Derzeit wird der Ruf nach regionaler Erzeugung und Verarbeitung immer lauter. Die Gründe dafür sind vielfältig, darunter Ökologie und globale Gerechtigkeit. Zunehmend spielt die Gefahr der steigenden Anfälligkeit für technische Ausfälle eine Rolle – vom gezielten Cyberangriff über pandemiebedingte Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten bis zu simplen Stromaufällen. Ist die Agrarwirtschaft also besonders verletzlich?
Auch früher half Vernetzung
Historisch betrachtet sicher nicht. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren Hungerkrisen an der Tagesordnung, weil Witterung oder Schädlingsbefall die Ernte ganzer Regionen vernichtete. Allerdings wussten auch unsere Vorfahren, wie man solche Kalamitäten mildern konnte: Durch Vernetzung. Nahrungsmittelimporte und Lagerung von Getreide kennen wir seit der Antike. Handel und Verflechtung schaffen Ausweichmöglichkeiten, und das konnte auch in vormoderner Zeit vor dem Hungertod retten. Die Kehrseite auch damals schon: Das Horten von Nahrungsmitteln für spekulative Zwecke, also Wetten auf steigende Preise.
Weltweite Produktionsketten entstanden erstmals vor einem guten Jahrhundert mit der Erfindung von Schlachthofsystemen und Kühlschiffen. Es waren neben der Industrialisierung der Produktion auch diese weltweiten Vernetzungen, die die Versorgung sicherer machten, zumindest in Europa.
Niemals war das Angebot an Agrarerzeugnissen so vielfältig wie in unserer Zeit. Dass es hierbei große Unterschiede und Ungerechtigkeiten im globalen Vergleich gibt, ist nicht zu bestreiten. Von einer Ernährungsnotlage sind wir in Europa meilenweit entfernt. Alle Funktionskrisen haben daran nichts geändert – auch Corona nicht.
Wenn Mangos fehlen
Natürlich liegt es im Auge des Betrachters, ob das Ausbleiben einer Ladung Flugmangos eine Krise bedeutet. Mit dem Angebot sind die Erwartungen an Verfügbarkeit und auch an die Qualität gestiegen.Nach Unterbrechung einer Kühlkette kann Hackfleisch nicht mehr in den Handel, auch wenn un sere Vorfahren diese Ware noch ohne Bedenken verzehrt hätten.
In der Wissenschaft spricht man vom „Verletzlichkeitsparadoxon“. Je länger und je besser ein System funktioniert, umso abhängiger wird man von der Aufrechterhaltung genau dieser Funktion. Alle Betriebe benötigen eine stabile Elektrizitätsversorgung, und zwar rund um die Uhr.
Fast genauso wichtig ist eine verlässliche Anbindung ans Internet für eine Vielzahl von Anwendungen im Stall und auf dem Feld. Damit werden neue Technologien ermöglicht und sehr hohe Effizienzgewinne erzielt.
Ackern wie früher? - Romantischer Life-Style
Das Problem: Wenn eines dieser Systeme ausfällt, sind die Schäden entsprechend größer. Das bedeutet nicht nur höhere Verluste. Im schlimmsten Fall fällt die Produktion komplett aus. Dann können die Ställe nicht mehr geheizt, die Tiere nicht mehr gefüttert, kann das Feld nicht bestellt werden.
In einer Landwirtschaft ohne High Tech treten diese Schäden nicht auf: Das Ochsengespann am Pflug benötigt kein GPS-Signal. Doch die Idee einer Rückkehr zur vormodernen Landwirtschaft mit Dreschflegel ist eine romantische Lifestyle-Illusion. Ernstzunehmender ist da schon die Idee, stärker auf kürzere Lieferketten zu setzen. Allerdings löst auch dies nicht das Verletzlichkeitsparadoxon. Der einzige sinnvolle Weg ist das, was in der Wissenschaft als „Resilienz“ bezeichnet wird. Die Idee dahinter lautet: „Gehe nicht davon aus, dass die Systeme immer funktionieren, sondern bereite Dich auf den Blackout vor, auch wenn er unwahrscheinlich ist!“
Vorsorge kostet Ressourcen
Es geht also darum, den eigenen Betrieb so zu organisieren, dass er auf Störungen flexibel reagieren kann. Der entscheidende Gedanke dabei ist, sich auch gegen unvorhersehbare Gefahren zu wappnen. Dafür gibt es unterschiedliche Strategien: Gegen Stromausfall kann ein Generator helfen. Den Ausfall des Internets können Einzelne nicht kompensieren. Sie können aber alternative Technologien für den Ernstfall vorhalten. Bildlich gesprochen: Wenn man noch einen Ochsenpflug in der Scheune hat, sollte man ihn nicht verschrotten und regelmäßig seine Funktionstüchtigkeit erhalten. Im Kern geht es bei der Resilienz darum, Alternativen zu haben.
Das alles kostet Ressourcen. Bei öffentlichen Einrichtungen wie dem Stromnetz ist gewiss zunächst der Staat in der Verantwortung. Doch darauf sollten sich private Betriebe nicht vollständig verlassen. Denn eine punktgenaue Resilienzstrategie sieht für jeden Betrieb unterschiedlich aus.