PRO: Monsignore Pirmin Spiegel (Geschäftsführer von Misereor)
Weltweit haben 828 Millionen Menschen Probleme, sich ausreichend zu ernähren. Das Menschenrecht auf Nahrung wird dadurch massiv verletzt, und wir können etwas dagegen tun.
Wir bezweifeln, dass es sinnvoll ist, etwa 60 % der deutschen Getreideproduktion für die Fütterung unserer Nutztiere zu verwenden, die in direkter Nahrungskonkurrenz zu uns Menschen stehen. Gleichzeitig müsste der Anteil von 20 %, der aktuell der unmittelbaren menschlichen Ernährung dient, erhöht werden, um mehr Ware für den Markt bereitzustellen und Reserven zu haben für zukünftige Krisen. Der Effekt wäre ein Rückgang der seit Monaten sehr hohen Getreidepreise.
Viele Menschen in den benachteiligten Regionen des globalen Südens, die über die Hälfte ihres Einkommens für ihre Ernährung ausgeben müssen, können sich bei stark gestiegenen Preisen schlicht weniger oder gar nichts mehr an Lebensmitteln leisten – und hungern. Denn es besteht keine Mangellage auf dem Weltmarkt: Wer hungert, ist zu arm, um sich Lebensmittel zu kaufen.
Es ist notwendig, angesichts dieser Situation das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufzufordern, den Empfehlungen der Borchert-Kommission und des Wissenschaftlichen Beirates sowie einem Aufruf von über 200 Wissenschaftlern vom März dieses Jahres zu folgen und den Umbau der Tierhaltung in enger Zusammenarbeit mit den Akteuren und Akteurinnen in der Landwirtschaft entschlossen anzugehen. Dieser Umbau muss mit einer Reduzierung der Nachfrage nach tierischen Proteinen einhergehen, im Zuge dessen aber auch mit Ausgleichszahlungen oder anderweitiger Entlastung der Bäuerinnen und Bauern, da diese Umstellung nicht auf deren Schultern lasten darf.
Eines ist klar: Der Impuls für den Umbau der Tierhaltung sollte stark vom Markt kommen und erfordert ein gesamtgesellschaftliches Umdenken über Deutschlands Märkte hinaus. Dafür braucht es beispielsweise Anreize und Leitlinien für eine stärker pflanzenbasierte Ernährung in der Außer-Haus-Verpflegung. Die Vorschläge der Borchert-Kommission für eine Tierwohlabgabe sollten zügig umgesetzt werden. Der Bericht der Zukunftskommission, der unter Beteiligung des Deutschen Bauernverbandes entstanden ist, spricht von einem durchgreifenden Transformationsprozess, den die Land- und Ernährungswirtschaft vor sich hat. Unsere Petition möchte dazu einen konkreten, wissenschaftlich begründeten Impuls liefern – und damit einen Baustein für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung.
CONTRA: Regina Selhorst (Landwirtin und Präsidentin des Westfälisch-Lippischen Landfrauenverbandes)
Eins vorab: Dies ist keine „Contra-Position“ gegen die Bekämpfung der Hungerkrise oder ein „Nein“ zu bezahlbarer und sicherer Nahrung für die Weltbevölkerung. Ganz im Gegenteil: Die Landwirtschaft sorgt für Teller, Trog und Tank – verantwortungsbewusst und in dieser Reihenfolge.
Es macht mich traurig und ein Stück weit wütend, dass Organisationen wie Misereor, Hilfswerk der katholischen Kirche, sich eins machen mit Greenpeace und gemeinsam unter dem Mantel der Rettung der Hungernden in der Welt Pfeile gegen die deutsche Landwirtschaft schießen.
Wie einfach machen es sich diese Organisationen, die Verantwortung für den Hunger in der Welt auf eine „Tank-Trog-Diskussion“ abzuwälzen? Die Landwirtschaft hat durch kluges Handeln, technischen Fortschritt und mithilfe der Wissenschaft die Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir heute in Wohlstand leben und so viele Menschen in der Welt satt werden können.
Auch bei Misereor und Greenpeace müsste es Menschen geben, die wissen,
- dass zu einer gesunden Fruchtfolge auch Feldfrüchte gehören, die nur für den Trog geeignet sind,
- dass Gras nicht vom menschlichen Magen verdaut werden kann und Tiere auch mit Schlempe, Ausputzgetreide, Treber, Kleie, Ölschrote usw. gefüttert werden und
- dass ohne den wertvollen Dung der Tiere kein nachhaltiger Ackerbau möglich ist.
Da ein zunehmender Anteil der Menschen nur noch wenig bis keinen Bezug zur Landwirtschaft hat, lässt sie sich leicht als Ursache von Hungerkrisen ausmachen. Dabei geht es bei dieser Diskussion doch eigentlich um die Frage: Sind wir bereit, uns selbst zu beschränken? Sind wir bereit, für höhere Tierwohlstandards, verbunden mit weniger Tierplatzzahlen, mehr Geld für hochwertige, regionale Produkte auszugeben? Sind wir bereit, auf Importe billiger Konsumgüter aus aller Welt zu verzichten? Sind wir bereit, unsere Mobilitäts- und Urlaubsgewohnheiten einzuschränken?
Anscheinend sind die genannten Organisationen bereit, einfache Lösungen auf Kosten der ums Überleben kämpfenden bäuerlichen Familien zu propagieren und sich so als Weltenretter zu profilieren. Eine derartige Petition vertieft die Gräben und hilft niemandem. Ich wünsche mir, dass wir im komplexen Themenfeld Landwirtschaft und Welternährung Sachlichkeit walten lassen und gemeinsam fachlich fundierte Wege beschreiten. Wir Menschen in der Landwirtschaft wollen unseren Beitrag leisten, eine drohende Hungerkrise zu vermeiden.
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