Fresspausen vermeiden: Pferde, die nicht auf der Weide stehen, sollten alle zwei Stunden Heu zu fressen bekommen. In der Praxis ist das schwierig umzusetzen. So schieben viele Pferde stundenlang „Kohldampf“ und werden krank. Fresspausen lassen sich vermeiden. Hier sind sechs Vorschläge.
Pferde sind Dauerfresser
Ihr Verdauungstrakt ist auf ständige Nahrungsaufnahme ausgelegt. Er benötigt für die einwandfreie Funktion wie täglich viel rohfaserreiches Futter in kleinen, zahlreichen Rationen. Das Futtermanagement in vielen Ställen entspricht diesem Bedürfnis nur schlecht oder gar nicht: morgens und abends – eventuell zusätzlich mittags – eine mehr oder weniger große Portion Heu, dazwischen Pausen ohne Futter.
Weil die Pferde so lange auf ihr Futter warten müssen, gieren sie es regelrecht hinein, wenn sie es endlich bekommen. Dann ist das Heu noch schneller weg. Die Pausen dementsprechend länger.
Wissenschaftler sehen Tierwohl in Gefahr
Darin sehen Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) München und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Fresspausen von deutlich mehr als vier Stunden beurteilen sie als „eine nicht tiergerechte und damit inakzeptable Fütterungspraktik“. Ihre Begründung:
- Zu lange Fresspausen bedeuten für Pferde Stress;
- Magengeschwüre, Störungen der Dickdarmfermentation und Verstopfungen können gesundheitliche Folgen sein;
- das psychische Wohl wird beeinträchtigt, wodurch Verhaltensauffälligkeiten wie Holzkauen, Kopfschlagen oder Fressen von Späne oder anderer nicht fressbarer Einstreu wie Strohpellets auftreten könnten.
Zu lange Fresspausen gefährden das Wohl des Pferdes
Dr. Miriam Baumgartner, Theresa Boisson und Dr. Margit H. Zeitler-Feicht von der Arbeitsgruppe Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz der TU München sowie Prof. Dr. Dr. Michael H. Erhard vom Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung der LMU München kommen in einer im März 2020 veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass Fresspausen von mehr als vier Stunden sowohl das körperliche als auch das psychische Wohl von Pferden gefährden.
Sie hatten auf zehn Pferdebetrieben im Großraum München insgesamt 104 Pferde beobachtet. Bei den Pferden, die auf einer „nicht fressbaren Einstreu“ (etwa Späne) standen, ermittelten die Wissenschaftler eine durchschnittliche Futterabstinenz von neun Stunden. Die längste dokumentierte Fresspause lag sogar bei etwas mehr als 13 Stunden.
Zudem zeigte sich, dass die Pferde mit Späne-Einstreu kaum Pausen beim Fressen der Heuportion einlegten und diese deutlich schneller vertilgten als die Pferde mit Stroh in der Box. Die Forscher nennen diese Beschleunigung der Futteraufnahme „Rebound-Effekt“: „Das veränderte Futteraufnahmeverhalten kann als Zeichen für ein angestautes Fressbedürfnis angesehen werden,“ erläutern Dr. Miriam Baumgartner und ihre Kollegen.
Die Wissenschaftler plädieren dafür, die längste Unterbrechung der Futteraufnahme als einen wichtigen Tierschutzindikator für die Beurteilung des Tierwohls heranzuziehen.
Sechs Möglichkeiten für die Praxis
Um die Fütterungspraktik eines Pferdes oder eines ganzen Bestandes zu verbessern, gibt es verschiede Möglichkeiten.
Option 1 „Heu ad libitum“: Lange Fresspausen lassen sich durch das Bereitstellen von Heu rund um die Uhr vermeiden. Bei „Heu ad libitum“ entscheidet das Pferd, wann es wie viel frisst und wann es pausiert.
Nachteil der Methode: Pferde fressen auch dann weiter, wenn ihr Energiebedarf bereits gedeckt ist. Bei vielen Pferden führt der freie Zugang zu Heu zu Übergewicht, welches wiederum schlecht für die Pferdegesundheit ist. Heu ad libitum ist demnach in der Regel nur für schwerfuttrige Pferde, zum Beispiel Senioren, eine Option.
Option 2 „Slowfeeder“: Eine Möglichkeit, ohne übermäßiges Futterangebot die Fressdauer zu verlängern, ist der Einsatz von „Slowfeedern“. Das sind zum Beispiel engmaschige Heunetze, Futterraufen mit speziellen Gittern oder Heutonnen.
Nachteil: „Diese Hilfsmittel müssen an das betroffene Pferd angepasst werden“, betont Tierärztin und Fütterungsexpertin Leda Führ, „einige Pferde fressen Heu aus Netzen genauso schnell wie vom Boden, andere rupfen mit Gewalt an den Netzen oder gewöhnen sich an, den Kopf beim Fressen aus Heuraufen immer schief zu halten, so dass zwar Fresspausen vermieden werden, das Pferd aber ständig den Chiropraktiker benötigt.“ Zudem beseht ein hohes Verletzungsrisiko. Pferde können sich in Heuraufen einklemmen oder in Heunetzen verfangen.
Option 3 „Futterautomaten“: Heu sollte möglichst über den Tag verteilt gefüttert werden. „Ideal wäre es, beispielsweise einem Pferd mit 600 kg Lebendgewicht, alle zwei Stunden 2 kg Heu zu füttern. Dieser Aufwand lässt sich inzwischen durch elektronische Heuraufen oder -boxen relativ gut umsetzen. Vor allem im Offenstall mit oft stark voneinander abweichenden Futteransprüchen der Herdenmitglieder untereinander sind solche elektronischen Fütterer aber durchaus eine Überlegung wert.
