Bis zu 200 Betriebe betroffen

Bagger-Fan randaliert auf Höfen

Seit rund einem Jahr besteigt ein polizeibekannter Täter nachts immer wieder Baumaschinen und Schlepper auf landwirtschaftlichen Betrieben und richtet Schäden an. Was ist passiert, wie geht es weiter?

Es liest sich wie ein Krimi, ist aber eine Tragödie: Der Täter kommt mit dem Zug, läuft vom Bahnhof in die Bauerschaft, „besucht“ mehrere Betriebe und besteigt alle großen Maschinen, die er findet, um damit herum- und möglichst wogegen zu fahren. Er ist polizeibekannt, wird oft gesehen, von Hofkameras gefilmt oder auch von der Polizei aufgegriffen, teils direkt aus der Fahrerkabine heraus mitgenommen. Bei der Einbruchserie auf landwirtschaftlichen Betrieben, die seit einem Jahr nicht abreißt, geht der Täter nach dem immer gleichen Muster vor.

„Bei uns war er im letzten April,“ erinnert sich Christoph Selhorst, Schweinemäster aus Herbern, Kreis Coesfeld. „Erst hat er auf einem Hof mit Schlachterei Messer geklaut, die er auf den umliegenden Höfen verteilt und Unordnung geschaffen hat. Wobei eine Hofkamera ihn gefilmt hat. Bei uns ist er mit dem Schlepper quer durch die Maschinenhalle gefahren. Unheimlich war, dass meine Frau und ich ihn nur knapp verpasst haben, als wir nachts von einer Feier kamen. Als ich das deponierte Messer in der Fahrerkabine des Schleppers fand, lief mir ein Schauer über den Rücken“, so Selhorst. „Hellhörig wurden wir, als es im Juli in der Nachbar-Bauerschaft zu ähnlichen Vorfällen kam.“

Davon berichtet Hendrik Krampe: „Der Schlepper stand samt Anhänger mit Getreide nachts draußen. Der Täter versuchte, damit auf die Straße abzubiegen, schaffte es aber nicht und ist dann einfach weg. Dabei ließ er den Trecker im Graben und den Anhänger quer über der Straße stehen. Die Polizei war schnell da und griff den Täter in der Nähe auf. Der war vorher noch bei einem Nachbarn gewesen und ist mit dessen Trecker ins Sektionaltor der Maschinenhalle gefahren und danach mit dessen Bagger durch Hecke und Zaun. Die Polizei nahm direkt Fingerabdrücke und konnte ihn überführen.“

Teils hoher Schaden

Großen Schaden hatte der mutmaßliche Täter bereits im Juni in Ahlen angerichtet: „Erst ist er in unseren Milchviehstall eingedrungen und hat die Festplatte aus dem Fütterungscomputer gestemmt. Dann ist er mit unserem Schlepper kreuz und quer über eine Wiese und einen Acker von uns gefahren, hat dabei einen Zaun zerstört und ordentlich Schäden auf den Flächen erzeugt. Auch, weil er den Frontlader und den Stein nicht hochbekommen hat. So ist er dann 3 km bis in die Innenstadt von Ahlen gefahren“, berichtet Landwirt Christoph Deter. Die Polizei konnte den Täter stoppen, aus der Fahrerkabine holen und Deter die Festplatte zurückbringen. „Die hat mein Schwager nachts noch eingebaut, sodass wir am nächsten Morgen wenigstens melken konnten. Über Tag ging dann aber nichts mehr, bis ein neuer Computer installiert war und Fütterung und Melkmaschine wieder liefen“, erinnert sich Deter. Beim Nachbarn hatte der Einbrecher in der gleichen Nacht mit einem Radlader randaliert.

