Michelle Sommer zückt ihr Smartphone und stellt den Alarm auf 14 Uhr. Dann soll sie für ihren Ausbilder Philipp Worch ein Pferd satteln. „Ich bin kein Fan von Smartphones beider Arbeit, aber Michelle machtdas selbstständiger“, sagt der Pfer-dewirtschaftsmeister. Denn die 17-Jährige hat eine diagnostizierte Lernverzögerung. Doch auf dem Reiterhof Worch in Hattingen im Ennepe-Ruhr-Kreis kann die Wittenerin ihr Hobby zum Beruf machen. Sie absolviert eine Ausbildung zur Fachwerkerin in der Pferdehaltung – einen Ausbildungsweg, den es seit 2022 auch in NRW gibt.
Gespür für schwierige Tiere
Matthias Worch, Bruder von Philipp Worch, ist begeistert von Michelle. Er erzählt, dass sie ein Gespür für die eher schwierigeren Tiere hat und beruhigend auf sie wirkt. „Michelle kann auch die Ponys für Fortgeschrittene reiten“, sagt er. Zum Reiterhof der Familie Worch gehören 25 eigene Tiere und 25 von privaten Haltern. Michelle mistet die Boxen aus, sattelt die Pferde, füttert die Ponys und putzt Schweif, Mähne und Fell. Sie macht vieles von dem, was Pferdewirte in der Ausbildung auch machen. „Mir gefällt vor allem die Arbeit an der frischen Luft“, sagt sie.
Seit 2022 ist Michelle in der Ausbildung. Dass sie dort gelandet ist, war Zufall. Die 17-Jährige interessiert sich schon ihr Leben lang für Pferde. Mit zwei Jahren saß sie im Rahmen einer sozialpädagogischen Pferdetherapie das erste Mal im Sattel. Seit dem 14. Lebensjahr reitet sie. Eine Lehrerin machte Michelle auf den Pferdehof Worch aufmerksam. Als Michelles Mutter Sabine Gorthat hörte, dass die Landwirtschaftskammer NRW den Ausbildungsgang Fachwerkerin in der Pferdehaltung neu anbietet, wandte sie sich an Familie Worch. Denn ein Muss ist, dass ein Pferdewirtschaftsmeister und ein Sozialpädagoge vor Ort sein müssen. Den Pferdewirtschaftsmeister hat Philipp Worch. Der Sozialpädagoge vor Ort ist sein Bruder Matthias. Gemeinsam führen sie den Hof. So hatten sie eine wichtige Voraussetzung schon erfüllt, ohne es gewusst zu haben.
Ausbildungsbetriebe haben auch die Möglichkeit, einen externen Pädagogen einer Bildungseinrichtung mit ins Boot zu holen.
Mehr Praxis
Jeden Mittwoch und jeden zweiten Freitag fährt Michelle per Bahn zum Wilhelm-Emmanuel-von-Ketteler Berufskolleg in Münster – oftmals ein langer Ritt. Gemeinsam mit Franziska Miesner aus Warendorf besucht sie die Werker-Klasse. „In den normalen Klassen mit 30 Auszubildenden würden sie untergehen“, betont Lehrer Ralf Horn. Die Schultage umfassen je acht Stunden. Fächer wie Sport, Religion und Deutsch lernen die Schülerinnen zusammen mit den Landwirtschaftswerkern. Im ersten Lehrjahr sind vier Stunden pro Schultag pferdespezifisch. In diesem Unterricht werden Fütterung, Pflege und Training thematisiert. Ab dem zweiten Ausbildungsjahr kommt die Zucht in sechs fachbezogenen Stunden pro Tag hinzu. Besonders interessant findet Michelle die Anatomie des Pferdes.
Der praktische Anteil im Unterricht ist größer als in der normalen Ausbildung.„Im Regelfall liegen die Defizite eher im schulischen Bereich und nicht bei der Arbeit im Betrieb“, sagt Lehrer Ralf Horn. Auch Ausflüge zu Reiterhöfen, um die Pferdepflege zu erleben, gehören zum Lehrplan. „Der Hauptunterschied ist der Aufbau der Klassenarbeiten und schriftlichen Prüfungen“, erklärt der erfahrene Pädagoge. Die Aufgabenstellungen sind in leichter Sprache verfasst. Meist bestehen die Prüfungen aus Multiple-Choice-Fragen oder Aufgaben, die sich in Stichworten beantwortet lassen. Auch auf Rechenschwächen wird Rücksicht genommen.
Doch zurück auf den Reiterhof Worch: Dass Michelle für diesen Beruf lebt, zeigt sie in den Pausen. Sie bleibt auf dem Hof, schnappt sich selbst einen Sattel und reitet ein Pferd. Und selbst im Urlaub fährt sie zu anderen Höfen auf Reiterfreizeiten.
Eine Lehre mit Unterstützung
Die Ausbildung zum Fachwerker Pferdehaltung ist für junge Menschen gedacht, die wegen einer Beeinträchtigung die Anforderungen im regulären Ausbildungsberuf Pferdewirt nicht erfüllen können. Diese Handicaps können Lernschwächen, Verhaltensprobleme oder psychische Erkrankungen sein. Die Form der Ausbildung ist eine Reha-Maßnahme. Das heißt die Agentur für Arbeit stellt anhand eines Gutachtens fest, wer sich für diese Lehre eignet. Sie bezuschusst die Ausbildung oder übernimmt komplett die Kosten. Vor Beginn der Ausbildung wird ein mehrwöchiges Praktikum in einem Betrieb empfohlen.
Die Berufsausbildung dauert drei Jahre und qualifiziert die Auszubildenden für den ersten Arbeitsmarkt. Die Vergütung orientiert sich an der eines Pferdewirts in der Lehre.
Fragen zum Ablauf der Ausbildung oder zur Anerkennung als Ausbildungsstätte beantworten die Ausbildungsberaterinnen der Landwirtschaftskammer.
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