An diesem nasskalten Morgen ist Ulla Grünewald bester Laune. Die abgewetzte Lederhose und eine frische Tasse Tee wärmen. Aber vor allem: Amsel, Spatz und Schwalbe sind bald bewohnbar. Nach diesen Vögeln hat sie die drei Wohnungen benannt, die gerade in ihrem fast 170 Jahre alten Fachwerkhaus entstehen. Das steht mitten in Möhler, heute ein Ortsteil von Herzebrock-Clarholz im Kreis Gütersloh. „Spatz“ ist das größte Appartement auf der Gartenseite. Die Haustür an der Straße führt in die „Amsel“ und auf der ehemaligen Deele hat die „Schwalbe“ viel Luft nach oben. Erst in 4 m Höhe spannt sich die Holzdecke.
Ungeplanter Kauf
Flinken Schrittes führt die 59-Jährige durch das Haus, in dem sie inzwischen jeden Winkel kennt. 2017 hat sie es gemeinsam mit ihrem Mann Wolf Bredow für überschaubares Geld gekauft. Geplant war das nicht. Aber die beiden konnten das alte Haus nicht verfallen sehen.
Deshalb sicherten sie mit anderen Ehrenamtlichen aus der Interessengemeinschaft Bauernhaus, die sich für den Erhalt historischer Bausubstanz starkmacht, das Dach. Als sich auch danach kein Käufer fand, griffen der Bauingenieur und die studierte Prähistorikerin schließlich selbst zu.
Beim Weg durchs Haus erzählt Ulla Grünewald, was sie in den vergangenen Jahren schon alles selbst gemacht hat: Gefache ausmauern und Lehmputz auftragen, Balken mit Soda schrubben und Fensterrahmen sanieren, über den Bodenaufbau grübeln und schließlich Schaumglasschotter verteilen. „Wer Kuchen backen kann, kann auch Wände verputzen“, ist sie überzeugt. Sie ermuntert auch andere Frauen, sich auf Baustellen an andere Aufgaben als das Tapezieren und Streichen zu wagen. Sie selbst geht inzwischen sogar routiniert mit dem Bohrhammer um. „Das ist mein Sport.“
Die Lederhose ist für sie bei all dem die perfekte Arbeitskleidung. „Man kann sich problemlos auf die Knie legen, abends wird sie abgebürstet und alle paar Jahre das Futter erneuert.“
Finger weg vom Zement
Den Sanierungsplan für das Haus haben Ulla Grünewald und Wolf Bredow, der beim Kreis Gütersloh arbeitet, gemeinsam mit den Fachleuten aus dem Westfälischen Amt für Denkmalpflege in Münster aufgestellt. Möglichst viel Altes wollen sie erhalten. Vor allem aber möchten sie nur mit Materialien arbeiten, die sich mit dem alten Fachwerk vertragen. Zement ist deshalb tabu. Er lässt Feuchtigkeit nicht mehr aus dem Fachwerk.
Daran haben sich nicht alle Besitzer des Hauses gehalten – und das hatte Folgen. Viele Holzteile waren weggefault. Auch der Giebel auf der Gartenseite hatte die Abdichtung mit Teerpappe und Heraklitplatten nicht überlebt. Ihn mussten die neuen Besitzer komplett erneuern.
Welche Schäden sich unter Putz und Pappe verstecken, ist bei einer Altbausanierung selten überschaubar. Ulla Grünewald bekam erst einen Eindruck, nachdem sie wochenlang Stroh, Heu und Mist aus dem vergangenen Jahrhundert Anhänger für Anhänger zur Deponie gekarrt hatte.
Geduld spart Geld
Angst machte ihr diese Ungewissheit nicht. Im 10 km entfernten Wiedenbrück wohnen sie und ihr Mann in einem ebenfalls denkmalgeschützten Haus, das sie selbst saniert haben. „Das hat zwar zehn Jahre gedauert, aber auch viel Geld gespart“, sagt Ulla Grünewald, die aus Göttingen stammt. Schon nach wenigen Wochen war das Paar auf die Baustelle gezogen. Der Lohn für Geduld und Bescheidenheit: „Als wir fertig waren, waren wir auch schuldenfrei.“
So ähnlich soll es auch in Möhler laufen. Ulla Grünewald sieht das Haus als ihre Altersvorsorge. Denn auf eine hohe Rente kann sie nicht zählen. Einige Jahre hat sie in der Naturkostbranche gearbeitet. Heute überträgt sie freiberuflich alte Schriften, sodass auch Laien sie lesen können. Oft landen die historischen Urkundenbestände westfälischer Höfe auf ihrem Schreibtisch.
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Kopf- und Handarbeit
Ulla Grünewald braucht beides: Kopf- und Handarbeit. Reden und Anpacken gehören für sie zusammen. Das gilt zu Hause und auf der Baustelle. Sie pflegt ein großes Netzwerk erfahrener Handwerker, das mit Ratschlägen hilft oder Arbeiten übernimmt. Auch viele Freunde packten mit an.
Denn nicht alles kann Ulla Grünewald allein. Um die Pelletheizung, Elektrik und Zimmermannsarbeiten haben sich Fachleute gekümmert. Finanzielle Unterstützung für die Sanierung des ortsbildprägenden Hauses kam von der Gemeinde Herzebrock-Clarholz und dem NRW-Heimatministerium.
So geht es Schritt für Schritt voran. Ulla Grünewald hofft, dass im Frühjahr die ersten Mieter in die 50, 60 und 70 m2 großen Wohnungen einziehen können. Im Blick hat sie Menschen, die beruflich in die Region pendeln und für wenige Monate eine möblierte Bleibe mit Charakter suchen. Bis dahin geht der Langstreckenlauf weiter. Aber Ulla Grünewald ist überzeugt: „Irgendwann wird es wunderschön sein.“