Bis zu 100.000 €

Ebenfalls großen Schaden richtete der Täter im Dezember bei Martin Allendorf in Walstedde, Kreis Warendorf, an. „Um 18 Uhr wurde er am Bahnhof gesehen, ist dann 5 km zu Fuß zu uns, wo er um sieben an unserer Einfahrt auftauchte. Laut Bordcomputer war er aber erst um 20.45 Uhr auf unserem Bagger“, erzählt Allendorf. Die Maschinenhalle ist offen und vom Wohnhaus nicht zu sehen. „Um an den Bagger zu kommen, setzte er den Schlepper um und beschädigte dabei den angebauten Mulcher. Dann fuhr er mit dem Bagger aus der Halle, beschädigte dabei Dach, Dachrinne und einige Stahlträger massiv und drückte eine Scheibenegge an die Wand. Danach fuhr er quer über die Kuhwiese, schlörte den Stacheldraht beim Nachbarn in die Zuckerrüben, rodete Hecken und Sträucher und köpfte fünf Eichen mit der Baggerschaufel. Als er mit der Schaufel hinter den nächsten Baum griff, kippte der Bagger um“, vermutet Allendorf. „Wenn ich alle Flurschäden, die an den Maschinen und tatsächlich auch die an der Halle zusammenrechne, komme ich auf bis zu 100  000 €“, bilanziert er. In der gleichen Nacht richtete der Vandale noch bei zwei Nachbarn weitere Schäden um die 20  000 € mit einem Gabelstapler an. Die Polizei versuchte DNA-Spuren zu sichern.

Rund 200 Fälle?

Mehrere Betroffene haben sich vernetzt. Sie tauschen Erfahrungen und Informationen aus, die sie von Polizeiermittlern erhalten. Oder sie machen sich auf Polizei- und Zeitungsberichte aufmerksam, die aufgrund der Täterbeschrei-bung und des Vorgehens vermuten lassen, dass die „Einbruchserie“ des vermeintlichen Täters, einem 28-jährigen Mann aus Dortmund, weitergeht. So haben sie inzwischen um die 200 Fälle zusammengetragen. Auch Ermittlungsbeamte sprechen – ohne zitiert werden zu wollen – von ähnlich vielen Fällen, bei denen sie den Beschuldigten verdächtigen. Wie es scheint, bleibt er im weiten Umkreis von Dortmund. So trieb er offensichtlich bereits im Hochsauerlandkreis, in den Kreisen Unna, Coesfeld, Dortmund, Recklinghausen, Warendorf und Gütersloh sein Unwesen.

Warum nicht in Haft?

Die Betroffenen fragen sich natürlich: Warum nimmt die Polizei den Beschuldigten nicht fest, um weitere Einbrüche zu verhindern? Aus offiziellen Unfallmitteilungen der Polizei im Zusammenhang mit „Irrfahrten“, bei denen der Täter erwischt wurde, wird klar: Er hat einen gesetzlichen Betreuer. Zudem scheint er ein Gutachten mit sich zu tragen, aus dem hervorgeht, dass er – wie es juristisch heißt – schuldunfähig ist. Gemeint ist: Er scheint nicht zu verstehen, dass das, was er tut, nicht rechtens ist. „In der Vergangenheit sind mehrfach Gutachten von Sachverständigen eingeholt worden, aufgrund derer nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beschuldigte unfähig war, das Unrecht seines Handelns einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“, präzisiert Ann-Kathrin Schindler von der Staatsanwaltschaft Münster. Ist ein Täter schuldunfähig, kann er weder in Untersuchungshaft genommen noch später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden (siehe Interview rechts).

Aus dem Behördenumfeld heißt es, er habe eine psychische Erkrankung bzw. eine geistige Behinderung. „Er möchte einfach gerne Bagger fahren“, vermutet ein Polizist, der nicht genannt werden will. Auf seinen „Streifzügen“ trägt er Tarnkleidung und „Kriegsbemalung“ im Gesicht, wie etwa der Polizeibericht zum Einbruch in eine Reithalle zeigt.

Zahlt die Versicherung?

