Antibiotika-Einsatz: Zu oft zu kurz behandelt?

Die ersten Ergebnisse waren schon vor Wochen durchgesickert und von einem Fernsehsender skandalträchtig aufbereitet worden: In nordrhein-westfälischen Hähnchenmastställen werden zu viele Antibiotika eingesetzt, vermutlich als „Wachstumsdoping“. Am Dienstagvormittag dieser Woche stellte nun Umweltminister Johannes Remmel den zitierten Bericht des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) in Düsseldorf der Landespressekonferenz vor. Er dreht sich um den Antibiotikaeinsatz in der Hähnchenmast.

Remmel sprach von einem „massiven Antibiotikaproblem in der Massentierhaltung“. Der Einsatz von Antibiotika habe ein Ausmaß erreicht, das alarmierend sei. Als Konsequenz daraus forderte der Politiker Gesetzesänderungen, die den Medikamenteneinsatz begrenzten, und kündigte gleichzeitig strengere Kontrollen in NRW an. Ziel müsse sein, den Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast binnen zwei oder drei Jahren um die Hälfte zu senken.

962 Mastdurchgänge ausgewertet


Bevor Masthähnchen zur Schlachtung abgegeben werden, müssen von den Veterinärämtern höchstens drei Tage vor dem Verladen Gesundheitsbescheinigungen ausgestellt werden. Ohne dieses Papier darf nicht geschlachtet werden. Die Amtsveterinäre waren Anfang dieses Jahres angewiesen worden, auch die Art und Zahl der tierärztlichen Behandlungen der Masttiere in die Bescheinigungen aufzunehmen. Erfasst wurden daneben die Größe des Betriebes, die Zahl der Tiere sowie die Mastdauer.

Basis der Auswertung sind 962 Mastdurchgänge aus 182 Betrieben. Für 836 Tiergruppen konnte zweifelsfrei zugeordnet werden, aus welchem Betrieb sie stammen. Dabei ging es um eine Menge von insgesamt mehr als 15 Mio. Hähnchen, wie Minister Remmel erklärte.

Die wesentlichen Ergebnisse der detaillierten Auswertung fassen die Mitarbeiter des Landesamtes so zusammen:

  1. Die Haltung von Masthühnern erfolgte bei 163 (17 %) Mastdurchgängen bzw. in 18 ausgewerteten Betrieben durchgehend ohne den Einsatz von antimikrobiellen Substanzen. Auffallend ist, dass auf diesen 10 % der Betriebe lediglich 3,6 % der Tiere gehalten wurden. 96,4 % der Masthühner wurden demnach einer antibiotischen Behandlung unterzogen.
  2. Bei den erfassten Mastdurchgängen mit Antibiotikaeinsatz kamen mehrere Wirkstoffe zum Teil zeitgleich zum Einsatz (ein bis acht Wirkstoffe pro Mastdurchgang), und die jeweilige Behandlungsdauer eines Wirkstoffes lag bei 53 % (924 von 1748) der Behandlungen mit ein bis zwei Tagen deutlich unter den Zulassungsbedingungen der verabreichten Wirkstoffe.
  3. Bei kleineren Betrieben (mit weniger als 20.000 Tieren) und bei einer Mastdauer von mehr als 45 Tagen wurde eine signifikant geringere Behandlungsintensität festgestellt, sowohl was die Zahl der Wirkstoffe als auch die Behandlungsdauer angeht. Ein genereller Zusammenhang zwischen Behandlungsintensität und Betriebsgröße war auf Basis der Einzelbetriebsdaten dagegen nicht erkennbar.
  4. Ziel der Studie war zunächst die Statuserhebung, damit sowohl die für Tierschutz und Tierarzneimittel zuständigen Überwachungsbehörden als auch Wirtschaftsbeteiligte über die landesweit erhobenen Durchschnittswerte in Kenntnis gesetzt werden können.
    Die Situation, wonach mehr als 96 % der Masthühner behandelt werden, ist nicht akzeptabel und legt den Schluss nahe, dass das Haltungssystem nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes entspricht, da angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung in Frage gestellt werden müssen.
  5. Weitere Faktoren, wie Betriebsmanagement, Qualität der tierärztlichen Behandlung, Genetik, Besatzdichte usw., sind zu prüfen. Ihr Einfluss auf den Antibiotika-Einsatz kann nicht abschließend bewertet werden.

Anlass zu der Studie war nach Mitteilung des Ministeriums die Sorge, dass der Einsatz von antibiotischen Wirkstoffen in der Tiermast die Entwicklung von resistenten Keimen fördert und so die Gesundheit von Tieren wie auch Menschen gefährden könnte. Vertiefende Untersuchungen bei Masthähnchen und bei anderen Tierarten sollen folgen. bw