"Beef on dairy“ ist mittlerweile auf vielen deutschen Milchviehbetrieben etabliert. Bei dieser Strategie werden Milchkühe mit Sperma von Fleischrasse-Bullen besamt, um höhere Erlöse beim Verkauf von Kälbern zu erzielen. Läuft alles problemlos, geht die Rechnung auf. Doch mit steigender Zahl an Besamungen mit Fleischrassen steigt auch die Rate an Schwergeburten. Das führt nicht nur zu hohen Kälberverlusten während der Geburt oder lebensschwachen, betreuungsintensiven Kälbern, sondern kann schwerwiegende Folgen für die Kuh haben. Natürlich kann es auch bei Besamungen mit Milchrassen zu Komplikationen kommen.
Geburt: Belastung
Eine Geburt ist immer eine Belastung für die Kuh. Die Wehen sind körperlich anstrengend, und für das Fluchttier Kuh bedeutet die temporäre Immobilität während der Kalbung Stress. Zusätzlich verliert die Kuh während der Geburt über das Fruchtwasser, Schweiß und verstärkte Atmung größere Mengen Flüssigkeit und Elektrolyte. Nach jeder Kalbung ist es ratsam, den Kühen Wasser zur freien Aufnahme anzubieten, idealerweise mit Kuhtrunk versetzt. Dieser enthält Energie und Elektrolyte. Gerne saufen die Tiere den Trunk lauwarm aus großen Kübeln. 60 bis 100 l Wasseraufnahme nach einer Kalbung sind nicht selten.
Ist der Kreislauf der Kuh nach einer Schwergeburt stark belastet, sollten Landwirte die Kuh in Brust-Bauch-Lage bringen, sofern sie dies nicht selbst kann. Mithilfe von Strohballen oder Ähnlichem lässt die Kuh sich in dieser Position stabilisieren. Ein längeres Verbleiben in Seitenlage führt zum Aufgasen des Pansens. Dadurch drückt dieser auf das Zwerchfell, erschwert so die Atmung und belastet den Kreislauf zusätzlich.
Im schlimmsten Fall kann eine Kuh, die längere Zeit in Seitenlage liegt, sterben. Steht die Kuh zunächst nicht auf, sollten Landwirte ihr Wasser im Liegen anbieten und in Reichweite für eine spätere Aufnahme positionieren. Bitte nicht direkt unter der Nase, falls das geschwächte Tier die Nase mal nicht mehr aus dem Kübel heben kann. Ist die Kuh so sehr geschwächt, sollte allerdings ein Tierarzt hinzugezogen werden, damit die Kuh eine geeignete Infusion oder einen Dauertropf bekommt.
Mögliche Verletzungen
Nach jeder Geburt ist es ratsam, die Kuh, unabhängig vom Geburtsverlauf, auf Verletzungen und ein weiteres Kalb zu kontrollieren. Zu Verletzungen der Geburtswege kann es beispielsweise bei großen Kälbern, bei Kalbungen trotz abgeknickter Klaue beim Kalb oder bei nicht fachgerechter Geburtshilfe kommen. Häufig betroffen von Verletzungen ist der Muttermund, vor allem wenn ein Auszug bei nicht vollständig geöffneter Zervix vorgenommen wird. Die Vaginalschleimhaut und der Damm sind ebenfalls prädestiniert für Geburtsverletzungen. Die wichtigsten Maßnahmen, um Verletzungen zu vermeiden, sind:
- Zeit und Maß: Den Geburtswegen Zeit zum Dehnen geben, nicht zu früh und zu stark Zughilfe leisten. Die Fruchtblase so lange wie möglich geschlossen lassen, da diese die Geburtswege dehnt. Bei Zughilfe viel Gleitgel und Geburtshelfer mit Zugkraftbegrenzung nutzen. Die vollständige Öffnung des Muttermundes kontrollieren.
- Vor dem Auszugversuch vergewissern, dass Kopf und Gliedmaßen des Kalbes vollständig gestreckt sind und das Kalb korrekt in oberer Stellung („auf dem Bauch“) liegt. Auch eine (partielle) Drehung der Gebärmutter muss ausgeschlossen sein.
- Die Größe des Kalbes realistisch einschätzen.
- Bei Korrektur von Gliedmaßenfehlhaltungen immer mit Handschutz um die Klaue arbeiten.
- Beim Durchtritt des Kopfes mit der Hand den Damm schützen: Mit der flachen Hand den Bereich zwischen Vulva und After kräftig Richtung Kuh schieben.
Leichte, oberflächliche Risse in der Schleimhaut der Geburtswege heilen meist am besten, wenn man sie in Ruhe lässt. In den Tagen nach der Kalbung sollte jedoch auf eitrigen Ausfluss geachtet und regelmäßig Fieber gemessen werden, um Infektionen rechtzeitig zu erkennen. Tiefere Zusammenhangstrennungen müssen vom Tierarzt kontrolliert und gegebenenfalls chirurgisch versorgt werden.
Kritisch sind perforierende Verletzungen. Am häufigsten kommt es dazu, wenn durch übermäßige Zughilfe oder durch eine Fehlhaltung des Kalbes die Klaue des Kalbes die weichen Geburtswege durchstößt und so einen Zugang zum Bauchraum oder in den Enddarm öffnet. Beide Verletzungen müssen umgehend tierärztlich versorgt werden. Eine Notschlachtung direkt nach der Kalbung ist möglich, führt jedoch oft zur Verwerfung des kompletten Tierkörpers, da die Fleischreife durch den Geburtsstress gestört wird. Somit bleibt als weitere Option nur die Euthanasie.
