Wenn Dr. Martina Fleßner ihre Schuhe in Überzieher aus Filz steckt, dann merkt sie: Auf Schloss Senden ist in den vergangenen acht Jahren viel passiert. Das Parkett unter ihren Füßen ist saniert, unter den Fenstern des Büros verbreiten zwei Nachtspeicheröfen Wärme und von ihrem Schreibtisch geht der Blick nach gegenüber zum frisch sanierten Mannenhaus, einem Bau aus dem Jahr 1719.
Noch vor neun Jahren sah das alles vollkommen anders aus. Nach fast 20 Jahren Leerstand bröckelte nicht nur der Putz. Fenster waren eingeschlagen, Fundamente wackelten und über die Zukunft des Schlosses mit seinen 4400 m2 Nutzfläche wurde im Ort munter gestritten.
Zwei machten den Anfang
Es waren Dr. Franz Waldmann, Chemiker und seit vier Jahrzehnten im Ort ansässig, und Wolfgang Voosholz, Diplom-Volkswirt, die schließlich Fakten schafften. Sie gründeten den gemeinnützigen Verein Schloss Senden, der das Ensemble kaufte. Dr. Martina Fleßner übernahm die Geschäftsführung und viele Bürgerinnen und Bürger wurden zu begeisterten Unterstützern. Gemeinsam arbeiten sie seitdem an der Rettung „ihres Schlosses“.
Das ist oft ganz handfester Natur. Ein ehemaliger Notar erledigt Hausmeistertätigkeiten, andere kümmern sich um Innenhof und Garten oder engagieren sich im Eventmanagement. Viele Ehrenamtliche sind im Verein „Freundeskreis Schloss Senden“ organisiert, der aktuell 90 Mitglieder zählt.
30 Anträge im Jahr
Bei Franz Waldmann, der auch mit 75 Jahren 40 Stunden pro Woche fürs Schloss arbeitet, und Martina Fleßner laufen viele Fäden zusammen. „Wir stellen an die 30 Anträge im Jahr“, sagt die 60-Jährige, die nach einer kaufmännischen Ausbildung Volkskunde studiert und in dem Fach auch promoviert hat.
Der Verein beantragt Fördermittel für die Sanierung. Der Bund, das Land NRW und die Gemeinde Senden geben immer wieder Geld für einzelne Bauabschnitte. Ein verlässlicher Partner seit Langem ist die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. „Mosaikförderung“ heißt es, wenn viele Unterstützer eine Maßnahme möglich machen. Ehrgeizig bleibt das Projekt trotzdem. Fast immer müssen 10 % der Kosten aus eigenen Mitteln, das heißt oft Spenden, gestemmt werden.
Adelssitz, Handelsschule und Hotel
An Schloss Senden sind über 500 Jahre Baugeschichte abzulesen. Ein gewisser Ludeke Droste errichtete um 1460 unweit der Stever eine Wasserburg. Er baute im Stil der Renaissance. Das Herrenhaus aus dieser Zeit ist bis heute erhalten. Auf der Südseite erinnern Schießscharten an diese Zeit.
Im Barock wandelte sich die Anlage der Familie Droste zu Senden zu einer repräsentativen Schlossanlage mit Alleen und Park. 1719 ist das Baujahr des gerade gesicherten Mannenhauses. Für seinen Namen gibt es verschiedene Theorien. War es das Haus der Soldaten oder des Gesindes? 1899 kam nach einer sich auch finanziell lohnenden Heirat der sogenannte Rombergtrakt hinzu.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Schloss Senden Sammelstelle für sogenannte „displaced persons“. Im Jahr 1957 verkaufte die Familie Droste zu Senden das Schloss an den Inhaber der Funnemann-Schule in Münster. Er nutzte das Schloss unter anderem als Handelsschule und Internat. Auch Altenwohnort, Unterkunft für Studierende und Hotel war es zwischenzeitlich. Dann stand es fast 20 Jahre leer.
Übrigens: Schloss Senden ist – zumindest theoretisch – auch per Schiff erreichbar. Der Dortmund-Ems-Kanal ist nur 100 m entfernt.
Insgesamt 4,5 Mio. € stecken inzwischen in der Sanierung. Der Rombergtrakt von 1899 mit seinem markanten, jetzt als Skulptur nachempfundenen Turm ist von außen saniert. Ebenso der nördliche Teil des angrenzenden alten Herrenhauses aus der Renaissance. Gerade sind auf der gegenüberliegenden Seite die Gerüste rund um das Mannenhaus verschwunden. Bald soll dort ein Café entstehen.
Ein Willkommensort
Aber auch ohne sanierte Räume ist Schloss Senden schon jetzt ein Ort, der willkommen heißt. Regelmäßig finden offene Führungen statt, die Gruppen auch in Verbindung mit Frühstück, Kaffee und Kuchen oder einem Picknick buchen können. Am 1. Mai öffnet wieder das Maicafé mit Bier, Bratwurst und einem Kinderprogramm.
Für Sarina Werner ist das Schloss am schönsten, wenn richtig Trubel herrscht, wie auch beim Adventsmarkt. Seit anderthalb Jahren gehört sie als wissenschaftliche Volontärin zum Team. Das Schloss hat die gebürtige Fränkin angelockt. „Das ist ein verwunschener Ort“, sagt die 30-Jährige, die Kulturwirtschaft und Denkmalpflege studiert hat.
Ein Bild von der Zukunft
Die Rettung des Baudenkmals geht voran und die zukünftige Nutzung zeichnet sich nach und nach ab. Denn: Franz Waldmann und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind mit klaren Vorstellungen von der Zukunft des Schlosses an den Start gegangen. Bildung und Kultur, die Themen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung sollen zentrale Punkte sein. Bei der genauen Ausgestaltung gibt es noch Spielraum.
Im vergangenen Juni lockte zum Beispiel der „Global Wind Day“ 350 Schülerinnen und Schüler zum Schloss. Dort zeigten sie „Windkraftkunst“, an der sie im Unterricht getüftelt hatten. Andere Angebote drehen sich um Textilien und alte Färberpflanzen. Zusätzlich soll es Wechselausstellungen geben, Unterkünfte und Raum für Events. „Teilrentabilität“ ist das Ziel.
Netzwerke nutzen
Das Team von Schloss Senden knüpft und nutzt viele Netzwerke. Im Innenhof räumen gerade junge Helfer die Mannenhaus-Baustelle auf. Sie absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege bei der Jugendbauhütte Westfalen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Eine FSJ’lerin arbeitet fest im Schlossteam mit. Von der Akademie Schloss Raesfeld kommen manchmal Stuckateure, die sich im Denkmalschutz fortbilden.
Und wann soll alles fertig sein? „Wir machen uns keinen Druck“, sagt Martina Fleßner. „Das ist unser Leben, mit dem Prozess zu arbeiten. Man braucht Optimismus und Geduld und man muss es aus Überzeugung machen.“ Dass es am Ende gelingen wird, davon ist sie überzeugt.
Auf der Internetseite von Schloss Senden lässt sich der Baufortschritt verfolgen – und es gibt Hinweise zum Mitmachen und auf Veranstaltungen.
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