dem damals noch geplanten AKW-Gelände in Grohnde bei Hameln und nahm mit einem Traktor an einer Demo in Hannover gegen das Endlager in Gorleben teil. „Ich konnte nicht immer mit, weil ich melken musste“, erzählt er. Sein Vater verstarb plötzlich 1972 bei einem Verkehrsunfall. Der damals 27-Jährige übernahm von heute auf morgen die Verantwortung auf dem Hof.
Mist auf dem Markt
Dann wollte die Landesregierung in Wiesbaden Anfang der 1980er-Jahre im nordhessischen Diemelstadt-Wethen, direkt an der Grenze zu Westfalen, eine atomare Wiederaufbereitungsanlage bauen lassen.
Josef Jacobi formierte den Widerstand. Er tat sich mit den Bauern dies- und jenseits der Landesgrenze zusammen. Sie gründeten eine BI mit 3000 Mitgliedern. „Wenn die Vorzeigebauern mitmachen, dann machen alle mit“, erinnert er sich an die Überzeugungsarbeit. Er selbst hatte gerade seinen Hof auf ökologischen Landbau umgestellt. Vieles brachte er sich dazu autodidaktisch bei. Heute führt Sohn Julius den Biolandbetrieb. Ehefrau Heike kümmert sich um Hofladen und Käserei.
Doch zurück ins Jahr 1981: In Warburg auf dem Marktplatz hatte die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung einen Infostand. Dagegen setzten sie laut Jacobi ein „altes bäuerliches Kampfmittel“ ein: Mist. Er wollte ein Fuder vor ihren Stand abkippen. Die Polizei bekam davon Wind. Sie sperrte alle Zugänge. Der ortskundige Landwirt fand aber einen Schleichweg und konnte das Fuder abladen. „Dem Polizisten fiel nichts Besseres ein, als mich nach dem Führerschein zu fragen“, lacht er noch heute über das Husarenstück. Symbolisch verkauften sie dann den Mist in Tüten, frei nach dem Motto „Lieber unseren Mist als euren Müll“.
Im Juni 1981 versammelten sich auf dem geplanten Gelände nahe der Autobahn 44 zahlreiche Menschen – davon 500 Landwirte mit Treckern. Unter anderem beeindruckt von dem geballten Protest kippte die Politik ihre Pläne.
Belastetes Futter
Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986 sah Josef Jacobi sich in seinem Nein zur Atomkraft bestätigt. „Plötzlich durften wir unser eigenes Futter nicht mehr füttern. Es galt als belastet“, sagt er. Gemeinsam mit anderen Bauern fuhr er vors AKW in Würgassen und lud das Futter ab. Wenig später unterstützte er die Organisation Robin Wood bei einer Protestaktion an den Hochspannungsleitungen. „Sie holten mich vom Schützenfest in Körbecke zur Hilfe“, erinnert er sich.
Josef Jacobi kennt die Macht der Bilder und hat sie immer wieder bewusst eingesetzt. Doch was hält der Veteran des Widerstandes vom heutigen Protest junger Menschen bei „Fridays for Future“ und der „Letzten Generation“? „Ich finde es gut, dass sich junge Leute nicht nur aufs Konsumieren verlegen, sondern sich für ihre Überzeugung einsetzen und an die Zukunft denken. Ob das Festkleben richtig ist, mag dahingestellt sein. Denn oft trifft dieser Protest die Falschen.“
Keine grüne Wiese
Auch Josef Jacobis Widerstand erlahmt nicht. Mitte der 1990er-Jahre ging das AKW in Würgassen vom Netz, obwohl es bis 2010 laufen sollte. Technische Mängel wie Haarrisse im Stahlmantel waren zu erheblich. Das war auch ein Erfolg der Anti-AKW-Bewegung vor Ort, die beharrlich darauf hinwies. Aus dem Gelände sollte eine grüne Wiese werden. „Die Zusage habe ich schriftlich bekommen“, sagt er.
Doch von Blumen und Grashalmen keine Spur, nur die Kühltürme fehlen mittlerweile. Das Bundesumweltministerium hat andere Pläne: Der Standort könnte ein zentrales Bereitstellungslager werden, in dem der gesamte schwach- und mittelradioaktive Atommüll Deutschlands gesammelt wird, um ihn später im Schacht Konrad zu verklappen. „Allein die Tatsache, dass das sogenannte Zwischenlager die doppelte Kapazität hat, wie das mögliche Endlager, zeigt doch, dass nicht mit offenen Karten gespielt wird“, erbost sich Josef Jacobi. Er sieht die Gefahr eines „ewigen Zwischenlagers“. Zwei BI, „Atomfreies 3ländereck“ und „Lebenswertes Bördeland & Diemeltal“, wehren sich gemeinsam mit den Kommunen vor Ort dagegen.
Das Vorhaben widerspricht der Regionalplanung, dennoch hält die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung an dem Standort fest. „Wir müssen grenzübergreifend zusammenhalten und unseren Widerstand nach außen tragen“, meint der Bauer. Ob sich die Leute weiter so motivieren lassen wie einst, wird sich zeigen.
Lesen Sie mehr: