Vor über 500 Jahren kam es zu einer Ernährungsrevolution, deren Auswirkungen wir noch heute spüren. Mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents und der Entstehung der Seehandelsrouten kam es zum ersten Austausch natürlicher Ressourcen im großen Stil, insbesondere auch von Nutzpflanzen und Nutzvieh, die als Grundlage der menschlichen Ernährung dienen konnten.
Die damalige Ernährungsrevolution ist für den heutigen Menschen Normalität. Zusätzlich hat sich neben der Entwicklung landwirtschaftlicher Technologien allein in den letzten 100 Jahren ein weiterer Schub für die Nahrungsmittelproduktion ergeben – unter anderem durch Düngemittel, Pflanzenschutz und Züchtung. Wir leben heute in einem Reichtum an Nahrungsmittelmenge und -vielfalt, wie es noch nie eine Generation vor uns erleben durfte. Das gilt selbst, wenn es immer noch rund 2 Mrd. Menschen gibt, die an einer Form von Nährstoffmangel leiden.
Passen die Ziele zusammen?
Nun, angesichts der gegenwärtigen Krisen von Klimawandel bis Ukraine-Krieg, wird die nächste Ernährungsrevolution gefordert oder gar angekündigt. Unsere Lebensmittel sollen möglichst wenig Treibhausgase, Umweltschäden und Tierleid verursachen. Ihre Produktion soll wenig Land und Wasser verbrauchen. Sie sollen gleichzeitig überall verfügbar und erschwinglich sein. Und sie sollen natürlich den Sinn und Zweck von Ernährung erfüllen, also den Körper mit ausreichend Nährstoffen versorgen, damit Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten bleiben.
Wie das gelingen soll, dazu überschlagen sich die Ankündigungen. Allen voran von Start-ups, Investoren und manchen Prominenten, die nicht selten aus persönlicher Überzeugung längst tierischen Lebensmitteln abgeschworen haben oder wenigstens ein neues Geschäftsfeld wittern.
{{::textbox::standard::„Den optimistischen bis utopischen Prognosen stehen die Versorgungsbilanzen für Protein, Kalorien und Grundnahrungsmittel entgegen.“::}}
Aberwitzige Marktprognosen
Immer wieder werden Prognosen veröffentlicht, die aberwitzige Marktanteile von pflanzenbasiertem Fleischersatz oder kultiviertem Fleisch aus dem Labor vorhersagen. Oder es wird gleich das „letzte Jahrzehnt der Landwirtschaft, wie wir sie kennen“, eingeläutet.
Diese optimistischen bis utopischen Prognosen stehen den Fakten gegenüber, wenn man sich die weltweiten Versorgungsbilanzen für Protein, Kalorien und Grundnahrungsmittel ansieht.
- Die Aktienverläufe von bislang an die Börse gegangenen Ersatzprodukteherstellern befinden sich im freien Fall.
- Die oftmals mit heroischen Weltrettungs-Claims belegten Produkte entpuppen sich vorrangig als Trend-Food für besserbetuchte Käuferschichten.
- Für die weltweite Proteinversorgung sind Weizen, Reis und Mais sowie Milch und Fleisch die Hauptquellen.
Wertigkeit von Natur aus geringer
Hülsenfrüchte tragen nur in Südamerika und Afrika zu etwas mehr als 5 % zur Proteinversorgung bei – und dann nicht als hochverarbeitetes Ersatzprodukt, sondern vollwertig mit allem, was die Frucht zu bieten hat. Diesen Menschen ist mehr damit gedient, Lebensmittel komplett zu verzehren, als nur das Proteinisolat, das aktuellen Studien zufolge durch die Verarbeitung auch noch an Wertigkeit einbüßt.
Die Wertigkeit ist bei pflanzlichem Protein ohnehin schon von Natur aus geringer als bei tierischem Protein. Es sei denn, es können mehrere pflanzliche Proteinquellen kombiniert werden. Hier scheitert es oftmals bereits an der Verfügbarkeit. Deshalb kann in vielen Erdregionen nur eine Kombination von tierischen und pflanzlichen Quellen einen Proteinmangel verhindern.
Milch, Weizen, Fleisch
Auch in Deutschland sichern Milch, Weizen und Fleisch die Protein- und Kalorienversorgung. Diese Lebensmittel heißen also nicht umsonst „Grundnahrungsmittel“. Der regionale Anbau von Hülsenfrüchten könnte laut einer optimistischen Schätzung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus dem Jahr 2021 auf bis zu 10 % der landwirtschaftlichen Fläche gesteigert werden. Neben mehr Futtermittelleguminosen würde so auch eine Versorgung der deutschen Bevölkerung von maximal 12 kg Hülsenfrüchten pro Kopf im Jahr möglich erscheinen.
Aktuell liegt der Konsum allerdings bei 1 bis 2 kg pro Kopf. Der Beitrag zur Eiweißversorgung liegt bei gut 1 %. Mehr als eine Verzehnfachung des Hülsenfrüchtekonsums würde bereits eine tatsächliche Ernährungsrevolution bedeuten. Ungeachtet dessen aber wäre der Beitrag zur Proteinversorgung mit über 10 % immer noch nicht geeignet, um Milch oder Fleisch zu ersetzen. Und zwar unabhängig davon, ob als ganze Frucht oder als Proteinisolat.
Unser Gastautor Dr. Malte Rubach ist Ernährungswissenschaftler und hat mehrere Fachbücher publiziert, zuletzt „88 Ernährungs-Mythen – Was Sie über Ihr Essen wissen sollten“ (Verlag Droemer-Knaur).
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