Vor genau 100 Jahren vollzog sich auf dem Land ein Umbruch, der heute fast vergessen ist:
- Zu Beginn jenes Jahres, am 22. Februar 1920, gründeten 20 junge Frauen mit dem „Ländlichen Hausfrauenverein Gelmer“ den ersten Landfrauenverband Westfalens. Ihm sollten binnen weniger Jahre viele weitere folgen.
- Kurz vor Jahresende, am 16. Dezember 1920, konnten erstmals Frauen in die Vertretungen der preußischen Landwirtschaftskammern gewählt werden. Die Kammer in Westfalen richtete damals eine „Abteilung für Landfrauenarbeit“ ein, beraten von einem eigens eingerichteten „Frauenausschuss“ unter Leitung von Lilly Fischer aus Warburg.
All das muss in einer agrarischen Welt, die bis dahin ausschließlich von Männern bestimmt war, wie eine Revolution gewirkt haben. Und doch ist dieser Umbruch nahezu vergessen.
Was bewegte die Mehrheit?
Wenn von den damaligen Frauenwelten die Rede ist, tauchen oftmals Bubikopf-Frisuren, Swing und flotte Werbeplakate auf, Marlene Dietrich als "Blauer Engel" ist ebenfalls nicht weit. Das alles aber betraf die übergroße Mehrheit der Frauen überhaupt nicht. Denn sie lebten weitab der glitzernden Metropolen auf dem Land.
An diese Mehrheit der Mägde, Bäuerinnen und Gutsfrauen, an die Töchter vom Lande und ihre sich ändernden Bildungswege, an den weiblichen Arbeitsalltag und ihre Lebenswelten auf dem Land erinnert derzeit eine Sonderausstellung im Bergischen Freilichtmuseum Lindlar. Sie trägt den Titel „Land – Frauen – Arbeit“. Die Ausstellung ist Teil einer Veranstaltungsreihe der beiden Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland zum Jubiläum „100 Jahre Bauhaus im Westen“.
„Mithelfende Angehörige“
„Viele verheißungsvolle Werbeslogans der 1920er-Jahre, die die moderne selbstbewusste Frau zeigten, standen im starken Gegensatzzur Lebensrealität der Frauen im Bergischen Land“, berichten die beiden Ausstellungsmacherinnen Petra Dittmar und Marie Kramm. „Mehr als 60 % der erwerbstätigen Frauen arbeiteten in der Landwirtschaft. Bei den überwiegend kleinen Betrieben lag die durchschnittliche Arbeitszeit bei 13 und an Sonntagen bei 10 Stunden. Frauen arbeiteten aufgrund der Haus- und Stallarbeit täglich meist zwei Stunden länger als die Männer. Trotzdem wurden sie bei Betriebszählungen lediglich als ,mithelfende Familienangehörige‘ geführt.“
Kurzbiografien, Filmausschnitte, in Szene gesetzte Ausstellungsobjekte sowie Fotografien und Plakate vermitteln einen Eindruck vom damaligen Zeitenwandel auf dem Land. Die Ausstellung blickt auf die Höfe, in die ländlichen Haushalte und auch in die Landwirtschaftsschulen. Sie richteten in den 1920er-Jahren erstmals „Mädchenklassen“ ein – auch das war Teil des Umbruchs.
Die jungen Frauen lernten in diesen Klassen keineswegs nur Kochen und Nähen, sondern auch den Umgang mit Betriebszweigen wie der „modernen Geflügelhaltung“. Zum Leitbild stieg die damals neue Geflügelfarm Wiedenhof bei Eckenhagen auf, damals ein Exkursionsziel vieler Landwirtschaftsschülerinnen.
Neue Berufe auf dem Land
Der Blick der Ausstellung geht aber auch in die Berufswelten, die sich damals für viele junge Frauen vom Lande öffneten: Volksschul- und Hauswirtschaftslehrerinnen, Krankenschwestern, Hebammen und Krankengymnastinnen.
Die Themen Freizeit und Mode kommen in der Schau nicht zu kurz. Fotografien dokumentieren, dass Kurzhaarfrisuren und moderne Kleidungsschnitte sich auch auf dem Lande durchsetzten.
Interessant ist auch der Blick auf die Konsum- und Warenwelt. In einer Drogerie in Hückeswagen fotografierte der Inhaber in den 1920er-Jahren regelmäßig seine Schaufensterauslagen und Dekorationen. Was damals vielleicht einem Spleen des Besitzers entsprang, ermöglicht heute „einen anschaulichen Einblick in die zunehmende Konsumwelt einer bergischen Kleinstadt“, heißt es in einer Beschreibung des Museums.
Hier geht’s lang
Das Bergische Freilichtmuseum in Lindlar liegt etwa auf halber Strecke zwischen Olpe und Köln. Es zeigt auf 25 ha Fläche rekonstruierte Kleinbauernstellen, Bauernhöfe und Handwerkshäuser des Bergischen Landes. Sehenswert sind unter anderem die Schmiede mit Stellmacherei aus Lindlar, das Bandweberhaus aus Wuppertal-Ronsdorf oder das oberbergische Forsthaus mit be-nachbartem Grauwacke-Steinbruch.
In der Seilerei gibt es täglich Handwerksvorführungen, in der Bäckerei wird dienstags, mittwochs und sonntags gebacken.
Aufgrund der Corona-Pandemie gelten für Besucher die bekannten Hygiene-Vorschriften, die auf der Internetseite des Museums nachzulesen sind. Großveranstaltungen und Märkte sind wegen Corona bis auf Weiteres abgesagt.
Ausstellung: Die Ausstellung „Land – Frauen – Arbeit“ ist bis zum 31. Dezember im Gebäude „Müllerhammer“ des Freilichtmuseums zu sehen. Später soll sie in ein historisches Gebäude aus Hilden umziehen, das derzeit auf dem Gelände des Freilichtmuseums errichtet wird.
Öffnungszeiten: Das Museum ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet.
Eintritt: Erwachsene 4 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei.
Weitere Informationen: Tel. (0 22 66) 9 01 00, www.freilichtmuseum-lindlar.de.