Kommentar

Ein Schicksalsjahr für die EU

Brexit und EU-Parlamentswahl stellt die Europäische Union vor schweren Belastungsproben. Bei allen Problemen darf nicht vergessen werden: Kern der EU sind nicht Agrarsubventionen oder Glühlampenverbote, sondern brandaktuelle Werte: Frieden, Sicherheit, Menschenrechte.

Jahrzehntelang war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), wie sie anfangs hieß, ein Erfolgsmodell. Teil dieser Allianz zu sein, war für viele Länder politisch und ökonomisch attraktiv, und so wuchs die EU von zunächst 6 auf schließlich 28 Staaten.

Ende März verlässt mit dem Vereinigten Königreich erstmals ein Mitglied die Union. Dieser Einschnitt hat historische Dimensionen, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Folgen, die bisher kaum abzuschätzen sind. Zurzeit ist nicht einmal klar, ob die Briten auf Basis des mühsam ausgehandelten Austrittsvertrages oder völlig ungeregelt in die „Unabhängigkeit“ entlassen werden.

Unsicherheit schwelt auch in anderen Bereichen und macht 2019 zu einem Schicksalsjahr der EU:

  • Die Entscheidung über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 fällt in diesem Jahr. Dabei geht es um die Basis für den Haushalt der Europäischen Union. Nur wenn der Etat ausreichend groß ist, kann mit Fördermitteln etwas bewegt werden. Das gilt sowohl für Hilfen zum Aufbau der Infrastruktur als auch für die Direktzahlungen an Landwirte. Der Agrarhaushalt ist immer noch der größte Einzelposten im EU-Budget, weil allein die Agrarpolitik voll vergemeinschaftet ist. Wenn dort rigide gekürzt wird, hat das böse Konsequenzen für die Bauern, ihre Familien und den ganzen ländlichen Raum.
  • Ende Mai wird das Europäische Parlament neu gewählt. Die Rahmenbedingungen stellen sich anders dar als in der Vergangenheit: In vielen Mitgliedstaaten sind nationalkonservative Parteien oder Strömungen erstarkt, die im Kern europafeindlich denken und auch so handeln. Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten eines echt demokratischen Systems, auch diesen Kräften im EU-Parlament eine Stimme zu verleihen – ihrem Anteil an den Wählerstimmen entsprechend.
  • An der Spitze der EU steht seit Anfang des Jahres für sechs Monate Rumänien, eines der jüngsten Mitgliedsländer. Wer es mit der Demokratie ernst meint, darf auch solchen „neuen“ Staaten die Verantwortung für die Union nicht vorenthalten. Aber es bleibt doch ein flaues Gefühl zurück, wenn man an die wirtschaftlichen und politischen Probleme (Stichwort Korruption) in Rumänien denkt. Ist Bukarest der Aufgabe gewachsen?

Bei allen Problemen, die mit der Europäischen Union in Verbindung gebracht werden, darf eines nicht vergessen werden: Kern der EU sind nicht „Agrarsubventionen“ oder Glühlampenverbote. Diese Gemeinschaft von Staaten aus früher verfeindeten Lagern, ein Jahrzehnt nach dem letzten verheerenden Krieg gegründet, ist nicht weniger als der Garant für Frieden, Sicherheit und wirtschaftliches Fortkommen der Menschen in ganz Europa.

Ihre gemeinsamen Werte – Menschenrechte und Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Toleranz sowie Solidarität sind brandaktuell. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, gerade in diesen turbulenten Zeiten.