Agrarpolitik

Sagt den Bauern endlich die Wahrheit!

Cem Özdemir will die Zahl der Nutztiere reduzieren und gleichzeitig die hiesige Tierhaltung zukunftsfest machen. Erfolgversprechende Pläne fehlen, die Höfe hängen in der Luft.​

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich vieles vorgenommen: Er will das Höfesterben bremsen und die deutsche Tierhaltung „zukunftsfest“ machen. Er will, dass Landwirte nachhaltiger wirtschaften und in den Tierschutz investieren. Und er will die Tierbestände reduzieren.

Es sind viele Signale, die zusammen eine janusköpfige Botschaft ergeben: Jene Bauern, die um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen und dazu noch zu hören bekommen, dass sie eigentlich nicht mehr erwünscht sind, sollen bereit sein, für neue Ställe Kredite aufzunehmen und in mehr Tierschutz zu investieren. Schwierig.

Einerseits ist Özdemirs Ziel so klar wie nachvollziehbar. Künftig sollen weniger Tiere (wegen des Klimas) besser gehalten werden (wegen des Tierschutzes), ihre Produkte dafür höhere Preise erzielen (wegen der Bauern). Andererseits bleibt der Weg dorthin vollkommen offen, zumal wir auch nicht allein sind auf der Welt. Irgendwie soll es ja gelingen, dass eine tiergerechtere, also teurere Tierhaltung hierzulande nicht dazu führt, dass die Nachfrage nach Fleisch in Zukunft verstärkt aus dem Ausland gedeckt wird und hiesigen Tierhaltern erst recht das Wasser abgräbt.

Viele Ziele, wenig Konkretes

Wer in Özdemirs Ministerium nach den Plänen zu den Zielen fragt, erfährt wenig Konkretes. Fest stehe: Eine Ausstiegsprämie für Tierhalter wie in den Niederlanden soll es auf keinen Fall geben. Geprüft werde, ob und wie die Zahl der Tiere pro Hektar reduziert werden kann.

Damit touchiert das Ministerium die globale Gretchenfrage für die Zukunft der Landwirtschaft: Wer plant und entscheidet darüber, welche Fläche wie genutzt werden darf? Die Frage muss behandeln, wer das System Landwirtschaft möglichst nachhaltig gestalten möchte, und zwar in jeder Hinsicht – Welternährung, Öko- und Klimabilanz, Biodiversität, Tierschutz.

Die Debatte kann durchaus auch für Bauern zu unliebsamen Antworten führen. Noch schlechter ist, dass die Ampel bislang überhaupt keine Antworten hat.

Die Botschaft des Siegels

Bei den ausgegebenen Zielen setzt die Koalition vor allem auf das Prinzip Hoffnung, nämlich die Hoffnung darauf, dass der Fleischkonsum in Deutschland weiter nach unten gehen wird. Und darauf, dassdie staatliche Haltungskennzeichnung die Menschen trotz Inflation dazu bringen kann, teureres Fleisch aus vermeintlich besserer Haltung zu kaufen. Arg wenig ist das, für den Tierschutz wie für die Höfe.

Der Entwurf des staatlichen Haltungskennzeichens steht sinnbildlich für die ratlose Unentschlossenheit der Agrarpolitik der Ampel. Sollte es den deutschen Tierhaltern helfen, müsste das Siegel ihre Produkte ja attraktiv machen – nur eben bloß nicht zu attraktiv, weil Özdemir sonst Gefahr liefe, den Fleischkonsum insgesamt anzukurbeln. So geriet die Gestaltung des Labels schlicht. Mancher spricht auch von einer „Mischung aus Tabakwaren-Warnhinweis und Traueranzeige“.

Jedenfalls lässt sich dem Siegel ansehen: Hier möchte ein Ministerium den Absatz fördern, ohne den Absatz zu fördern.

Die Höfe können nicht mehr

Während Özdemir über nähere Pläne noch brütet, vollzieht sich die Reduktion der Tierbestände längst von allein. Nicht mit ­einem geplanten, verlässlichen Prozess, der mehr Tierschutz und Nachhaltigkeit bringt, sondern auf die denkbar grausamste Weise: Die Höfe hören auf, weil sie nicht mehr können. Jeder zehnte verabschiedete sich in den vergangenen zwölf Monaten aus der Schweinehaltung. Die Halter geben auf, weil sie keine wirtschaftliche Perspektive sehen oder schon vor dem Ruin stehen. Und weil es keine Ansage gibt, keinen politischen Plan für ihre Branche.

Auch wenn das Agrarministerium dies bestreitet, so bleibt doch der Eindruck, dass es ihm vielleicht ganz recht ist, wie sich die Dinge entwickeln – dass es dies nur nicht so laut sagen möchte, aus Angst vor den Protesten der Bauern. Minister Özdemir hat angekündigt, dass die Zeit von „Wachse oder weiche“ mit ihm vorbei sein solle. Das Problem ist: Nun heißt es nur noch „weiche“.

Klarheit und Konzepte

Die Bauern haben Besseres verdient. Zu­allererst die Klarheit darüber, wer von ihnen mit welchen Tierbeständen in Zukunft noch gewollt ist, wie eine realistische ökonomische Perspektive für Produkte aus tiergerechter Haltung aussieht – und wie der Reduktionsprozess politisch gesteuert wird.

Es ist an der Zeit, dass Özdemir den Bauern reinen Wein einschenkt. Über Ziele hat er lang genug gesprochen. Nun muss er sie mit Konzepten unterfüttern, statt nur vage Hoffnungen zu präsentieren. Der Minister selbst hat diese Klarheit übrigens genauso nötig wie die Bauern. Denn mehr Nachhaltigkeit erreicht er nur, wenn er ihre Bereitschaft zum Mitmachen und ­Investieren weckt.


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