Zwei Jahre lang fuhr ich kreuz und quer durch das Münsterland, um schwerpunktmäßig im Kreis Borken Material für das Buch „Ländliches Bauen im Westmünsterland“ aufzunehmen. Nun, es war damals Anfang der 1980er-Jahre nicht die „gute alte Zeit“ im Münsterland, und schon gar nicht in der Landwirtschaft. Denn die war damals wieder einmal im Umbruch – wie eigentlich immer in den vergangenen 100 Jahren.
Angesagt war damals, nach dem Einzug der „Güllewirtschaft“ in der Tierhaltung, der Trend zu immer größeren Stallgebäuden, die hohe Investitionen erforderten. Ihr Bau ging dementsprechend einher mit der Betriebsaufgabe vieler Kleinlandwirte. Skandale in der Kälbermast erschütterten das Vertrauen in den Bauernstand, der unter dem Regiment des Freiherrn von Heereman damals allerdings noch eine beachtliche gesellschaftliche und politische Größe darstellte.
Zum Autor
Dr. Andreas Eiynck, geb. 1961 in Coesfeld, studierte in Münster Europäische Ethnologie mit dem Schwerpunkt Historische Hausforschung. Nach verschiedenen Tätigkeiten in Denkmalpflege und Forschung übernahm er 1988 die Leitung des Emslandmuseums in Lingen. Seine Publikationen über Ländliche Baukultur und den Alltag auf dem Lande sind weithin bekannt. An der Akademie Schloss Raesfeld unterrichtet er im Studiengang Restaurator im Handwerk.
Vor rund 40 Jahren hat er viele Höfe im Westmünsterland besucht und über ländliches Bauen in der Region geforscht. Seitdem haben sich Landwirtschaft und Landschaftsbild in der Region stark verändert. Aufgefallen ist ihm die aktuelle Entwicklung mit immer größeren Ackerflächen und Stallgebäuden in der offenen Landschaft.
Aus Wohnteil wird Stall
Das Bild bei den Besuchen auf den damaligen münsterländer Bauernhöfen war meistens sehr ähnlich: Die Familie hatte kürzlich ein modernes Wohnhaus im „Bungalow-Stil“ bezogen und der Wohnteil des alten Hauses mit der großen Küche wurde zu Stallungen umgebaut. Das war preisgünstig und aus heutiger Sicht zumindest auch ökologisch sinnvoll, denn die vorhandene Bausubstanz wurde genutzt und nicht zur Bauschuttdeponie gefahren. Das Bild der umgenutzten Bauernhäuser wurde häufig noch ergänzt durch ein neues Futtersilo.
Die ersten sogenannten Mastställe kannte man damals schon, aber im Vergleich zu heutigen Stallanlagen war ihre Größe bescheiden. Es gab noch keine Computer, mit denen man die gesamte Stalltechnik zentral steuern und kontrollieren konnte. Errichtet wurden die damaligen Großställe meistens dort, wo irgendwo auf dem Hof noch eine freie Fläche vorhanden war.
Bunter Flickenteppich
Oft glichen die Hofanlagen einem bunten Flickenteppich aus alten und neuen Bauteilen, Baumaterialien vom Feldbrandziegel bis zum Kalksandstein sowie Dacheindeckungen von roten Hohlziegeln bis zu grauem Welleternit. Oft fehlte jedes funktionale und gestalterische Konzept. Ein architektonischer Lichtblick waren solche Hofanlagen in der Regel nicht. Oder, wie ein Kollege es einmal trefflich formulierte: „Se hebbt sick ründherüm toobaut“ (Sie haben sich rundherum zugebaut).
Immerhin, das Problem wurde erkannt: Der Kreis Borken startete damals einen Wettbewerb: „Das Bauernhaus braucht deine Pflege“ und das Baupflegeamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe beriet Landwirte bei der Umnutzung alter Hofgebäude – gestalterisch und technisch.
Ein anderes Land
Heute, 40 Jahre später, fahre ich im Münsterland wie durch ein anderes Land. Die Siedlungsflächen der Städte und Dörfer haben sich mit ihren Wohn- und Gewerbegebieten allerorten weit in das Umland vorgeschoben. Das erzeugt Mobilität und viele neue Straßen durchschneiden die Landschaft. Aktive Bauernhöfe sind rar geworden – und ihre Betriebsgebäude immer größer. Fahrsilos gab es auch vor 40 Jahren schon – aber nicht in der Größe von Fußballfeldern. Der Eindruck einer „industriellen Landwirtschaft“ drängt sich dem Betrachter schon rein größenmäßig auf. Und auch die Stallgebäude wirken heute gewaltig.
