Kälber kommen mit etwa vier bis sechs Wochen beim Fresseraufzüchter an. Häufig haben die Tiere viele verschiedene Herkünfte. Dr. Wapelhorst, Sie betreuen viele Fresseraufzuchtbetriebe. Was beobachten Sie dort für gesundheitliche Herausforderungen?
Kälber sind Babys und Babys werden häufiger krank als Erwachsene. Daher kann man nicht erwarten, dass die Kälber ohne Weiteres gesund aufwachsen. Ich sage immer scherzhaft: „Ohne die Rindergrippe wäre ich arbeitslos.“ Die Rindergrippe ist in meinen Augen die wichtigste Erkrankung in der Fresseraufzucht.
Raten Sie Landwirten also, ihre Kälber gegen Rindergrippe zu impfen?
Ja, unbedingt. Rindergrippe ist ein Komplex. Das bedeutet, es sind mehrere Erreger an dieser Krankheit beteiligt. Gegen die Bakterien können wir zwar Antibiotika einsetzen, aber es gibt eine ganze Reihe verschiedener Viren, die ebenfalls beteiligt sind. Gegen Viren wirken Antibiotika nicht.
Es gibt zwar Virostatika, also Medikamente, die die Vermehrung von Viren hemmen, aber keines davon ist für Rinder zugelassen. Außer einer präventiven Impfung bleibt uns also keine andere Wahl. Zusätzlich ist zu beachten, dass auch Haltung, Fütterung und Faktoren, wie Umstallen und Transport Einfluss auf die Lungengesundheit haben.
Worauf ist beim Impfmanagement zu achten?
Wenn es im Stall zieht oder andere Probleme im Stall oder der Fütterung bestehen, braucht man gar nicht zu impfen. Die Rindergrippe ist eine Faktorenkrankheit. Ein Faktor allein kann die Erkrankung nicht verhindern. So kann auch die Impfung allein ein Rindergrippeproblem nicht lösen. Sie ist aber ein wichtiger Baustein!
Jedes Kalb in der Fresseraufzucht sollte gegen BRSV geimpft werden, das ist der wichtigste Virus im Rindergrippekomplex. Es gibt leider unzählige weitere Viren und Bakterien. Um zielgerichtet impfen zu können, ist regelmäßige Diagnostik in Form von Nasentupfern oder Lungenspülproben nötig. So weiß man, welche Erreger im Bestand sind und kann den Impfstoff danach auswählen. Zudem kann man dann auch einen Resistenztest für die gefundenen Bakterien anfertigen und Antibiotika zur Behandlung erkrankter Kälber gezielter auswählen.
Halten Sie es für realistisch, die erste Grippeimpfungen der Kälber auf dem Herkunftsbetrieb durchzuführen?
Beim Schwein ist es Standard. Beim Rind haben wir eine andere Situation: Die Kälber kommen von mehreren Herkunftsbetrieben. Das geht schlicht nicht anders, da kein Milchviehbetrieb 50 Kälber im gleichen Alter anbieten kann. Meistens entspricht die Zahl der Herkünfte der Zahl der Kälber. Man müsste also von allen Kälbern genau wissen, wie und ob sie geimpft wurden. Das ist ein immenser bürokratischer Aufwand. Dann müsste man gleich oder zumindest ähnlich geimpfte Kälber gemeinsam einstallen. Das wird nicht funktionieren.
Was ein Milchviehbetrieb aber sinnvollerweise für seine Verkaufskälber machen kann, ist die intranasale Impfung. Werden Kälber in die Nase geimpft, so bleibt der Impfschutz zwar nicht ganz so lange erhalten wie bei einer muskulären Impfung, aber das ist für Verkaufskälber egal. Der Vorteil ist jedoch, dass der Impfschutz viel schneller einsetzt. Die Milchviehbetriebe haben also selbst schon den Vorteil geimpfter Kälber.
Grippe muss also kein Problem sein.
Bei noch so viel Prävention kann man leider nicht erreichen, dass Kälber nicht krank werden. Aber die Rindergrippe muss zumindest keinen Betrieb an den Abgrund führen. Es gibt beim Kalb neben Husten aber natürlich auch Durchfall und andere Erkrankungen.
Was sind für Sie „typische“ Krankheiten in der Aufzucht?
Wenn die Kälber frisch auf dem Betrieb ankommen, haben alle Tiere eine Futterumstellung. Das Milchpulver ist ein anderes als auf dem Herkunftsbetrieb. Daher sind Verdauungsstörungen am Anfang nicht ungewöhnlich. Da kann man mit Ergänzungsfuttermitteln etwas entgegenwirken, zum Beispiel Produkte mit Leinsamen oder Johannisbrotkernmehl. Dadurch wird der Kot angedickt und der Darm beruhigt.
Wichtig ist auch, dass ein Tränkeautomat regelmäßig kalibriert wird. Ein Fresseraufzüchter muss den Unterschied zwischen Gramm Milchpulver „in einem Liter“ und „auf einen Liter“ kennen. Sonst kann er seinen Milchaustauscher nicht korrekt anrühren. Auf dem Sack steht meistens die Angabe „in einem Liter“, zum Beispiel 140 g. Ein Automat rechnet aber meistens „auf einen Liter“ und um die passende Konzentration zu haben, muss man dann 163 g am Automaten eingeben. Beim händischen Anrühren sollte man den Milchaustauscher wiegen und nicht mit einer Schüppe abmessen. Unten im Sack ist das Milchpulver verdichtet, oben sitzt es lockerer. Passt die Konzentration der angerührten Milch nicht, kann das zu Durchfällen führen. Auch die Temperatur der Milch muss stimmen. Wird zu kalte Milch vertränkt, kann das ebenfalls zu Durchfall führen. Ich finde 38 °C zu wenig und empfehle 40 °C.