Für die betroffenen Landwirte ist es hingegen kein Spiel. Sie bleiben auf den Schäden vielfach sitzen, weil diese nur teils von der Versicherung gedeckt sind: „Die Schäden am Bagger bekomme ich eventuell erstattet. Die Stahlträger der Halle bleiben verbogen, die Schäden am Mulcher und der Scheibenegge habe ich provisorisch repariert. Für Flurschäden und den kaputten Zaun kommt keiner auf“, so Martin Allendorf aus Walstedde. Ähnlich ist es bei Christoph Deter aus Ahlen: „Die Einbruchschäden am Stall, am Computer und am Schlepper erstattet die Versicherung, den kaputten Zaun und die Flurschäden nicht.“

Bernhard Post, Versicherungsexperte beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband informiert: „Die Kfz-Teil- oder Vollkaskoversicherung deckt Schäden am Schlepper oder Baufahrzeug durch unbefugten Gebrauch.“ Bei Gebäuden wird es schwieriger.­ Sofern man über die Inventarversicherung „Einbruch/Diebstahl“ mitversichert hat, sind die eigentlichen Einbruchschäden abgedeckt. „Fährt aber ein Dritter mit Ihren eigenen Maschinen zum Randalieren gegen Gebäude, greift die Gebäudeversicherung nur, wenn Schäden durch ,Kfz-Anprall‘ eingeschlossen sind. Ob dem so ist, sollten Sie bei Ihrem Versicherer erfragen“, rät Post. Angehängte Maschinen sind meist nicht versichert, weder über die Kasko- noch über die Inventarversicherung.

Wie geht es weiter?

Die Staatsanwaltschaft Münster teilt auf Anfrage mit, dass „sowohl hier im Hause als auch bei anderen Staatsanwaltschaften mehrere Verfahren gegen denselben Beschuldigten vorliegen“. Zumindest die Staatsanwaltschaft Münster prüft noch, ob sie Anklage erhebt. Andere Staatsanwaltschaften stellten die Ermittlungen bereits aufgrund der vermuteten Schuldunfähigkeit ein. Kommt es zur gerichtlichen Verhandlung, kann es lange dauern, bis eine Entscheidung steht. Bei der wird es dann aber nicht um eine Haftstrafe gehen, sondern darum, ob der 28-Jährige in eine geschlossene Abteilung einer Psychiatrie eingewiesen wird oder nicht (siehe Interview unten).

Selbst vorsorgen

Der letzte Polizeibericht, auf den betroffene Landwirte aufgrund des altbekannten Tathergangs und der Täterbeschreibung stießen, ist von Mitte Januar. Geht es weiter mit den „Streifzügen“, müssen Landwirte sich wohl vor allem selbst helfen.

„Ich habe für meinen neuen Bagger einen codierten Schlüssel. Den kann niemand anstellen mit einem für 10,99 € von Amazon gekauften Schlüsselset für Baufahrzeuge“, berichtet Martin Allendorf. Bei ihm, wie auch bei anderen, muss der Täter Schlepper und Bagger mit einem mitgebrachten Schlüssel gestartet haben. Das Nachrüsten mit solchen elektronischen Wegfahrsperren kostet rund 350 € plus Einbau. Günstiger ist der Einbau eines Kippschalters oder der Stromkreislauf wird so verlegt, dass erst ein vorhandener Schalter wie der für Licht umgelegt werden muss, damit das Fahrzeug startet.

Welche Konsequenzen für den Täter?

Sarah Schlierkamp, Strafrichterin am Amtsgericht Unna (Bildquelle: Schlierkamp)