Nachteil: „Die Investitionskosten und der Platzbedarf sind teilweise erheblich“, erklärt Leda Führ.
Anm. der Red.: Fütterungssysteme stellen wir in Folge 29/2021 vor.
Option 4 „Fütterungszeit“: „Kommen weder eine elektronische Heufütterung noch Heunetze oder ähnliches in Frage, sollte die größte Heuportion vor der längsten Fütterungspause – in der Regel abends – gefüttert werden“, rät Leda Führ. Klingt vernünftig, wird aber in der Praxis nicht immer umgesetzt. Dabei macht es einen Unterschied, wieviel Heu wann gefüttert wird.
Dreimal Heu am Tag ist besser als zweimal, idealerweise erhalten die Pferde noch häufiger ihr Heu. Und auch ob die Pferde abends bereits gegen 17 Uhr oder vielleicht erst 20 Uhr gefüttert beziehungsweise morgens um sechs Uhr oder vielleicht erst um acht Uhr, wirkt sich unmittelbar auf die Dauer der Fresspausen aus.
Doch selbst wenn die Fütterung auf mehrere Rationen aufgeteilt wird und abends die größte Heumenge gereicht wird, ist der „Idealzustand“ – maximale Fresspausendauer von vier Stunden – in der Praxis oft nur schwer zu erreichen.
Option 5 „rein Stroh“: Die Bereitstellung von Stroh kann wesentlich dazu beitragen, die Fresspausendauer zu optimieren. Unabdingbar ist selbstverständlich eine ausgesprochen gute Qualität des goldenen Klassikers, auch wenn dieser „nur“ als Einstreu dient. Milben, Pilze oder Schimmel haben hier nichts verloren.
Zusätzlich muss das Mistmanagement hygienisch sein, denn von einer verdreckten Mistmatratze vermag auch das hungrigste Pferd nicht gerne fressen. Im Offenstall kann Pferden Stroh auch in Raufen als Zusatzfutter angeboten werden, hier verschmutzen die Getreidehalme deutlich weniger.
Option 6 „Stroh-Heu-Mix“: Manche Experten empfehlen, das Stroh mit dem Heu zu vermischen. So etwa Schottische Wissenschaftler, die diese Methode insbesondere für zu dicke Pferde positiv hervorheben. Zudem beobachteten sie, dass die Pferde, die eine Heu-Stroh-Mischung erhielten, deutlich länger für ihre Ration benötigten und oft sogar ein wenig Stroh übrigließen.
Auch die Münchener Wissenschaftler sind überzeugt: „Pferde, die kein Heu zur freien Verfügung erhalten, denen jedoch Stroh bereitgestellt wird als Einstreu oder in Futterraufen, können ihrem Bedürfnis nach kontinuierlicher Futteraufnahme nachkommen.“ Dennoch sollten Pferdebesitzer versuchen, die tägliche Strohaufnahme im Auge zu behalten.
Nachteil: Es gibt Pferde, die ihre gesamte Einstreu auffressen, insbesondere wenn sie „auf Diät“ sind und ihre Heuportionen entsprechend weniger üppig ausfallen. Oder aber die Zeit zwischen den Heufütterungen lang ist. Nicht nur, dass dadurch keine trockene und verformbare Liegefläche – wie von den „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ gefordert – mehr vorhanden ist. Ein zu hoher Strohkonsum kann auch zu Verstopfungskoliken führen.
Wieviel Stroh füttern?
Stohfütterung: Einige Experten raten zu einer maximalen Höchstmenge von 0,5 kg pro 100 kg Körpergewicht, also gerade einmal knapp 3 kg für einen durchschnittlichen Haflinger. Das ist schon bei der Einstreu in Boxenhaltung schwierig zu kontrollieren. Bei Strohraufen in Offenställen, an denen sich mehrere Pferde bedienen, ist es fast ausgeschlossen. Nach Ansicht von Dr. Miriam Baumgartner, TU München, kann Pferden ruhig etwas mehr Stroh zur Verfügung gestellt werden: „Laut den Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffversorgung von Pferden (2014) der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie dürfen an Stroh gewohnte Pferde bis zu 1 kg Stroh pro 100 kg Lebendmasse täglich fressen.“
Ihr Rat: „Voraussetzung bei Strohfütterung ist, dass die Pferde langsam darauf eingestellt werden. Auf diese Weise können Verstopfungskoliken vermieden werden.“
Fazit: Es ist ein Spagat
Die Kunst der artgemäßen Pferdefütterung besteht darin, den Spagat zwischen ausreichend langer Fresszeit inklusive nicht zu langen Fresspausen auf der einen Seite und einer bedarfsgerechten Fütterung auf der anderen Seite zu meistern. Die Wissenschaftler der TU und LMU München plädieren dafür, die längste Unterbrechung der Futteraufnahme als einen wichtigen Tierschutzindikator für die Beurteilung des Tierwohls heranzuziehen.
„Zusätzlich können Tierärzte in naher Zukunft auf ein digitales Beratungstool („BestTUPferd“) verweisen, welches aktuell an der Technischen Universität München in Kooperation mit weiteren Partnern entwickelt wird. Es hat zum Ziel, Berater auszubilden und in der Anwendung mittels einer Software zu unterstützen, die Tiergerechtheit und die ökologische Nachhaltigkeit von Pferdehaltungen (alle Einzel- und Gruppenhaltungsverfahren) einheitlich und umfassend zu überprüfen. U. a. kann damit die verhaltensgerechte Fütterung erstmals objektiv analysiert werden. Betriebsleiter von Pferdehaltungen werden mithilfe von „BestTUPferd“ individuelle und praxistaugliche Verbesserungsvorschläge an die Hand bekommen.“