„Staatlich geduldete Brunnenvergiftung“

Staatlich geduldete Brunnenvergiftung, Grundwasserverseuchung mit Nitrat, übermäßige Gülledüngung, drohender Erstickungstod bei Säuglingen – die Berichterstattung des WDR-Hörfunks in der vergangenen Woche erinnert mehr an die Klatsch- und Skandalberichte der Boulevardpresse als an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Zahlreiche Vorwürfe

Bei näherem Betrachten wird aber klar, dass der in den Beiträgen oft genannte Redakteur Jürgen Döschner doch in einigen Punkten über das Ziel hinausgeschossen ist. Einige Beispiele:

  • So berichtet Döschner, Deutschland habe hinter Malta die EU-weit höchste Nitratkonzentration im Grundwasser. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Denn in den Ländern werden unterschiedliche Messkonzepte verwendet. Deutschland hat ein sogenanntes konzentriertes Belastungsmessnetz mit 186 Messstellen. Dies sind in erster Linie Brunnen, in denen höhere Nitratwerte über 50 mg/l aufgetreten sind. In anderen Nationen wurde dagegen ein Flächenmessnetz aufgebaut. Dies trägt dazu bei, dass Deutschland sich auf dem vorletzten Platz dieses Nitratrankings wiederfindet. Ein „nationales Ranking“ der Nitratwerte ist mit diesen Daten belastbar nicht möglich, hat selbst die grüne Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, Ulrike Höfken, jüngst erkannt.
  • Weiter wird behauptet, dass die Gebiete, in denen der Grenzwert überschritten wird, immer größer werden. Dies stimmt nicht mit den Untersuchungen des LANUV überein. Laut Fachbericht 55 „Nitrat im Grundwasser“ ist der Anteil der Messstellen mit Nitratgehalten über 25 mg in NRW von 1990 (45 %) auf 32 % im Jahr 2013 gesunken. Auch der Anteil hochbelasteter Messstellen über 50 mg ist rückläufig.
  • Weiter behauptet Döschner, dass die Möglichkeit der Derogration großzügig angenommen und häufig bis zu 230 kg Stickstoff ausgebracht werde. Dies ist schlichtweg falsch. Laut Nährstoffbericht NRW 2014 der Landwirtschaftskammer haben nur 484 Betriebe mit 13 614 ha die Derogration genutzt. Dies sind nur 2,9 % der Fläche.
  • Außerdem zeigt der NRW-Nitratbericht von 1992 bis 2011 in vielen auch viehintensiven Kreisen konstante Nitratwerte, während in vieh­armen Kreisen wie etwa Düren oder dem Rhein-Erft-Kreis steigende Werte gefunden werden.
  • Fragen wirft auch die Meldung auf, dass in mehreren Tausend Hausbrunnen in NRW der EU-Grenz­wert überschritten sei. Dabei wird verschwiegen, dass in sehr vielen Brunnen die Werte in Ordnung sind. So waren bei 32 Behörden weniger als 20 % der Brunnen mit zu hohen Nitratwerten registriert. Interessant: Die Regionen mit hoher Belastung stimmen nicht mit den belasteten „roten Grundwasserkörpern“, die im Zuge der Wasser­rahmenrichtlinie
  • ermittelt wurden, überein.

Diese Beispiele zeigen, dass es zu kurz gedacht ist, einfach „die Landwirtschaft“ und die „Gülle“ an den Pranger zu stellen. Viele weitere Einflussfaktoren wie Witterung, Bodenart müssen Berücksichtigung finden.

Problem ernst nehmen

Und doch müssen wir das Problem „Nitrat im Grundwasser“ sehr ernst nehmen. In vielen Wasserkooperationen sind in den vergangenen Jahren die Restnitratwerte im Boden – nach überaus erfolgreicher Arbeit in den vergangenen Jahren – wieder leicht gestiegen. Auf Nachfrage des Wochenblattes bei den Stadtwerken Borken etwa ist es momentan zwar nicht erforderlich, das Rohwasser für die Trinkwassergewinnung aufgrund zu hoher Nitratwerte zu verschneiden. Auch die Stadtwerke Coesfeld melden, dass mit Nitratgehalten von 1,8 bis 9,5 mg/l Nitrat eine Verschneidung nicht erforderlich sei.

Allerdings wird eine zunehmende Belastung des Grundwassers festgestellt. „Hier gibt es eine deutliche Veränderung der Wasserqualität in den letzten Jahrzehnten“, so Peter Wessels, Abteilungsleiter für die Bereiche Gas, Wasser, Strom bei den Stadtwerken Borken. So werden an einigen Grundwassermessstellen durchaus Werte zwischen 20 und 200 mg Nitrat gefunden.

Aus diesem Grund ist es wichtig, etwa in den Wasserkooperationen weiter an sinkenden Restnitratwerten zu arbeiten. Hier ist jeder einzelne Landwirt gefragt, etwa über gezielte Düngung und Zwischen­frucht­anbau den Nitrataustrag zu minimieren. Ansätze liefert in diesem Zusammenhang auch die neue Düngeverordnung, die im nächsten Jahr verabschiedet wird. Auch muss die Frage erlaubt sein, ob an manchen Standorten in intensiven Veredlungsregionen nicht die Grenzen der Viehdichten erreicht sind.

Fest steht: Jede Maßnahme, die die Belastung des Grundwassers reduziert, muss ergriffen werden. Es hilft aber überhaupt nichts, die Landwirtschaft generell an den Pranger zu stellen. Lösungen des Nitrat-Problems können nur gemeinsam mit den Bauern gefunden werden. Große Enking