Neue Materialien
„Ländliches Bauen“ war ein Buch über die traditionelle und regional geprägte Bauweise im Münsterland. Geprägt durch heimische Baumaterialien und Konstruktionen, Formen und Farben. Auf meinen vergilbten Farbdias sehe ich die roten Ziegeldächer am Rande der Esche unter hohen Eichen. Es ist die Welt, in der noch drei Generationen unter einem Dach wohnten, ohne getrennte Küchen und Haustüren. Aber auch eine Welt des schleichenden Verfalls mangels Nutzung und Investitionen. Es sind Bilder aus der Zeit der schwierigen Phase der Umstellung auf die moderne Landwirtschaft in den 1970er- und 1980er-Jahren, wie sie auch einer meiner Schulkollegen, der Bauernsohn und heutige Geschichtsprofessor Ewald Frie, gebürtig aus Nottuln, in seiner bekannten Familiengeschichte „Ein Hof und elf Geschwister“ in vielen Facetten beschreibt.
Restaurierte Schätze
Viele meiner Forschungsobjekte von damals stehen heute unter Denkmalschutz und sind mittlerweile restauriert. Von Hofbesitzern, die das Geld dafür in ihren neuen Ställen verdienen, oder von früheren Landwirten, die ihre Pachteinnahmen in die alten Hofgebäude investieren. Und natürlich von Liebhabern, die sich hier ihren Traum vom Leben auf dem Lande erfüllt haben – gerne auch mit Pferdehaltung oder Kleintierzucht. Aber das sind nur noch Inseln in einer veränderten Agrarlandschaft.
Die meisten Bauernhöfe in Westfalen sind das, was im Geschäftsleben als „inhabergeführt“ bezeichnet wird. Und das heißt: der Hof mit seinen Gebäuden und Anlagen ist für die Besitzerfamilie gleichzeitig der Raum, in dem sie den Großteil ihres Lebens verbringt. Dementsprechend wird er attraktiv gestaltet und dient damit nicht zuletzt auch der Repräsentation: großzügige Grünanlagen, stattliche Wohngebäude, die sich von den Neubauten in den städtischen Wohngebieten kaum unterscheiden, und nicht selten auch gepflegte historische Bausubstanz. Die modernen Betriebsgebäude sind in der Regel ebenfalls gut in Schuss, in den Dimensionen sehr groß, meistens aus industriellen Baumaterialien. Gelegentlich werden sie aber auch bewusst in heimischen Materialien und Farben gestaltet. Man schaut schließlich selbst jeden Tag drauf.
Eine neue Problemzone
Die Problemzone in der ländlichen Kulturlandschaft ist heute nicht mehr der Bereich von Haus und Hof, sondern der Außenbereich mit den riesigen Ackerschlägen und riesigen Stallgebäuden in der offenen Landschaft. Der alte Witz von der „LPG im Münsterland“ ist vielerorts längst Realität geworden. Wie muss eine Landschaft strukturiert sein, damit sie noch als Kulturlandschaft definierbar ist? Wie groß darf ein Gebäude sein, damit es sich noch in die Landschaft einfügt?
Nun, eine Lösung habe ich leider nicht. Ich bin nur ein Beobachter. Natürlich sehe ich sehr wohl, dass der Wohlstand gestiegen ist, sich die Wohnverhältnisse verbessert haben, dass die körperliche Arbeit dank moderner Technik leichter geworden ist. Ich begrüße das ausdrücklich. Aber schöner ist das Bild der Kulturlandschaft in den letzten 40 Jahren an den meisten Stellen leider nicht geworden.
Was ist Ihre Sicht?
Auch viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben den geschilderten baulichen Wandel erlebt. Wie blicken Sie auf die Entwicklung und aus heutiger Perspektive auf manche Baumaßnahmen? Schreiben Sie uns gerne per E-Mail an redaktion@wochenblatt.com oder einen Brief an das Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben, Stichwort „Baukultur“, Postfach 49 29, 48028 Münster. Auszüge veröffentlichen wir dann in einer der nächsten Ausgaben des Wochenblatts.
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