Wochenblatt-Leserin Antonia L. fragt: Kürzlich war ich wegen einer Geldanlage bei meiner Hausbank. Bevor der Bankmitarbeiter mir ein Angebot machte, fragte er, ob ich Immobilien und weitere Geldanlagen hätte. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht Gegenstand des Gesprächs sei. Darauf begründete er seine Frage damit, dass „das gesetzlich so geregelt ist“. Ich bin überzeugt, meine weiteren Vermögenswerte gehen ihn nichts an. War seine Frage angebracht und ist die Aussage korrekt?
Prof. Dr. Hartmut Walz, Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, antwortet: Wenn Ihr Bankmitarbeiter das wirklich so gesagt hat, dann hat er sich ein wenig übernommen. Denn es gibt kein Gesetz, welches den Bankmitarbeiter konkret zu einer Frage nach Ihrem Immobilienbesitz oder anderen Geldanlagen verpflichten würde.
Ihr Bauchgefühl, dass die Fragen eher durch das Eigeninteresse des Bankverkäufers getrieben waren, Ihnen weitere Produkte zu verkaufen, ist also nicht von der Hand zu weisen.
Wahrscheinlich hat der Bankmitarbeiter eine seit 2018 bestehende EU-Vorgabe in eigenem Interesse oder Hausinteresse so interpretiert oder ausgelegt, dass er Sie komplett ausfragen dürfe. Und dabei nutzte er als Begründung die nach europäischem Recht in der Anlageberatung verpflichtende Geeignetheitserklärung. Jedoch verpflichtet diese ihn keineswegs zu den von Ihnen genannten konkreten Fragen. Die Geeignetheitserklärung ersetzt seit 2018 das zuvor bestehende Beratungsprotokoll.
Die europäische Rechtsgrundlage ist die Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II) – in der Branche kurz als MiFiD II bezeichnet. Diese Richtlinie wurde in Deutschland durch das zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz in deutsches Recht umgesetzt.
Danach ist der Vertriebsmitarbeiter verpflichtet, nachzuweisen, dass seine Anlageempfehlung zum Kunden passt, um das Beratungsergebnis nachvollziehbar zu machen. In der Geeignetheitserklärung dokumentiert der Bankmitarbeiter schlagwortartig und meist auf Basis eines einfach durch Ankreuzen auszufüllenden Formulars, weshalb ein bestimmtes Finanzinstrument (also Anlageprodukt) empfohlen wurde, und dass seine Empfehlung für Sie geeignet ist.
Auskunft nicht gesetzlich vorgeschrieben
Dass die von Ihnen genannten Fragen durch das obige Gesetz erzwungen würden, stimmt also einfach nicht. Vielmehr ist die landauf, landab beobachtbare Praxis gleich in zweierlei Hinsicht unbefriedigend.
Mangel 1: Das Finanzmarktnovellierungsgesetz wird als Alibi dafür missbraucht, Kunden bei der Vermittlung von Finanzdienstleistungen auszufragen. Dieses Wissen wird dann vom Verkäufer genutzt, um Kunden und Kundinnen weitere oder teurere Produkte zu verkaufen. In dieser Vertriebstechnik werden die Mitarbeiter von Banken und Versicherungen konsequent geschult.
Mangel 2: Das Gesetz schützt Kunden keineswegs davor, völlig ungeeignete Finanzprodukte verkauft zu bekommen, da nicht alle Produkte unter die obige Grundlage fallen. Ein trauriges Praxisbeispiel: Sicher stimmen Sie zu, dass der Verkauf eines großvolumigen Bausparvertrags an einen 94-jährigen Witwer mit geringem Einkommen und Vermögen offensichtlich nicht „geeignet“ ist. Der Witwer wird den Bausparvertrag niemals brauchen können. Er wird kein Bauspardarlehen beantragen oder erhalten. Und in der Ansparphase – soweit der Witwer überhaupt Zahlungen leisten kann – aufgrund von 0,1 % Guthabenzins bei gleichzeitigen Gebühren eine garantierte Negativrendite plus Inflationsschaden erleiden. Jedoch fallen Bausparverträge eben nicht unter das Finanzmarktnovellierungsgesetz und somit ist eine Geeignetheitserklärung nicht erforderlich!
Bauchgefühl folgen
Kurzum: Folgen Sie im konkreten Fall Ihrem schlechten Bauchgefühl und suchen Sie sich entweder einen vertrauenswürdigeren echten Berater oder machen Sie sich selbst schlau. Denn viele Finanzentscheidungen können Sie besser ohne persönliche Beratung treffen – insbesondere, wenn diese primär durch Verkaufsinteresse des Bankmitarbeiters getrieben ist.
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(Folge 12-2024)