Vergangene Woche Mittwoch hat das Europäische Parlament (EP) seine Position zu einer EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur festgelegt. Das Plenum nahm den Text mit 336 Ja- sowie 300 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen an.
Knappes Ergebnis
Dass das Ergebnis so oder so knapp ausfällt, hatten Beobachter erwartet. Denn der Gesetzesvorschlag hatte vorher in verschiedenen EP-Ausschüssen, insbesondere im federführenden Umweltausschuss, keine Mehrheit bekommen. Dem Votum im Umweltausschuss entsprechend hatte der Ausschussvorsitzende dem Plenum daher vorgeschlagen, den Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission ganz abzulehnen. Eine Abstimmung darüber scheiterte aber: 324 der Abgeordneten stimmten gegen die Ablehnung, 312 dafür und 12 enthielten sich.
Hitziger Schlagabtausch
Viele Medien haben über die Abstimmung berichtet. Das dürfte vor allem am hitzigen Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern gelegen haben. Zudem ging es um die Frage, wie sich Fraktionsmitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) positionieren. Das lässt Rückschlüsse zu, wie sie inzwischen zum Green Deal und zur Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) stehen.
Die Trilogverhandlungen zwischen dem EP, den Europäischen Mitgliedstaaten sowie der EU-Kommission sollen noch in dieser Woche starten. Das ist ein Zeichen dafür, dass einige Verhandler noch vor der EU-Wahl 2024 Fakten schaffen wollen.
Was steht im Gesetzesvorschlag?
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben sich auf die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 verständigt. Sie ist ein Eckpfeiler des Naturschutzes in der EU und des europäischen Green Deals. Eines ihrer Ziele lautet, beeinträchtigte Ökosysteme in der EU bis 2030 durch eine Reihe konkreter Verpflichtungen wiederherzustellen. Zur Umsetzung hat die Europäische Kommission am 22. Juni 2022 einen Gesetzesvorschlag veröffentlicht – zeitgleich mit dem Vorschlag für eine Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln.
Widerstandsfähigkeit der Natur stärken
Die vorgeschlagene Verordnung über die Wiederherstellung der Natur soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, entsprechende Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die sich bis 2030 auf mindestens 20% der beeinträchtigten Land- und Meeresgebiete der EU erstrecken sollen. Bis 2050 sollen dann alle Ökosysteme erfasst sein, bei denen eine Wiederherstellung erforderlich ist. Insgesamt soll die Wiederherstellung von Ökosystemen die Widerstandsfähigkeit der Natur stärken, dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel dienen und somit letztlich auch die Ernährung sichern, da Landwirtschaft vom guten Zustand der Ökosysteme abhängt.
Die Mitgliedstaaten sollen nationale Pläne zur Wiederherstellung erstellen. Darin müssen sie unter anderem die wiederherzustellenden Gebiete darstellen und die Maßnahmen zur Verbesserung darlegen. Auch sollen die Mitgliedstaaten Zeit- und Finanzpläne aufführen. Ihre nationalen Wiederherstellungspläne müssen die Mitgliedstaaten mindestens alle zehn Jahre überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Das Verfahren hat somit Parallelen zur jüngsten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik.
Torfmoore wiedervernässen
Als geschädigte Ökosysteme führt der Verordnungsvorschlag etwa entwässerte Torfmoore an. Deren Wiedervernässung soll die Artenvielfalt stärken und CO2-Emissionen senken. Des Weiteren sollen bis 2030 mindestens 25.000 km Flüsse von Hindernissen wie zum Beispiel Querbauwerken befreit werden. In Städten sollen Grünflächen und Bäume als Teile einer grünen Infrastruktur ausgeweitet werden. Für Wälder sind unter anderem mehr Totholz sowie ein höherer Anteil von Wäldern mit uneinheitlicher Altersstruktur als Ziele formuliert. Der Vorschlag richtet sich aber auch an landwirtschaftliche Ökosysteme: Hier sollen die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Maßnahmen in anderen geschädigten Ökosystemen die biologische Vielfalt in den Agrarlandschaften verbessern.
Um den Zustand von landwirtschaftlichen Ökosystemen zu bewerten, fehlt laut Kommission eine gemeinsame Methode. Daher will sie Indikatoren heranziehen, die die biologische Vielfalt zeigen. Die Mitgliedstaaten sind verantwortlich, dass diese Indikatoren einen Aufwärtstrend haben. Als Indikatoren gelten in erster Linie Bestände an Feldvögeln und Wiesenschmetterlingen, das Vorkommen an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden sowie auf landwirtschaftlichen Flächen befindliche Landschaftselemente mit großer Vielfalt. Bis 2030 sollen mindestens 10% der landwirtschaftlichen Fläche solche Landschaftselemente aufweisen.