Eine Perforation der Gebärmutter kommt ebenfalls vor, zum Beispiel bei unsachgemäßer Korrektur von Fehlhaltungen oder bei der Reposition von Gebärmutterverdrehungen. Bestehen diese schon länger, ist die Gebärmutterwand porös und kann unter der Belastung der Reposition reißen. Findet man also Darmschlingen in der Gebärmutter, gilt es, diese in der Kuh zu halten, bis der Tierarzt eintrifft und eine Entscheidung über Operation oder Erlösen getroffen wird.
Starke Blutungen
Ein absoluter Notfall sind außerdem schwallartige oder pulsierende Blutungen. Diese treten in der Regel auf, wenn durch eine Verletzung der Geburtswege ein größeres Gefäß in Mitleidenschaft gezogen wird. Hier gilt: Jede Hilfe ist besser als keine Hilfe, denn eine solche Verletzung kann schnell zum Verbluten der Kuh führen. In einem solchen Fall muss sofort der Tierarzt informiert werden. Dann wird versucht, die Blutung zu stoppen. Wer den Ursprung der Blutung zügig findet, kann diesen gezielt abdrücken. Hier geht ausnahmsweise Hilfe vor Hygiene, denn zum gründlichen Säubern ist keine Zeit. Mit der bloßen Hand Druck auf die Verletzung ausüben bis der Tierarzt eintrifft, kann der Kuh das Leben retten.
Ist die Verletzung unauffindbar oder zu großflächig zum Abdrücken, kann mit eingerollten (möglichst sauberen) Handtüchern Druck im gesamten Geburtsweg ausgeübt werden. Die eingerollten Handtücher am besten mit eiskaltem Wasser tränken. Dann ziehen sich die Blutgefäße eventuell zusammen und die Blutung wird geringer. Die Handtücher werden dann in die Scheide eingeführt. Es dürfen so viele Handtücher wie möglich sein, um über die gesamte Länge des Geburtsweges Druck zu erzeugen. Das gezielte Abdrücken ist, wenn möglich, immer vorzuziehen.
Schwellungen, Lähmungen
Durch eine länger dauernde Geburtshilfe oder durch ein großes Kalb, welches während der Passage durchs Becken viel Druck erzeugt, können weitere Probleme während und nach der Geburt entstehen. Eine häufige Komplikation ist eine Schwellung im Beckenbereich, meist im unteren Bereich des knöchernen Beckens. Diese Schwellungen sind für die Tiere äußerst schmerzhaft. Betroffene Kühe scheinen manchmal sogar festzuliegen. Häufiges Liegen und in der Folge eine geringe Futter- und Wasseraufnahme ist die Regel bei diesen Läsionen. In den meisten Fällen ist eine mehrtägige Gabe von abschwellend wirkenden Entzündungshemmern zur Behandlung und schnellem Lindern der Symptome ausreichend. Im Auge behalten sollte man diese Tiere dennoch.
Als weitere Folge von Schwergeburten können Nerven gequetscht oder verletzt sein. Das kann zu Lähmungen der Hinterbeine führen. Zwei große Nerven zur Versorgung der Hintergliedmaßen verlaufen in enger Nachbarschaft zu den Geburtswegen und sind somit bei Schwergeburten anfällig für Verletzungen. Hier ist es schwierig, eine Prognose abzugeben. Der Heilungsprozess nimmt häufig viel Zeit in Anspruch. Sowohl Landwirt als auch das Tier selbst müssen Durchhaltevermögen, Geduld und Arbeit aufbringen.
Tier genau anschauen
Eine festliegende Kuh unter Umständen mehrere Wochen zu versorgen, mehrmals täglich umzulagern und im Optimalfall mehrmals täglich aufzustellen und zu behandeln ist kräftezehrend, vor allem wenn das Ergebnis ungewiss ist. Es kommt auch vor, dass die festliegende Kuh selbst den Lebensmut verliert, die „Mitarbeit“ verweigert und das Fressen einstellt. Dann sollte das Tier erlöst werden.
Entscheidend für den Erfolg ist eine weiche, rutschfeste Liegefläche. Ist die Unterlage zu hart, kommt es durch die dauernde Belastung des Liegens zu Schädigungen der Haut und Muskulatur. Versucht das Tier aufzustehen, darf es nicht wegrutschen und sich dadurch noch schwerer verletzen. Ideal sind Sandbetten, Torf oder dicke Matratzen mit frischer Strohauflage. Eine spezielle Fußfessel (Vergrittungsgeschirr) schützt zusätzlich vor dem Ausgrätschen.
Die Kuh sollte mehrmals täglich umgelagert werden, um den Druck gleichmäßig auf beide Körperseiten zu verteilen und ein „Einschlafen“ der Gliedmaßen zu verhindern. Das tägliche Aufstellen, am besten mit einem speziellen Hebegeschirr, fördert die Durchblutung der Gliedmaßen und wirkt wie eine Art Physiotherapie. Bei vielen Kühen kann in der Praxis auch ein nicht zu unterschätzender „psychologischer“ Effekt beobachtet werden. Durch das Aufstellen scheint bei manchen Kühen der Wille, wieder selbst aufstehen zu können, stark gefördert zu werden. Medikamentös kann die Heilung des Nervengewebes durch hoch dosierte Glukokortikoid-Gaben und Vitamin B unterstützt werden.
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