Was ist mit Durchfallerkrankungen?
Im weiteren Aufzuchtverlauf haben viele Betriebe Probleme mit der Kokzidiose. Das ist ein durch einzellige Parasiten ausgelöster Durchfall. Meistens tritt dies drei Wochen nach dem Einstallen auf, je nachdem welche Kokzidien man hat, kann das auch schon etwas früher der Fall sein.
Das Problem ist, dass die Kälber in dieser Zeit häufig an die Maissilage gewöhnt werden. Die Kälber haben somit eine Futterumstellung und dann haben die Kokzidien im Darm die Chance sich durchzusetzen. In der Kälbermast gibt es zu dem Zeitpunkt keine Futterumstellung. Deshalb sind Kokzidiosen dort sehr selten. Ein Baustein im Kokzidien-Management kann sein, Kälber spät an die Maissilage zu gewöhnen und lange eine Ration aus Kraftfutter und Stroh zu füttern.
Was sind sonstige wichtige Stellschrauben im Management, um Krankheiten zu verhindern?
Ein schöner Stall und tolle Technik sind gut, aber nicht alles. Vieles entscheidet sich über die Fütterung, nicht nur darüber, was man den Kälbern anbietet, sondern auch wie.
Nach dem Transport sind die Kälber häufig etwas dehydriert, daher sollten sie sofort nach Ankunft eine Elektrolyttränke zur freien Aufnahme angeboten bekommen. Dieses zusätzliche Flüssigkeitsangebot ergibt während der weiteren Aufzucht für mindestens die ersten zehn Tage Sinn und wenn die Kälber Durchfall haben.
Was für Schwachstellen beobachten Sie auf den Betrieben?
Die Versorgung mit Tränkewasser ist oft ein Problem. Viele Ställe haben Nippeltränken. Aus offenen Wasserflächen, also Schalentränken, trinken alle Tiere mehr als aus Nippeln. Ideal ist die Kombination, zum einen, weil die Kälber dann beides kennen und zum anderen können sie den Nippel nutzen, wenn die Schalentränke durch Kot verdreckt ist. Die Schalentränke sollte dennoch täglich gereinigt werden.
Eine optimale Wasserversorgung ist wichtig für eine gesunde Lunge. Die Lunge muss feucht gehalten werden. Eine einfache Regel: Wasser von unten, Milch von oben. Aber Milch kommt nicht von ganz oben. Am Euter tauchen Kälber unter, Eimer hängen oft zu hoch.
Milch ist kein perfektes Futtermittel, viele Kälber kommen mit einem hochgradigen Eisenmangel beim Fresseraufzüchter an. Daher ist die Versorgung mit Eisen, aber auch anderen Mineralstoffen wie Selen, in der ersten Zeit nach der Ankunft auf dem Betrieb sicherzustellen.
Kälber sind besonders stressempfindlich ...
Alles was Stress auslöst, führt zu einer hohen Cortisolausschüttung und das Cortisol reguliert das Immunsystem runter. Daher werden Kälber oft nach Stresssituationen krank. Man muss also Stress so weit wie möglich verhindern. Bei der Eimertränke setzen viele Landwirte ihre Kälber zum Beispiel dadurch ab, dass es nicht mehr zwei, sondern nur noch eine Mahlzeit am Tag gibt.
Die Kälber erwarten aber eine zweite Mahlzeit, das hört man auch über den halben Betrieb. Das bereitet den Kälbern Stress! Besser ist es, kleinere Portionen zu füttern, aber die Anzahl der Mahlzeiten pro Tag beizubehalten.
Die Verantwortung liegt somit beim Menschen.
Der Mensch spielt die Schlüsselrolle in der Kälberaufzucht, nicht die Technik oder der Stall. Das A und O ist eine gute Tierbeobachtung. Rinder sind vom sogenannten fibrinösen Entzündungstyp, dabei wird Fibrin gebildet. Das ist ein Eiweiß, das auch bei der Blutgerinnung eine Rolle spielt.
Bei einer Lungenentzündung entwickelt sich Fibrin in der Lunge und kann ganze Bereiche regelrecht verkleben. So wie Fibrin bei der Blutgerinnung eine Wunde verklebt. Diese verklebten Lungenbereiche können so unwiederbringlich verloren gehen. Lungengesunde Kälber wachsen deutlich schneller als Kälber mit (ausgeheilter) Lungenentzündung. Daher muss man im Grunde heute schon sehen, dass ein Kalb morgen krank wird und frühzeitig behandeln.
Was müssen Bullenmäster beachten, wenn die Fresser auf ihren Betrieben ankommen?
Die Umstallung zum Bullenmäster ist immer Stress für die Tiere. Während beim Fresseraufzüchter die Kälber auf Gummimatten oder Stroh standen, haben die Tiere nun meistens Betonspalten unter den Füßen. Dazu kommt das ungewohnte Futter. Wenn möglich, sollte zur Begrüßung der Fresser das Futter möglichst nah an dem Futter des Fresseraufzüchters sein. Wenn der Aufzüchter ein kommerzielles Kraftfutter füttert, kann man beispielsweise das gleiche kaufen und die Tiere dann langsam auf die betriebsübliche Mischung umstellen. Das Wichtigste ist aber auch hier wieder die Tierbeobachtung!
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