Was zählt zu Landschaftselementen?
Dazu zählt der Verordnungsentwurf etwa Brachflächen, Feldraine, Hecken, Bäume oder Gräben. Sie werden angerechnet, wenn sie weder produktiv genutzt (einschließlich Beweidung und Futternutzung) noch mit Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. Produktive Bäume wie in Agroforstsystemen werden abweichend als Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt anerkannt, wenn dort keine Düngung oder Pflanzenschutz erfolgen und die Ernte zu Zeiten stattfindet, in denen die biologische Vielfalt nicht gefährdet ist.
Offen lässt der Vorschlag den Weg, über den die Mitgliedstaaten die Zielmarke von 10% erreichen. Als ein Instrument ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) angeführt. Diese schreibt über die Konditionalität vor, dass grundsätzlich auf 4% der Ackerfläche eines Betriebes Brachflächen oder Landschaftselemente vorhanden sein müssen. Darüber hinaus sollen Öko-Regelungen der Ersten Säule und Agrarumweltmaßnahmen der Zweiten Säule ihren Beitrag leisten. Des Weiteren verweist die Europäische Kommission auf von der EU geförderte Naturschutzprojekte.
Wie geht es weiter?
Europaparlament und Europäischer Rat haben als gleichberechtigte Gesetzgeber ihre Positionen abgestimmt. Nun stehen Trilogverhandlungen an, in denen Delegierte von EP und Rat unter Vermittlung der Europäischen Kommission eine politische Einigung erzielen sollen.
Den Vorschlag von mindestens 10% Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt befürworten sowohl Parlament als auch Rat im Grundsatz. Der Rat schlägt als Änderungen vor, auch produktive Elemente anzurechnen, wenn eine Nutzung für den Erhalt der biologischen Vielfalt nötig ist, und eine Düngung mit Festmist in geringem Umfang zu gestatten.
Das Europaparlament fordert vor Inkrafttreten der Verordnung eine wissenschaftliche Folgenabschätzung über die Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit. Zudem sollen die Zielvorgaben der Verordnung aufgeschoben werden, wenn sich etwa aufgrund von Naturschutzvorgaben Genehmigungen im Wohnungsbau verzögern, der durchschnittliche Lebensmittelpreis im Laufe eines Jahres um 10% steigt oder die Gesamtproduktion von Lebensmitteln in der EU über einen Zeitraum von einem Jahr um 5% sinkt.
Wie bewertet der WLV den Vorschlag?
Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) hatte mit dem Deutschen Bauernverband dazu aufgerufen, den Vorschlag gänzlich zurückzuweisen. Der WLV bekennt sich zum Ziel, die biologische Vielfalt zu stärken, allerdings hat der Entwurf aus WLV-Sicht eine falsche Ausrichtung, insbesondere weil er auf Nutzungsverbote und Flächenentzug setzt und den erfolgreichen Weg der Kooperation mit der Landwirtschaft und anderen Landnutzern gefährdet.
Die aktuelle Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) setzt in großem Maße auf Umweltleistungen der Landwirtschaft. Es ist aber ungeklärt, inwieweit die GAP-Regelungen beispielsweise zum Ziel von 10 % artenreicher Landschaftselemente wie Brache bis 2030 beitragen, zumal die GAP-Pflichtbrache sich auf die Ackerfläche, nicht die landwirtschaftliche Fläche, bezieht. Was geschieht, wenn der GAP-Beitrag nicht ausreicht? Was geschieht, wenn die freiwillige Wiedervernässung von Mooren nicht zum Ziel führt? Es droht ein verschärftes Ordnungsrecht mit der Folge, dass die Kosten der Naturwiederherstellung (einmal mehr) auf Flächeneigentümer und -bewirtschafter abgewälzt werden.
Deutlich kritisiert der WLV die Folgenabschätzung des Gesetzesvorschlages. Wie bei der EU-Pflanzenschutzverordnung fehlen wissenschaftliche Analysen insbesondere zur Ernährungssicherheit. Der WLV begrüßt den Vorstoß des Europaparlaments dazu, allerdings sollten die Entscheidungsträger sich vor der Abstimmung ein Bild gemacht haben.
Nicht nur mit Blick auf die Ernährungssicherung, sondern auch auf Artenvielfalt ist der Fokus auf nicht produktive Flächen stark zu hinterfragen. In der Praxis haben sich viele produktionsintegrierte Maßnahmen bewährt, die vielen Arten Nahrung und Rückzugsräume bieten. Darauf und insbesondere auf der erfolgreichen Kooperation mit Landnutzern will der WLV aufbauen, um Ökosysteme und Artenvielfalt zu stärken.
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