Tiefgrüne Wälder, weite Täler, sanfte Hügel und bizarre Felsformationen: Wer auf dem Eggeweg wandert, lernt nicht nur die abwechslungsreiche Landschaft Ostwestfalens besser kennen, sondern kann unzähligen Spuren spannender Geschichten folgen. Nun muss man sich nicht gleich die gesamte 70 km lange Strecke vom Norden des Teutoburger Waldes bis ins Sauerland vornehmen. Einen Eindruck von mythischen Plätzen in der Egge verschaffen die Wanderwege A1 und A2, zwei Rundwege zwischen Willebadessen, Kreis Höxter, und Lichtenau, Kreis Paderborn.
Dort lässt es sich mit jedem Schritt in Geschichte eintauchen. Mit der „Alten Eisenbahn“ geht es direkt in die Pionierzeit der Industrialisierung. Denn: Im Jahr 1845/46 hatte sich die „Cöln-Minden-Thüringer-Verbindungs-Eisenbahn“ zum Ziel gesetzt, einen Eisenbahntunnel auf rund 600 m Länge quer durchs Eggegebirge zu bauen. Dieses ehrgeizige Großprojekt sollte Teil der Bahnstrecke Hamm-Warburg werden und die Verbindung zwischen Thüringen und dem Rheinland erleichtern.
Als das Geld versiegte
Rund 500 Arbeiter waren an dem Bau beteiligt. Doch nach wenigen Monaten ging den Aktionären das Geld aus. Auch ein kurzfristiger Kredit des preußischen Staates konnte nicht verhindern, dass der Eisenbahntunnel unvollendet blieb. Zudem gab es inzwischen andere Pläne: Die neu gegründete Gesellschaft der „Königlich Westfälischen Eisenbahn“ hatte sich dazu entschlossen, die Strecke über Altenbeken zu führen. Dieses Vorhaben machte den bereits zu einem Drittel fertiggestellten Tunnel überflüssig. So sprengte man die einzelnen Schächte und Stollen. Die Natur nahm das einstige Jahrhundertprojekt in Besitz.
Heute führt ein Wanderweg zu diesem Relikt der Industrialisierung. Wer sich vom Wanderparkplatz mit Schutzhütte (Anfahrt siehe Kasten) westlich hält, gelangt auf einen schmalen Wanderpfad zu den Relikten des ehemaligen Eisenbahnbaus. Der A1-Wanderweg führt durch eine urwüchsige, wildromantische Szenerie mit kleinen Sümpfen, Tümpeln, moosbedeckten Steinen und Hölzern. Bitte unbedingt auf gutes Schuhwerk achten. Es besteht Rutschgefahr.
Figuren aus Stahl
Am Rand des schmalen Weges stehen vier lebensgroße Silhouetten aus Cortenstahl. Sie stellen die damaligen historischen Akteure dar. Informationstafeln klären über die verlassene Großbaustelle auf, die heute zum größten Teil unter Natur- und Denkmalschutz steht.
Bereits nach rund 800 m tauchen schroffe Klippen und Schluchten auf. Die wassergefüllten Einschnitte der ehemaligen Tunnelzufahrten sind bis zu 200 m lang und 20 m tief. Auf den ersten Blick erinnern sie an eine Klamm im Hochgebirge. Doch daneben lassen sich auch noch ein begonnener Bahndamm sowie zwei der drei verschütteten Richtschächte und verschiedene Halden erkennen. Für Fotofreunde: Die tiefe Schlucht ist zwar gesichert, trotzdem heißt es Vorsicht, denn unter dem Geländer kann es glitschig sein!
Es lohnt sich, diesen historischen Schauplatz aufzusuchen und den Spuren des Großprojekts zu folgen. Sie erzählen davon, was sich vor 170 Jahren abgespielt hat, als die Eisenbahn noch in den Kinderschuhen steckte. Eine Geschichte fast zum Anfassen und ein wunderbares Naturerlebnis.
Im Fokus der Wissenschaft
Die Relikte der „Alten Eisenbahn“ haben auch das Interesse der Wissenschaft geweckt. Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie Archäologen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe starteten im Jahr 2016 ein gemeinsames Projekt, um offene Fragen rund um die Großbaustelle zu klären. Die Forschungstaucher der Universität Kiel erkundeten eine der Zufahrten zum Tunnel, die mit Wasser geflutet ist – damals die Premiere der „Unterwasserarchäologie“ in Westfalen. Neben der Ausgrabung einer Schänke entdeckten die Wissenschaftler in den Jahren 2017/18 Arbeitsmaterial und die Grundmauern des Wächterhäuschens. Die Fundamente wurden zugeschüttet, um sie vor Erosion zu schützen.
Da geht’s lang
Das Naturdenkmal „Alte Eisenbahn“ ist von Willebadessen oder Lichtenau-Kleinenberg über die L 763 zu erreichen. Der Wanderparkplatz „Alte Eisenbahn“ liegt in einer Kurve. Von hier sind es nur wenige Hundert Meter bis zu den Spuren des Tunnelbaus. Auf dem Wanderweg A1 lässt sich eine 4 km lange Runde um die einstige Baustelle drehen. Der A2 markiert eine weitere 5 km lange Schleife. Der Parkplatz ist auch Ausgangspunkt für Wanderungen zur Wallburg Karlsschanze, zum Sandsteinblock „Fauler Jäger“ und der „Gertrudskammer“. Diese Höhle war der Sage nach die Klause der Eremitin Gertrud. Weitere Informationen gibt es im Internet. Dort steht auch ein Flyer zur „Naturbaustelle Alte Eisenbahn“ bereit.
www.naturpark-teutoburgerwald.de
www.tourismus-willebadessen.de
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