Sie kennen den „Fall“ nicht, entscheiden aber als Strafrichterin am Amtsgericht Unna unter anderem über Konsequenzen von Straftaten für Täter, die einen gesetzlichen Betreuer haben und selbst oft schuldunfähig sind. Wie geht man strafrechtlich gegen diese vor, wenn sie Sachbeschädigung begehen?
Sachbeschädigungen sind im Gegensatz zu etwa Sexual- oder Gewaltdelikten keine Delikte, für die Untersuchungshaft vorgesehen ist. Sprich: Der Beschuldigte könnte frühestens nach einem rechtsstaatlichen Verfahren in Haft, nicht schon davor. Kommt hinzu, dass Gutachten zeigen, dass jemand psychisch krank oder intelligenzgemindert ist, er zudem einen Betreuer hat und somit klar ist, dass er nur bedingt schuldfähig ist, werden die Verfahren zu Anfang oft eingestellt, um die Staatskasse nicht unnötig zu belasten, wenn am Ende eh ein Freispruch herauskäme. Denn eine Grundregel im Strafrecht lautet: Niemand darf für eine Tat bestraft werden, wenn ihn keine Schuld trifft. Schuld trifft aber nur jemanden, der sie auch begreift. Ab einer bestimmten Anzahl an Taten und einer bestimmten Schadenshöhe geht das natürlich nicht mehr. Dann erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage und es kommt zum Verfahren, an dessen Ende ein Freispruch oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus steht.
Wie wahrscheinlich ist eine solche Einweisung?
Das ist ungefähr der größte Eingriff ins Leben eines Menschen, den ein Rechtsstaat vornehmen kann. Der muss im Verhältnis zur Schwere der Tat stehen. Gewalttaten, Totschlag oder Sexualdelikte können unstrittig eine solche Einweisung nach sich ziehen. Bei Sachbeschädigung muss dafür schon so einiges zusammenkommen. Welches Urteil am Ende herauskommt, ist also unklar. Klar ist, dass es lange dauert. Denn erst müssen sich Straftaten und Verfahren ansammeln und der Beschuldigte muss nochmals begutachtet werden, bevor die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Geht die ans Landgericht, dauert es wieder sehr lange, bis die Richter über einen so weitgehenden Eingriff entscheiden.

Wie lange bliebe der Beschuldigte nach der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus?
Anders als eine „abzusitzende“ Freiheitsstrafe ist eine psychiatrische Unterbringung zeitlich unbegrenzt. In regelmäßigen Abständen wird mit den Beratern der Forensik geprüft, ob jemand noch bleiben muss oder er durch Medikamente und Therapie soweit „hergestellt“ ist, dass er entlassen werden kann. Vielfach ist die Unterbringung lebenslänglich.

Das stände womöglich am Ende eines Gerichtsverfahrens. Gibt es auch unmittelbare Maßnahmen, wenn ein schuldunfähiger Täter „auf frischer Tat ertappt“ wird?
Ist jemand akut und erheblich fremdgefährdend, etwa weil er in einer Psychose vollkommen außer sich andere Personen angreift, greifen die Ordnungsbehörden ein. Nach richterlicher Anhörung könnte er dann für sechs Wochen in die Psychiatrie eingewiesen werden. Ist jemand psychisch krank und begeht Straftaten, ist das nichts Akutes, das eine solche Einweisung rechtfertigen würde.

Kann ein Richter mildere Maßnahmen verfügen, damit der Täter keine weiteren Straftaten begeht? Müsste der Betreuer besser auf den Betreuten aufpassen?
Es gibt im Strafrecht keine Präventiv-, sondern nur Strafmaßnahmen. Daher sehe ich im Strafrecht keine milderen Maßnahmen. Ein gesetzlicher Betreuer ist für administrative Angelegenheiten der Betreuten zuständig und wird in der Regel keine Zeit für andere Aufgaben haben, schon gar nicht für eine Rund-um-die-Uhr-Kontrolle.

Müsste der Betreuer denn dann dafür sorgen, dass andere auf den Betreuten aufpassen?
Auch ein psychisch Kranker hat einen freien Willen. Solange er allein leben will und kann, ohne sich selbst oder andere zu gefährden, darf ihn niemand zwingen, etwa in ein Behindertenwohnheim zu ziehen.

Druck statt Zwang

Dr. Johanna Garbert (Bildquelle: Schildmann)


Da richtet ein junger Mann immer wieder Schäden auf Höfen an – und die Polizei muss zuschauen. Ein Glück, dass bisher niemand verletzt wurde. Wie beim Russisch Roulette kann die nächste Irrfahrt mit großem Gefährt aber auch anders ausgehen. Einfach wegsperren, obwohl er nicht wirklich versteht, was er da tut, kann aber auch nicht die Lösung sein. Bleibt nur zu hoffen, dass Nahestehende oder sein Betreuer ihn bald überzeugen, ins Betreute Wohnen oder eine ähnliche Wohnform zu ziehen. Dorthin, wo sich jemand um ihn und darum kümmert, dass er nicht wieder auf Tour geht. Am überzeugendsten wäre dabei wohl eine Anklage der Staatsanwaltschaft, die drohende Alternativen deutlich macht.